Murat's Strandcafé liegt kurz vor der Grenze. Wer auf der schmalen Teerstraße entlang der Morfou-Bucht noch zwei Kilometer weiter nach Westen fährt, wird von einem Soldaten mit Bajonett gestoppt. Hier beginnt in Nordzypern die verbotene Zone, die sich zum Herrschaftsgebiet der griechischen Zyprioten im südlichen Teil der Inseln erstreckt. Nur Ziegen und Fettschwanz-Schafe bevölkern das karstige Gebirge und knabbern an stachelig-staubigen Büschen.
So gelangen nur wenige Besucher bis zu Murat's einsamem Kieselstrand, um den Tee zu probieren, den der grauhaarige Wirt in drei Varianten anbietet: "sade, orta, sekerli" (ohne Zucker, mit wenig Zucker, mit viel Zucker). "Aber die Touristen werden bestimmt kommen", prophezeit Murat, und hat schon mal vier Gästezimmer angebaut.
"Ja" zur Wiedervereinigung
Auch viele seiner Landsleute blicken optimistisch in die Zukunft. 30 Jahre lang kümmerte ihre "Türkische Republik Nordzypern" vor sich hin, isoliert durch das Embargo der Weltgemeinschaft nach dem Einmarsch türkischer Truppen 1974. Die Insel wurde geteilt, der griechische Süden entwickelte sich zum populären Urlaubsziel, dessen Hotels sich bis zu den letzten freien Küstenstücken ausbreiten.
Die Situation hat sich geändert, seit der Norden beim Referendum 2004 "Ja" zur Wiedervereinigung sagte, die griechisch-orthodoxen Christen im Süden aber dagegen stimmten. Den türkischen Zyprioten brachte ihr Verhalten internationale Sympathie und Interesse an ihrem Land.
Den Touristikmanagern ist das nur recht. Endlich mal wieder ein neues Ziel in der abgereisten Urlaubswelt. Sonnig, gebirgig, naturbelassen und preiswert. Mit Orangenhainen, verträumten Dörfern, historischen Altstädten, Klöstern, Kathedralen, Museen, Moscheen, prächtigen Burgen, schicken Spielcasinos, über 300 Kilometer Küste. Alles ganzjährig nutzbar und noch ohne Rummel.
Sogar eine versunkene Weltstadt liegt hier: Salamis
Zudem kann das Eiland im östlichen Mittelmeereck mit einer bedeutenden Vergangenheit aufwarten. Alle mediterranen Herrschaftsvölker der letzten Jahrtausende kreuzten an Zyperns Gestaden auf, beziehungsweise fielen über das Land her - und hinterließen jede Menge antiker Ruinen. Sogar eine versunkene Weltstadt: Salamis. Einst hat sie trojanische Krieger, Alexander den Großen und den Apostel Paulus beherbergt. Heute ist sie erst zu zehn Prozent wieder ausgegraben. Da wandelt der Besucher ziemlich einsam zwischen den Rest-Säulen eines hellenistischen Sportpalastes und römischen Reihentoiletten, wo in ausgedehnten Sitzungen auch berufliche Geschäfte erledigt wurden, wie Historiker behaupten.
Vertraut erscheint uns Deutschen die Situation in der geteilten Inselmetropole Nikosia mit ihren Mauern, Hausruinen, Stacheldrähten und der Pufferzone voller Unkraut. Die Demarkationslinie verläuft quer durch das Altstadtviertel Arasta und trennt den griechischen Südteil vom türkischen Lefkosa. Was der Bahnhof Friedrichstraße in Berlin war, ist hier das Hotel "Ledra Palace". Am Schalterhäuschen bekommt jeder, der "mal rüber" will, gegen Vorlage des Passes einen Passierschein.
