Samt ihrer Patchwork-Familie reiste eine extravagante Pariserin im November 1838 ins entlegene Palma auf Mallorca. Ein Dampfschiff, das bei Glück und ruhigem Wetter einmal pro Woche verkehrte, setzte sie von Barcelona über, und die erste Begegnung mit der 36.000- Einwohner-Stadt markierte den Beginn einer wunderbaren Feindschaft. Alles, was man ihr als Unterkunft anbot, passte Madame nicht. Die Eingeborenen bezeichnete sie als apathische Verlierertypen: schmutzig, arbeitsscheu, dumpfsinnig.
"Schamlose Unehrlichkeit und grobe Gier" machte die spitzfedrige Erfolgsschriftstellerin zudem aus. Da die Hautevolee der Stadt sich als ebenso gästefeindlich, degeneriert und verschlagen erwies, waren George Sand, geschiedene Baronin Dudevant, und ihr tuberkulöser Gefährte Frédéric Chopin heilfroh, die Insel nach fünf Monaten wieder verlassen zu können. Der Nachwelt zur Warnung goss Frau Sand ihre Erfahrungen in den Reisebericht "Ein Winter auf Mallorca". Er würde, heutzutage verfasst, unter "Aufstachelung zum Völkerhass" firmieren, liest sich aber immer noch köstlich. Und heute? Heute schlendert der Gast aus Kontinentaleuropa unter den Kolonnaden an Palmas Prachtboulevard Jaume III, macht einen Streifzug durch das Kaufhaus Corte Inglés, späht die Boutiquen mit ihrem Angebot an schicken Klamotten, Hütchen, Schühchen, Täschchen und Klunkerwerk aus, vieles davon auf der Insel gefertigt. Überlegt, ob die Kreditkarte den Besuch eines der Etablissements wohl aushielte, muss das nach Betrachtung der Preisschilder leider verneinen, kauft sich stattdessen eine Riesenkugel Cacahuete - Erdnusseis -, schwenkt zur Plaça Rei Joan Carles und legt einen Auftankstopp in der Bar Bosch ein.
Eine polierte Perle - dennoch nicht künstlich, sondern hochlebendig
Die steht zwar seit ewig in jedem Reiseführer, doch ihre Kellner haben nach wie vor jenen steifen, würdevollen Habitus bewahrt, gepaart mit der in Spanien üblichen Service-Effizienz. Eine Freude! Empfiehlt sich, in die schlauchartige Bar hineinzugehen. Ja, Palma. Wie hast du dich verändert, seit die freche Emanze Sand durch deine staubigen Gassen ging - höhnend, Palmeros hielten sich wohl gern in Zugluft auf, was die Abwesenheit von Fensterscheiben erkläre. Heute ist die Einwohnerzahl der Stadt auf mehr als das Zehnfache angeschwollen. Statt verarmtem Adel, der damals untätig seine Latifundien verfraß, haben jetzt Entrepreneurs das Sagen, die alle auf irgendeine Art vom Dauerboom des Inseltourismus zehren. Die Stadt hat Steuergeld wie Heu, und damit putzt sie sich raus. Verschönert Plätze, richtet Boulevards und Hafenpromenaden her, saniert Fassaden, baut Springbrunnen, legt Meere von Blumenbeeten an, wertet Museen und Theater auf. Palma ist eine polierte Perle geworden, wirkt dennoch nicht künstlich, sondern hochlebendig. Das Interessante spielt sich in einem kleinen Innenstadtareal ab, das umgrenzt wird von der ehemaligen Stadtmauer, alles zu Fuß erreichbar.
