Wer wohnt wie in Hamburg? Antworten auf diese Frage geben Entdeckungsreisen sehr unkonventioneller Art, auf die sich Hamburger in diesem Sommer begeben können. Für jeweils ein oder zwei Nächte dürfen sie sich in fremden Wohnungen wie zu Hause fühlen. Dabei gewinnen sie Einblicke in eine andere Privatsphäre und in einen bisher nicht vertrauten Stadtteil.
Voraussetzung für den Wohnungstausch ist das Abgeben des eigenen Schlüssels an der Rezeption des Hotels Hamburg in der Hamburger Grindelallee 117. Dabei handelt es sich nicht um ein gewöhnliches Hotel, sondern um einen ehemaligen Laden, der zur Lobby inszeniert wird. Für die Zeit zwischen dem 3. und 20. Juli ist dieser Ort die zentrale Anlaufstelle eines Kunstprojekts.
Anders als Couchsurfen
Bei dieser Aktion frei nach dem Motto "Eine Stadt besucht sich selbst" kann jeder mitmachen, der seine eigenen vier Wände für dieselbe Nacht einer anderen Person zur Verfügung stellt. Im Gegensatz zum Couchsurfen, wo man in einer fremden Stadt ein Bett sucht und auf Gastgeber trifft, erfolgt bei dem Hamburger Projekt der Wohnungstausch anonym über das Schlüssel- und Gästebuch an der Rezeption des Hotels Hamburg. "Jeder, der daran teilnimmt, steht vor demselben Problem", sagt Jan Holtmann, einer der Initiatoren. Man muss sich nur trauen. Jeder Gast ist zugleich Gastgeber. Kosten entstehen keine, doch die wichtigste Währung ist Vertrauen.
Künstler Holtmann, der bereits eine ähnliche Aktion 2013 in Köln durchgeführt hat, bewegt sich mit der Initiative im Grenzbereich zwischen Kunst und Öffentlichkeit, spricht selbst vom Genre der "Handlungskunst". Für ihn sind die fremden Wohnungen "wie begehbare Bilder". Sich in Räumen zu bewegen, die einem nicht gehören, gibt jedem die "Chance der Horizonterweiterung", sagt Holtmann, der auch die noroomgallery betreibt.
Zu dem 17-tägigen Programm gehört auch viel Theater und Musik. An fast jedem Abend tritt eine Band in der Lobby des Hotels Hamburg auf. Den Anfang macht die Gruppe Nova Huta am 3. Juli. Der Musiker Reverend Dabeler hat für die Aktion extra einen Song geschrieben: "Ich nehme deine Schlüssel", heißt es im Text. "Die Stadt ist dein Hotel, die Minibar ist leer". Denn wo auch immer man absteigt, mit einem Zimmer-Service kann der Gast nicht rechnen, dafür mit einer geräumigen Suite.
Das Projekt, das vom Elbkulturfonds gefördert wird, hat seinen Reiz im Überraschungseffekt und im Voyeurismus. Die Veranstalter setzen auch darauf, dass Teilnehmer ihre Wohnungen wie eine Theaterkulisse inszenieren - der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Vieles dürfte auch im Kopf der Gäste passieren: Wer ist die Person, der ich nicht begegnet bin, in deren Wohnung ich mich aber frei bewegen kann?
Dreh- und Angelpunkt der Spaßaktion wird nicht nur die zentral im Hamburger Univiertel gelegene Lobby sein, sondern weitere Orte, Bühnen und Funktionsbereiche. So ist in der Hamburger Kulturbehörde bereits eine temporäre Hotel-Kegelbahn eingerichtet worden. Eine der mobilen Hotelbars steht im Thalia-Zelt in der Hafencity. Am 27. Juni wird bereits der Tanzsaal mit einem Hotelball im Stilbruch in der Ruhrstraße eingeweiht - "Dresscode aufgebrezelt", sagt Holtmann.
Schon vor dem Beginn der Aktion steht fest: Egal wie viele Bürger mitmachen werden, das Hotel Hamburg wird zu einem Ort des anderen Reisens, eine lockere Mischung aus Überraschung und Unterhaltung, frei von jeglichem Kommerz. Und wer es darauf anlegt, kann sechzehn Nächte hintereinander in einer anderen Wohnung schlafen.