Verslumte Ursprünglichkeit spannender als neues Einerlei
Im Altstadtteil der Nordzyprioten sind die Dächer schief, bröckeln die Treppen, hängt Wäsche auf rostigen Balkongittern. Hier wohnen Billiglohnarbeiter, die aus Anatolien zugewandert sind. Ertan Yuvali, Vertreter für deutschsprachige Reiseländer im Tourismusministerium, betrachtet das nach Sanierung lechzende Milieu wohlgefällig: "Es ist unser Reichtum, dass wir hier noch nichts abgerissen haben." Moderne Touristen finden malerisch verslumte Ursprünglichkeit spannender als neues Einerlei.
Auf der Landkarte gleicht Nordzypern einem Deckel mit langem Stiel, der leicht verrutscht auf dem dicken Topf des griechischen Südens liegt. Der Knauf in der Mitte ist die alte Hafenstadt Kyrenia, die jetzt Girne heißt. Der Stiel, die Halbinsel Karpaz, ist für Naturfans und Wanderer ideal. Dank der politischen Isolation blieb die wilde Schönheit der Gebirgsregion konserviert, viele Buchten sind verwaist, Flora und Fauna unberührt. Schildkröten verbuddeln nachts ihre Eier im Sand.
An klaren Tagen ist die syrische Küste zu sehen
Wenige Strassen schlängeln sich durch Karpaz, passieren behäbige Gebirgsorte, in denen die Türken mit den wenigen verbliebenen Griechen friedlich zusammenleben. Über Steilküsten geht es zu kleinen Häfen, wo frühmorgens die Fischer in klobigen Holzkähnen ihren Fang in Körbe aus alten Autoreifen sortieren.
An der Landspitze, von wo an klaren Tagen die syrische Küste zu sehen ist, liegt das Andreas-Kloster. In dieser letzten steinernen Bastion des religiösen Griechentums im Nordteil leben nur noch ein Bauer mit drei Dutzend Katzen und eine Greisin. Ihr Oberhirte, der weißbärtige ehrwürdige Vater Zacharias, kommt nur einmal die Woche zum Messelesen. Für Besucher fingert die alte Frau einen rostigen Schlüssel aus ihrem schwarzen Gewand und öffnet die schwere Kirchentür. An diesem Tag tut sie es für eine griechische Zypriotenfamilie, die in den politischen Wirren nach Australien auswanderte und nun erstmals ihre Verwandten im Süden und "das Kloster, Heiligtum unserer Kindheit" wiedersehen will. Alle schauen mit feuchten Augen auf die rauchgeschwärzten Ikonen und drücken Geldscheine in die Opferbüchse.
Die Stille von Karpaz ist aber nicht jedermanns Sache. Ein deutsches Ehepaar moniert: "Zu viele alte Steine hier." Zu wenig los. Sie machen sich auf in die zwei städtischen Urlaubszentren Girne und Famagusta, das jetzige Gazimagusa. Im alten Girner Hafenviertel unterhalb eines archaischen Kastells flanieren junge Leute über den von Laternen gesäumten Boulevard. Musik schallt aus den Türen. Und das Licht der vielen Kerzen auf den Restaurant-Tischchen flackert bis hinunter zu den Yachten im dunklen Wasser.
Tipps
Anreise
Beim Flug zum nordzyprischen Flughafen Ercan ist ein Zwischenstopp in der Türkei nötig. Man kann auch direkt nach Larnaka im griechischen Teil fliegen und dann mit Leihwagen oder Taxi nach Norden fahren (Linksverkehr!). Die Nordzyprioten erlauben die Einreise aus dem Süden. Umgekehrt gibt es Probleme: Mit einem türkischem Auto/Leihwagen darf man nicht in den griechischen Süden.
Grenze
Es gibt vier Pkw-Wege über die 186 km lange "green line": in Nikosia, östlich davon bei Famagusta und zwischen Pyla und Pergamos und im Westen von Nikosia zwischen Astromeritis und Zodia.
Reisezeit
Ganzjährig. Im Juli/August sehr heiß.
