Oberst a.D. Ralph Thiele
Ex-Militär: Warum die Chancen der Ukraine trotz der neuesten Erfolgsmeldungen nicht gut stehen
Sehen Sie im Video: Oberst a.D. Ralph Thiele bewertet die militärische Lage und die Gegenoffensive der Ukraine.
Der erste Durchbruch der Ukraine durch die russische Verteidigungslinie sei nicht so viel wert. Der Zweck der Verteidigungslinien sei, den Gegner zu kanalisieren. Das sei aber gefährlich, weil es dafür genutzt werden kann, den Gegner zu vernichten. In der ersten Verteidigungslinie ginge es vor allem darum, Mienen wegzuräumen. Die zweite Verteidigungslinie bestehe vor allem aus großen Sperren wie Panzersperren. "Das Mienenthema können sie auch heutzutage leicht lösen, weil man Mienen auch werfen kann. Das heißt also diese Mienen werfen sie überall hin, wo ukrainische Vorstöße sind." Er schätzt die Chancen der ukrainischen Offensive moderat bis schlecht ein. Es sei ein Abnutzungskrieg. Die Russen hätten drei bis fünf Mal so viel menschliches Potential wie die Ukraine, schätzt Thiele ein. Die Ukraine sei zwar im Kleinen erfolgreich, würde dafür mit Menschenleben aber einen hohen Preis zahlen. Die Zahl der Drohnen, die die Ukraine bekämpfen muss, sei sechsstellig. Sie könnten siebenstellig werden, auf beiden Seiten. Die Drohnen reichen von ganz klein bis groß. Kleine Drohnen könnten für einen günstigen Preis überall gekauft werden. Dazu werde Russland mit selbstgebauten und iranischen Drohnen "den Himmel in Massen bevölkern". Entlassung des ukrainischen Verteidigungsministers: Resnikow sei nur die Spitze des Eisbergs bei der Korruption. Das müsse ausgeräumt werden, damit sich die Ukraine verteidigen kann, denn nur dann sind auch Unternehmen bereit mehr zu unterstützen. Waffenlieferung/Waffenproduktion: Dass aus der EU bisher verhältnismäßig sehr wenig von dem angekommen ist, was der Ukraine versprochen wurde, liege an der Fahrlässigkeit. "Große Worte, kleine Taten." Die fähigen Führungskräfte, die die Versprechen in Verträge umsetzen, zeigen sich nicht. Versprechen bleiben oft leer. Dazu brauche es bei der Produktion viel Vorlauf. Er rechnet mit größeren Mengen für die Ukraine 2024. Bis dahin müsse sie durchhalten. "Die Ukraine muss ihre Offensive im Grunde reduziert führen, weil die Munition, die sie dafür braucht, nicht ankommt." Ähnlich sei es bei der Ausrüstung der Bundeswehr. Es gebe gute Absichten, aber an den Taten mangele es: Aufträge geben, Gerät bereitstellen, Vorgänge bereitstellen. "Alle diese Dinge tun wir nicht richtig gut."
Nele Balgo spricht mit Oberst a.D. Ralph Thiele, Vorsitzender der Politisch-Militärischen Gesellschaft.