Natürlich beginnt man bei der unglaublichen Kathedrale, welche die Altstadt dominiert. Ein gotisches Riesenteil mit drei Schiffen, ab 1306 als Symbol für die christliche Rückeroberung der Insel erbaut, sinnigerweise genau dort, wo bis dato der Muezzin rief. Sämtliche Stilrichtungen sind seit Baubeginn in die Kirche eingeflossen, von der Renaissance bis zu Antoni Gaudís charakteristischen Verspieltheiten. Seit der mallorquinische Künstler Miquel Barceló vor ein paar Jahren eine Seitenkapelle neu gestaltet hat, ist der Ansturm noch größer geworden. Ein Besuch kostet neuerdings Eintritt, vier Euro, eine gute Sache. Für vier Euro bekommt man am Ballermann ein großes Bier, was so manchen Tagestouri davon abhält, sich zum Ausruhen in die kühle Kathedrale zu setzen, schlimm auszusehen und hemmungslos herumzublitzen. Man wünschte ohnehin, einen jeden, der das Sanktuarium mit seiner Digiknipse belästigt, möge ein himmlischer Gegenblitz treffen. Wer die Straßen oberhalb der Kathedrale durchstreift, muss scharf hingucken. Besser noch, mit einem Führer gehen. Viele der schönen Wohnpaläste mit ihren Patios - den begrünten Innenhöfen - und herrschaftlichen Treppenaufgängen machen von außen nicht viel her.
Palma hat in den vergangenen Jahren künstlerisch ungeheuer aufgedreht
Erst durch die schmiedeeisernen Tore erkennt man die Pracht. Manchmal nistet dahinter auch das nackte Elend; etwa, wenn kein Familiengeld mehr da ist, um das Anwesen zu halten, oder sich die Erben eines solchen Besitzes verzanken. In der Calle del Sol ist ein schönes Haus zu besichtigen, das einer ehemaligen Münzerfamilie gehört. Ja, zu besichtigen, und zwar in der Woche vor Fronleichnam. Dann werden zum Frühlingsfest viele Häuser für Besucher geöffnet und Führungen veranstaltet. Rare Gelegenheit, mal hinter die Fassaden zu sehen. Werktags offen dagegen ist ein wenig bekanntes Juwel, das Kloster Sant Francesc an der gleichnamigen Plaça. Der riesige Kreuzgang und ein Gold-Altar von verschmocktester Barockheit belohnen den findigen Besucher. Nicht weit davon, nahe der nicht sonderlich beeindruckenden Plaça Major, lauert ein anderes Highlight, zwei Jugendstilhäuser mallorquinischer und österreichischer Prägung. Sodann quer über den Platz laufen, und man steht vor der Fundació Joan March. Die nach dem palmerischen Zigarettenschmuggler, Franco-Freund und späteren Großbankier benannte Stiftung enthält Palmas hochkarätigste Kunstsammlung, mit Werken von Miró, Dalí, Picasso, Barceló, Tápies, Oteiza und anderen. Das Gebäude wirkt von außen unscheinbar. "Schade", sagt Imma, unsere resolute Führerin, "die Touristen laufen dran vorbei."
Was vielleicht auch am Touristentypus liegt. Palma wimmelt von Ausländern, aber fast alle kommen aus den Ferienzentren an der Küste. Ein Rätsel: Die flugtechnisch bestangebundene Stadt Europas empfängt nur wenige individuelle Städtereisende, die es auf Kunst und Kultur abgesehen haben. Liegt es am alten Klischee vom Ballermann? Imma findet, zwecks Imageaufbesserung sollte man Touristen, die halb nackt durch die Stadt laufen, sofort ein Strafmandat aufbrummen. Zugegeben, Palma hat in den vergangenen Jahren künstlerisch ungeheuer aufgedreht. Und es muss nicht immer Joan Miró sein, Mallorcas etwas überschätzter Pinselgott, dem im Stadtteil Cala Major ein eigenes Museum geweiht ist. Es gibt Kunstzentren zuhauf, darunter solche wie das Baluard-Museum für moderne Kunst mit seinem spektakulären Ausblick über Hafen und Altstadt. Die mallorquinischen Maler in der Fundació La Caixa an der Plaça Weyler bilden das Beiwerk für ein verrücktes Jugendstilhaus, abends spektakulär angeleuchtet. Das Casal Solleric gegenüber der Bar Bosch ist nur ein hübscher Barockpalast mit ein paar schrägen lokalen Exponaten, einer Kunstbuchhandlung und einem Café.
