Kroatien Immer der Nase nach

Von Frank Schulz
Das Klima ist mild, der Lavendel prächtig, die Inseln sind zauberhaft. Warum also nicht mal spontan nach Kroatien? Genauer gesagt, an die Küste Mitteldalmatiens. Die Reise ins Blaue gerät zu einem sinnlichen Feuerwerk.

Einfach ins Blaue. Geht das noch? Wie früher, als man jung war? (Nur bequemer, bitte.) Billig wird's sicher nicht, aber billig ist TV auf der Couch. Also: ab ins Blaue.

Sagen wir, Dalmatien. Mitteldalmatien. Bisschen Küste, ein, zwei Inseln. Paar Tage da, paar dort. Flug nach Split buchen, Mietwagen reservieren, fertig, los. Wenn das mal gut geht…

Die inneren Unken lösen sich nach der ersten durchkurvten Serpentine der Insel Bra‡ in Luft auf. Besser: in Duft. Man möchte über den feinen Geruchssinn eines Wolfs verfügen, doch selbst die abgestumpfte Nase eines Großstädters öffnet ihre Rezeptoren gierig. Mithilfe des Reiseführers und Restwissens aus der Botanikstunde spinnt man sich die Urheber dieses aromatischen Potpourris zusammen: Macchie, das hartlaubige Gebüsch des Südens; dazu Ginster und Kiefer, wilder Thymian wohl, Majoran und das Violette da - Lavendel? Eher Rosmarin.

Das verlorene Paradies

Welchen Liebreiz, welche Würze und Lockungen diese Aromaböe transportiert! Durchs geöffnete Autofenster flutend, löst sie Sehnsucht aus, nach - nun ja, Ewigkeit, Ursprünglichkeit oder ähnlich Wuchtigem. Evolutionshistorisch mit dem ältesten Hirnareal verknüpft, schießt der Geruchssinn Botenstoffe direkt in die Sinnlichkeit, in die Emotionen, ins Gedächtnis. Und so scheint's, als röche man nichts Geringeres als das Bukett des verlorenen Paradieses, satt von Kindheitsglück oder gar Archaischerem. Wenn dann noch je ein Hauch Meersalz, Kiefern- und Pinienharz hinzukommt, die Augen sich weiden am verschwenderisch ins Gestrüppgrün und Felsgrau getupften Altlila des Rosmarins - dann ist man jeden Tag dieser Reise ins Blaue gegen Unbill gefeit.

Die Passage von Splits zu Bracs Fährhafen bei Supetar hat eine Stunde gedauert, die Autofahrt quer über die wohlriechende Insel in ihr touristisches Zentrum um das Städtchen Bol nicht mal so lang. Jetzt, in der Vorsaison, ist wenig los, ein ruhiges Apartment zu mieten kein Problem (40 Euro). Und es ist hübsch gelegen, das Centar Marijan: Da sitzt man beim Tee im Rattansessel unter den Nadelschirmen der Kiefern, die sich gemeinsam mit Agaven in den Steilhang krallen, und schaut aufs Meeresazur hinunter, auf die Silhouette der Insel Hvar und die höhere, doch schwächere Korculas. Vor allem aber wirft man den schönsten Blick der Gegend auf Zlatni rat, das berühmte "Goldene Horn".

Allzu golden ist es aber gar nicht, das Horn, und auch nicht aus feinem Sand- Kies-Gemisch, wie oft behauptet. Sondern aus groben grauen Kieseln. Wer zimperlich ist, trage Badeschuhe. Trotzdem wunderbar, die paar Schritte vom üppigen Frühstückstisch durch den schattigen Hain hinunter an den Wassersaum zu machen, um durchs Türkismoiré bis auf den Grund zu spähen. Oder auf die 780 Meter hohe Vidova gora, den höchsten Berg von Brac (auch erwanderbar). Am Nachmittag platzt an dessen Spitze eine Wolke. Der Kellner sammelt die Zuckerstreuer ein.

Er und seine Kollegen sind sehr aufmerksam. Der "Krakensalat", den er bringt, ist zwar recht fad, aber das Cevapcici prima; das Radiogedudel lästig, aber der Standort einmalig, und wenn Hotelmanager Petar, der sein Handwerk am Starnberger See gelernt hat und entsprechend gut Deutsch spricht, sein solides Preis-Leistungs- Verhältnis aufrechterhält, wird er sich hier, pardon: bestimmt ein goldenes Horn verdienen. Zu Recht.