Unterkunft
Die Städte haben ausreichend Hotels. (Infos s. Auskunft) In Karaman sind einige Häuser zu vermieten, im Karmi-Service-Center oder im Kaleidoskop-Reisebüro in Girne zu erfragen, Tel.: 0090/392/81 51 818 oder www.kaleidoskop-turizm.com. Auf Karpaz gibt es kleine Strandhotels und das rustikale "Arch House" der Regierung, Tel.: 0090/392/37 22 00-9, Fax: -7. Auch beim Andreas-Kloster kann man übernachten.
Auskunft
Nordzypern Tourismus Zentrum, Basler Str. 35 in 60329 Frankfurt, www.nordzyperntouristik.de
Veranstalter
Lothar Kögel Studienreisen, Berlin, Tel.:030/ 77 13 010, www.koegelreisen.de (2 Wo. Erholung u. Wandern, DZ/HP, Linienflug ab Berlin ab 1195 Euro). Weitere Angebote: Meridian Touristik, Bietigheim (Tel.: 07142/91 32 84, www.nordzypern-tours.de); Lupe Reisen Troisdorf (Tel.: 0228/65 45 55, www.lupereisen.com); Marco Polo, München (Tel.: 089/15 00 19-0, www.marco-polo-reisen.com); Öger Tours, Hamburg (Tel.: 01805/24 25 58, www.oeger.de).
Währung
Türk. Lire (1 TL schwankt um 0,50 Euro)
Politik
1960 wird die britische Kolonie Zypern unabhängig. In den 60er Jahren herrscht Bürgerkrieg zwischen griechischen und türkischen Bewohnern. 1974 erobert die türkische Armee ein Drittel der Insel. Die 1983 proklamierte "Türkische Republik Nordzypern" wird international nicht anerkannt.
Führer/Literatur
"Zypern"-Führer von Ralph-Raymond Braun, Michael Müller Verlag, 18,90 Euro. Lawrence Durrell "Bittere Limonen", rororo, 7,90 Euro.
Ums Eck glitzern die grellen Fassaden neuer Casinos. Girner Kulturtouristen erobern lieber die dreistufige Kreuzfahrerburg St. Hilarion. Von den wuchtigen Mauerbrüstungen sieht man das Fünffinger-Gebirge und auf der Gegenseite Karaman (Karmi), wohl das schönste Dorf Nordzyperns. Deutsche, belgische, französische und britische Aussteiger haben den verlassenen griechischen Bergort zu einer denkmalgeschützten Mustersiedlung renoviert, mit viel Clematis, Bougainvillea und Hibiskus.
Unterm "Baum des Müßiggangs"
Beim Ausflug nach Bellapais beeindrucken die gotische Klosterruine und jener legendäre Maulbeerbaum, den der englische Dichter Lawrence Durrell als "Baum des Müßiggangs" beschrieb. Wer hier Platz nahm, wurde "unfähig zu ernster Arbeit". So nimmt denn auch der Wirt im Café nebenan seinen Job sehr gelassen. Bis der bestellte Espresso mit einem Glas Wasser und den obligatorischen Nüssen serviert wird, geht die Sonne hinter dem Klostergarten rotlila unter. Oasen, die weniger werden. Die Spekulation auf eine blühende Zukunft lockt internationale Konzerne an, die genormt bauen und mit Palmen aus Saudi-Arabien begrünen.
In Famagusta gibt es noch eine ursprüngliche Altstadt. Hier schmusen Pärchen auf Mauerresten eines Palazzo, spielen Kinder neben alten Kanonen und schnurrbärtige Männer in der Taverne Backgammon. "Wo herkommen?", fragt einer. Aha. Deutschland. Er habe in Mannheim gearbeitet, sagt ein Dunkelgelockter begeistert und spendiert eine Runde Weinbrand. Ein anderer erzählt von einem Onkel, der sein Glück in Duisburg fand, und wirft die nächste Runde. Wir revanchieren uns - es wird ein herzlicher und langer Abend.