Endstation ungewiss Warum deutsche Bahnhöfe die schlimmsten Orte der Welt sind. Nicht nur für mich

Menschen laufen über den Vorplatz des Bahnhofs in Bremen
Bremen ist laut eines aktuellen Rankings der schlimmste aller schlimmen Bahnhöfe
© Sina Schuldt / DPA
Sie sind ungemütlich, zuweilen sogar gruselig: Deutsche Bahnhöfe haben einen miserablen Ruf. Dass jetzt auch ein aktuelles Ranking die katastrophalen Zustände bestätigt, wundert unsere Autorin gar nicht.

Wenn Bremen Rankings anführt, dann meistens, indem man sie von hinten aufrollt. Aktuellstes Beispiel: Bahnhöfe. Im European Railway Index 2023 rangiert der Bahnhof der Weserstadt auf dem letzten Platz. Laut dem US-amerikanischen Consumer Choice Center (CCC) führt Bremen damit die Liste der passagierunfreundlichsten Bahnhöfe in ganz Europa an, gefolgt von München und Berlin. Die Ergebnisse sind zwar umstritten, weil die Erhebung fragwürdig ist und der Auftraggeber als Lobbyverband kritisiert wird. Erschreckend nah an der Wahrheit liegen sie trotzdem.

Als Pendlerin habe ich genug Zeit an zugigen Bahnsteigen in Deutschland verbracht, um mit Gewissheit sagen zu können: Schlimmer geht es nimmer.

Morgens auf dem Weg zur Arbeit tun mir die Obdachlosen leid, die sich in der hinteren Bahnhofshalle in Bremen aus ihren Schlafsäcken schälen, ihre Lager abbrechen, sich notdürftig die Haare kämmen, die Zähne putzen. In Hamburg angekommen nerven die Menschenmassen, die ohne Rücksicht auf bodenseitig eingezeichneten Gegenverkehr in sämtliche Richtungen strömen, Treppen verstopfen und immer genau dort stehen bleiben, wo man gerade ganz besonders schnell durchmuss.

Odyssee ohne Ende

Als Studentin fand ich Bahnhöfe toll – interessante Knotenpunkte, viel zu beobachten, dachte ich damals. Vom gut verdienenden Geschäftsmann bis zu den Ärmsten der Stadt ist an Bahnhöfen alles vertreten. Solche sozialen Gegensätze lenkten mich anfangs ab vom Bahnfrust, der mich aber in immer regelmäßigen Schüben ereilte, wenn sich Züge verspäten oder ganz ausfallen. Also fast immer.

Man kann noch so wohlwollend aufbrechen zum Bahnhof, es nützt nichts. Zuletzt strandete ich auf dem Weg von Hannover Richtung Bremen in Nienburg. Zu sehen gab es nichts, abgesehen vom abendlichen Berufsverkehr und bangenden Fahrgästen. Der versprochene Ersatzverkehr kam nie. Zwischendurch lief ein Mitarbeiter der DB in neonfarbener Weste durch die Menge und rief Informationen ins Schneegestöber, die als kalte Rauchwolken zum Himmel stiegen. Was er gesagt hatte? Man konnte es nur erahnen. Die Kommunikation war ein Desaster. Am Ende stiegen alle wieder in den Zug, der direkt nach Bremen fuhr. Für die Strecke, die sonst anderthalb Stunden frisst, brauchten wir fast vier.

Und doch ist damit noch nicht meine längste Odyssee auf so kurzer Strecke (Rekord: sechs Stunden von Hamburg nach Bremen) beschrieben. Als Trostort oder Besänftigungspflaster funktionieren Bahnhöfe jedenfalls nicht – nicht in Nienburg und auch nicht in Hamburg. Anderswo mag es das vielleicht geben.

Einfach mal pendeln

Zurück zu Bremen, laut Ranking der schlimmste aller schlimmen Bahnhöfe, denn da lauert als nächster Punkt: Unsicherheit. Seit Oktober gilt in der Hansestadt eine Alkohol- und Drogenverbotszone, die Beamten vor Ort wurden aufgestockt. Das ist für mich aber kaum beruhigend, denn wo viel Polizei ist, ist auch die Gefahr nicht weit – und die lauert hier an vielen Ecken. In Bremen sind es unter anderem Jugendgangs, die im vergangenen Jahr die Gegend im wahrsten Sinne des Wortes unsicher machten.

Im Sommer, es war kurz vor Mitternacht und meine Arbeit hatte etwas länger gedauert, musste ich mein Fahrrad am Bahnhof stehen lassen, als mir ein Mann nachstellte. Mein Nein wollte er nicht verstehen. Panisch floh ich zur nächsten Bahnhaltestelle in der Hoffnung, der Nachtbus würde mich sicher nach Hause bringen. Die Beamten der Polizei, die ich gut hätte gebrauchen können, waren weit und breit nicht zu sehen. Mein Fahrrad holte ich erst am nächsten Tag ab.

Warten, hoffen, bangen: Das sind die Zustände, die ich an Bahnhöfen am häufigsten erlebe. Kommt der Zug und falls ja, mit wie vielen Waggons? Und erreiche ich mein Ziel oder lauert schon die nächste Streckensperrung, der nächste Personenschaden, die nächste Zugüberholung? Dass ich mich an Bahnhöfen unwohl fühle, liegt nicht nur an der Deutschen Bahn, zugegeben. Aber es wäre an ihr, die Bahnhöfe besser zu machen. Schöner. Erträglicher. 

Man braucht auch gar keine Rankings, um zu dieser Einsicht zu kommen.

Man muss einfach nur pendeln.

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