Panoramablick

Schlendert man auf der Promenade durch den Nadelwald zwischen Küste und großen Hotels weiter, taucht alsbald Bols charmanter Hafen auf. Die Abendsonne beleuchtet das Gestein am Grund unterhalb der Kaimauer, sodass die Ausflugsboote darüber zu schweben scheinen. Die Wolken erröten, Jungs fischen, ein Spitz verbellt Mofas. Durch die autofreien Gassen wird flaniert auf Mondschein komm raus. Mit Brac vermag unsere Reise ins Blaue also einen gelungenen Auftakt zu verzeichnen. Und die Steigerung folgt in der Stadt Hvar auf der Insel Hvar.

Da man erst nach Split zurückmuss, um dorthin zu gelangen (es gibt keine direkte Autofähre, nur eine für Fußgänger), ist es bereits spät, als die neue Unterkunft feststeht - nach ausgiebiger Suche und fieberhafter Selbstprüfung: 150 Euro pro Nacht! Eigentlich 240, doch der Hotelier ist die Nonchalance in Person. So ziehen wir, besoffen vom eigenen Leichtsinn, in ein bildschönes, erst 2006 als Hotel Park wiedereröffnetes Gebäude mit Ursprung im 16. Jahrhundert. Insbesondere nachts reißt der Panoramablick aus den Fenstern der 83-Quadratmeter-Suite im Dachgeschoss derart hin, dass man kaum zu Bett will.

Mit leichtem Hall dringt das internationale Stimmengewirr der Nachtschwärmer herauf. Es schlägt zwölf, von der Kirche Sveti Marko, vom fünfstöckigen Glockenturm neben der Kathedrale des Sveti Stjepana mit ihrer Renaissancefassade und auch vom Uhrturm (erbaut anno 1466) neben der venezianischen Stadtloggia. In deren Foyer eröffnet tags darauf eine Ausstellung: 140 Jahre organisierter Tourismus auf Hvar. 1868 gründete eine Gruppe von lokalen Honoratioren eine "Gesundheitsgesellschaft". Das Seebad Lesina, wie Hvar einst hieß, galt als "Madeira Österreichs". Zu k. u. k.-Zeiten legten die Schiffe des Österreichischen Lloyd Triest außer in Korfu auch in Hvar an.

Diese historische Verbindung schlägt sich bis heute akustisch nieder: In den Restaurants spricht man verbreitet Deutsch mit Schmäh, Gäste wie Inhaber. Kellner Romeo Barnjak hat 30 Jahre in Bregenz gelebt, bevor vor er die dortige Existenz preisgab, um seine Heimat kennenzulernen: "Wirtschaftlich schwierig ist es inzwischen nicht mehr nur in Kroatien, und hier habe ich wenigstens das Meer!"

Hier floriert noch die Flora!

Nicht leicht, diese schöne Stadt zu verlassen. Zumal eine Direktfähre nach Korcula erst in zwei Tagen geht. Also umdisponiert! Machen wir doch einen Längsschnitt durch die über 68 Kilometer ausgedehnte, zwölf Kilometer schmale Insel. Fantastische Route, die nicht nur Abstecher nach Milna und Stari Grad, Vrboska und Jelsa erlaubt: Ein Panorama jagt das nächste, und die Wildnis duftet womöglich noch betörender als auf Bra‡. Hier floriert noch die Flora! Vom winzigen Fährhafen Su‡uraj am Ostzipfel setzen wir in halbstündiger Fahrt aufs Festland über. Biegen bald von der Magistrale, der Küstenstraße zwischen Dubrovnik und der Halbinsel Istrien, nach Makarska ab. Und checken nach all dem Lesina-Luxus nun im windigen achten Stock des Drei-Sterne- Hotels Dalmacija ein (54 Euro). Gleich beim Frühstück gähnt uns ein blau tätowierter Bizepsbrite entgegen.

Tipps + Adressen

Anreise

Direktflüge nach Split, z. B. von Hamburg für ca. 330 Euro (in der NS ab 200 Euro)

Telefon

Vorwahl Kroatien 00385

Währung

1 Kuna entspricht ca. 0,14 Euro

Fährenpreise inkl. Pkw

Split–Supetar (Brac): 20 Euro Split–Stari Grad (Hvar): 39 Euro Sucuraj (Hvar)–Drvenik (Festland): 13 Euro

Unterkünfte/Restaurants

In Bol auf Brac:

Hotel Centar Marijan

, direkt am Zlatni rat (Goldenes Horn), 2-Bett-Apartment mit Dusche/WC ab 40 Euro inkl. F., Tel.: (0)21/71 79 91 (www.centar-marijan.hr). In Hvar auf Hvar:

Hotel Park

, luxuriöse Zimmer zwischen 100 und 350 Euro, Tel. (0)21/71 83 37 (www.hotelparkhvar.com). Das Essen im

„Gostionica 4 Palme“

an der Riva und auf dem gegenüberliegenden Pier im

„Jerolim“

ist empfehlenswert. In Makarska auf dem Festland:

Hotel Dalmacija

, Zimmer/F ab 39 Euro (www.hoteli-makarska.hr).

