Tropische Korallenriffe sind schützenswert: Aus ökologischer Sicht sind sie von bestechendem Artenreichtum, für die Küstenbewohner dienen sie als Wellenbrecher und reicher Fischgrund, Touristen sind fasziniert von ihrer bizarren Schönheit. Ein Forscherteam der Universitäten Berlin und Chicago hat nun ein weiteres Argument für die Bewahrung der durch den Klimawandel gefährdeten Unterwasserlandschaften herausgefunden: Sie bringen mehr neue Arten hervor als andere Lebensräume.
"Die Artenvielfalt ist weltweit am höchsten in den Tropen und dort besonders hoch an Korallenriffen", erklärt der Paläontologe Wolfgang Kießling von der Berliner Humboldt-Universität, Hauptautor der jetzt im Wissenschaftsmagazin "Science" publizierten Arbeit. Lange vermutete man, dass Spezies aus anderen Lebensräumen einwanderten und in der komplexen Struktur der Korallenlandschaften eine Nische fänden. Doch Kießling und Kollegen glaubten nicht an die Theorie. Aus einer paläobiologische Datenbank, in der das Alter und die Herkunft tausender Fossilien katalogisiert sind, wählten die Forscher 6615 Weichtierarten. Dabei konzentrierten sie sich auf Arten, die wenigstens ein Erdzeitalter überdauert hatten. Dann untersuchten sie, an welchen Stellen die jeweils ältesten Vorkommen nachgewiesen wurden. An der Stelle, an welcher der älteste Fund einer Gattung vorliegt, ist sie höchstwahrscheinlich entstanden. Und Wirbellose sind kooperative Untersuchungsobjekte: Schnecken, Muscheln oder Seeanemonen werden nach dem Absterben nicht weggespült, sondern in das Gestein eingebettet.
Wiege der Evolution
Die Untersuchung bestätigte die Vermutung der Wissenschaftler: Korallenriffe zählen zu den produktivsten Lebensräumen, dort entstehen um 45% mehr Arten als in anderen tropischen Lebensräumen. Von dort verbreiteten sich viele Arten auch außerhalb der Riffe. Über 65% der neuen Arten fanden sich später auch in anderen Lebensräumen und bereicherten dort das biologische Spektrum. "Korallenriffe dienen als eine Wiege der Evolution", sagt Kießling. Umgekehrt siedelten sich in den Riffen jedoch nur wenige externe Arten an.
Eine weitere Vermutung bestätigte sich ebenfalls: Im Flachwasser entwickeln sich nach den Ergebnissen der Wissenschaftler mehr Arten als in tiefen Gewässern, in tropischen Meeren mehr als in kühleren Bereichen und in Kalkriffen mehr als in solchen aus Sand. Daneben stellten die Paläontologen fest, dass während des Erdaltertums - im Fachjargon Paläozoikum - in den Riffen mehr Arten in kurzer Zeit entstanden als später. Dafür haben die Forscher zwei Erklärungsmodelle: Entweder hat die evolutionäre Schaffenskraft der Riffe nachgelassen oder aber die übrigen Lebensräume im Wasser bieten mittlerweile verbesserte Bedingungen, so dass sich die Entstehung neuer Arten heute mehr verteilt.