Colma Gestorben wird immer

Es wimmelt hier von Toten. Die ganze Stadt ist voll damit: In Colma, einem Vorort von San Francisco, kommen auf jeden der 1.500 Einwohner 1000 Leichen. Warum? Der Frage ist stern.de-Autor Helmut Werb nachgegangen.

Nein, nein! Nicht weil Colma von Zombies und Leichenfledderern bewohnt ist. Wobei das bei den Bewohnern des einen oder anderen Vororts von San Francisco gar nicht so absurd erscheint. Sondern weil die Stadt stolz verkündet, mehr Einwohner unter der Erde als darüber zu haben. Gedenksteine soweit das Auge reicht. "Wir haben knapp 1500 Einwohner, lebende", sagt Dianne McGrath, sowas wie die Bürgermeisterin der scheintoten Gemeinde, mit einem Lächeln und nicht ohne Stolz, "und ungefähr 1,5 Millionen Tote."

Colma liegt eingebettet zwischen dem Freeway I-280 und einer wahren Festung von zwanzig Autohändlern, keine halbe Stunde südlich von Downtown San Francisco. Und die Kleinstadt "makes a living with the dead", wie mir allen Ernstes der örtliche Sheriff versicherte, der hauptsächlich damit beschäftigt ist, die bei amerikanischen Beerdigungen traditionellen Autokolonnen wohlbehalten - und frei von Unterbrechungen - bis ans Grab zu bringen. Kein makabrer Scherz: Colma verdient tatsächlich seinen Lebensunterhalt mit den Toten und kann sich mit Fug und Recht - und ohne jegliche Ironie - die amerikanische Hauptstadt der Verblichenen nennen.

Ein Grabstein als Adresse

Ganze siebzehn Friedhöfe, von der "Italian Cemetary" über die von asiatischen Familien eingenommene "Woodlawn Memorial Park" bis hin zum katholischen Friedhof zieren die Hügel. Prächtige Mausoleen und Krypten posieren als Stadtarchitektur. Dreiviertel der fünf Quadratkilometer, die Colma einnimmt, haben einen Grabstein als Adresse. Morbide Fashion-Aficionistas können vor der Hermes-Crypt das Knie beugen und vor Lacoste's Mini-Mausoleum Respekt bezeugen, während einige Meter unterhalb des mit Leichen vollgepfropften Hügels Automechaniker die überbeschäftigten Leichenwagen instand halten, und Owen Molloy, Besitzer der einzigen Kneipe des Kaffs, den Großteil seines Lebensunterhaltes mit dem Catern von Trauerfeiern bestreitet.

Neben den Dutzenden von Begräbnisunternehmen, den Floristen, den "Hearse Rentals" (den Vermietern von Leichenwagen) gibt's nur noch einen gigantisichen Shopping Mall, der in keinem Dorf in den USA fehlen darf, und die Autohändler. Das schlägt sich auch auf die Besschäftigungsstatistik nieder: Mehr als zwei Drittel aller in Colma registrierten Lohnempfänger wird auf den Friedhöfen beschäftigt. Die Handelskammer trägt schwarz. Gerne.

Golfplatz muss Friedhof weichen

Was Colmas Bürger je dazu brachte, den Weg des Erfolgs über das Geschäft mit den Dahingeschiedenen zu suchen, ist gut nachvollziehbar: San Francisco verbot Anfang des letzten Jahrhunderts Friedhöfe innerhalb der Stadtgrenze, und Colma sprang 1924 mit der "Lawndale Cemetary", dem ersten "offiziellen" Friedhof, gern in die Bresche. Unter der Hand wird jedoch der Mythos kolportiert, ein äußerst rühriger Begräbnisunternehmer hätte vor einem knappen Jahrhundert kurzerhand und in typisch amerikanischer Manier das Geschäft mit den Toten vereinnahmt, nachdem er sich Colmas Immobilien unter den Nagel gerissen hatte und daraufhin seinen Mitbewerbern das Ableben erleicherte

Wie auch immer - seit einem halben Jahrhundert brummt der Laden. Um Platz zu schaffen, wurde vor ein paar Jahren der Golfplatz von achtzehn auf neun Löcher reduziert, und auch die in Colma beerdigten Haustiere mussten zusammenrücken: die Hälfte der 8000 Quadratmeter des Friedhofs der Kuscheltiere ging an die menschliche Kundschaft. Darauf ruhen nun Vietnamesen.

Helmut Werb

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