Schon lange vorm Krieg (1991-1995) blühte an der Makarska-Riviera der Pauschaltourismus. Das allgegenwärtig erscheinende Biokovo-Massiv rückt hier ein wenig ab vom Meer, erreicht mit dem Sveti Jure aber die höchste Höhe (1762 Meter), und die terrassenförmig in seine Ausläufer gebaute Stadt genösse spektakulären Meerblick, versperrte den nicht ein Riegel aus Bettenburgen der jugoslawischen Ära. Dem noch spärlichen Publikumsverkehr sei Dank ist es trotzdem nicht unangenehm, in eines der Cafés einzukehren. Man sitzt unter Kiefernkronen direkt auf dem Strand, dessen Kiesel-Schotter-Splitt-Mischung an etwas Bestimmtes erinnert. Woran, fällt einem ein, als man einen Zimmerpuma beim Scharren beobachtet. "Ja, das macht die Katze froh …" (Helge Schneider).

Hm. Na gut, im städtischen Franziskanerkloster besichtigt man die angeblich größte Schnecken- und Muschelsammlung Europas. Und flaniert schließlich an den Cafés, Nippes- und Klamottenbuden entlang. Doch schon seit dem ersten Plüschtier-Greifarm-Automaten mit eingebauter Schlagerplatine sehnt man sich nach dem Bukett des verlorenen Paradieses zurück. Eine Reihe Zypressen steht am Straßenrand stramm, als wir aus der Stadt fliehen - 1762 Meter in die Höhe. Bis zum Eingang ins Biokovo- Reservat dauert's eine Viertelstunde mit dem Auto. Dann hebt sich für 30 Kuna (4 Euro) die Mautschranke, und das Abenteuer beginnt - ein sehr empfehlenswertes, vorausgesetzt, man hat Nerven, Nacken und Fahrzeug stets unter Kontrolle. Die Straße zum und vom Gipfel des Sveti Jure ist zwar nur rund 25 Kilometer lang. Ab Baumgrenze allerdings einspurig! Wenn Gegenverkehr in Person eines Stuttgarter Rentners im Benz mimisch klagend seine bandagierte Hand präsentiert, muss man schon mal den Mietwagen (Schadens-Selbstbeteiligung 600 Euro) 100 Meter auf-, ab- und rückwärts durch ungesicherte Serpentinen lenken, bis sich die Indiana-Jones-Gedenkpiste leicht ausbeult, sodass man mit eingeklappten Außenspiegeln aneinander vorbeischlüpfen kann.

Split

Belohnt wird man mit grandiosen Aussichtspunkten sowie, am Ziel, mit 360- Grad-Blick auf ganz Dalmatien. Außerdem ist der Biokovo im Frühsommer ein einziger gigantischer Steingarten mit den reizendsten Blütengewächsen, teils nur hier vorkommend, und Gebirgsgetier von Ziegen über Gämsen bis hin zu - Kühen!? Mit schaukelndem Euter trottet die Schwarzbunte in aller Seelenruhe vor unserem Konvoi her (und zwar "Kampflinie", wie es in der Formel 1 heißt). Gefühlte zehn Kilometer später erst macht sie Platz, nicht ohne entnervten Schulterblick.

Vorm Heimflug ist noch Zeit, sich einen Eindruck von der Altstadt Splits zu verschaffen, entstanden innerhalb der historischen Mauern vom Kaiserpalast des Römers Diokletian. In den von quirligstem Leben erfüllten Gassen begegnet man den Zeugnissen von 1700 Jahren Geschichte, verwaltet von Gesangstrios in Trachten und Dutzenden Reiseführern, die in allen europäischen Hauptsprachen dozieren. Hunderte von höchst urbanen Shops residieren in dem alten Stein. Und draußen vor den Toren, auf der mit gewaltigen Marmorplatten gepflasterten, piazzabreiten Palmenallee tummeln sich, Handy links, Prada- Täschchen rechts, anscheinend Croatia's next Topmodels - und all das vor der Kulisse des adriatischen Himmels. "Wie kann das Licht, das das Nichts ist, so blau sein?" fragt Schriftstellerin Liane Dirks*. Genau das ist die Frage.

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