Palma nur so, ohne Programm, das geht auch
Aber die neapolitanische Krippe im Palau March beim Almudaina-Palast beeindruckt mehr als die dort auch ausgestellten Dalí-Zeichnungen. Die Geburt Christi und ihre Zeit als versteinertes Theater inszeniert, ganz großes Kino. Mit ihrer Kunstbeflissenheit übertreibt es Palma manchmal. An diversen Stellen lagert voluminöser Schrott aus dem Hause Richard Serra, möglicherweise Abfallprodukte seiner Arbeit für das Bilbaoer Guggenheim- Museum, die der geschäftssinnige Meister nach Palma entsorgt hat. Aber bei allem großspurigen Gerödel blüht auch der kleine Privatsektor. Eine Reihe von Galerien hat sich in und um die Carrer Verí etabliert, einem veritablen Kunst-Souk. Palma nur so, ohne Programm, das geht auch. Sogar gut! Ziellos durch das Gassengewirr stromern, dem maschinengewehrschnellen, harten Geschnatter - vale, vale! - der Einheimischen beim Handytelefonieren lauschen. An unvermutete Kirchen kommen, eintreten, Weihrauch schnuppern, fliehen, vorher vielleicht eine Kleinigkeit in den Opferstock tun, man weiß nie, wozu’s gut ist. Auf winzigen Plaças sitzen, hübsche Fassaden betrachten wie die vom Restaurant Forn des Teatre gegenüber dem alten Gran Hotel. Im Esssaal des Hotels, das jetzt einer Sparkasse gehört, schrieb der Dichter Joan Alcover 1903 Mallorcas Inselhymne "La Balanguera".
Dann die vielen Traditionsgeschäfte bewundern, wie es sie bei uns kaum noch gibt. Etwa den Edel-Schuhmacher Carmina an der Unió, der für 300 Euro rattenscharfe Kroko-Treter verkauft. An dessen Fensterscheiben drücken sich Flaneure die Nase platt, ebenso an denen der gegenüberliegenden schwerst kitschigen Pasteleria mit ihren quietschbunten Pyramiden kandierter Früchte, deren bloßer Anblick Löcher in die Zähne fräst. Und dann, wenn man ganz besoffen vor Begeisterung ist über das Sandstein-Labyrinth mit seinen verborgenen Schätzen, kommt der Abtörner wie eine Faust in den Magen. Ohne Warnung stößt man mitten in der Altstadt auf einen deutschen Friseurladen, den die Bundesschwatzdrossel Udo Waltz eröffnet hat. Marlies Möller ist auch längst da. Und Eugen Block, der Steakhousekönig. Da ist sie wieder, die dunkle Seite der Globalisierung. Aber gegen Palmas Glanzlichter hat sie keine Chance.
Anreise
Nonstop-Flüge von allen deutschen Flughäfen. Die meisten Verbindungen bietet die - nicht immer billige - Air Berlin an (www.airberlin.de). Die Tarife variieren je nach Reisetag und Abflugzeit stark. Manchmal lohnt es sich, mit einer Airline hin- und einer anderen zurückzufliegen. Telefonvorwahl: 0034/971
Übernachten
Seit George Sands Besuch hat sich die Hotelsituation in Palma nicht wirklich gebessert. Es mangelt in der Hochsaison, an Festen wie Ostern oder auch während der Bootsmesse an Zimmern im Kern. Preiswerte Pensionen fehlen fast völlig. Kleine Hotels sind oft ausgebucht und nicht billig.
- 1. Misión de San Miguel, Can Maçanet 1a. DZ/Fab 110 Euro. Tel.: 214/848, Fax: -545, www. otelmisiondesanmiguel.com
- 2. Hotel Dalt Murada, C/Almudaina 6-A. DZ/F ab 126 Euro. Tel.: 425/300, Fax: 719/708, www.hotelda murada.com
- 3. San Lorenzo, C/San Lorenzo 14. DZ ab 135 Euro. Tel.: 728/200, Fax: 711/901, www.hotelsan orenzo.com
- 4. Palacio Ca Sa Galesa, Carrer de Miramar 8. DZ ab 301 Euro. Tel.: 715/400, Fax: 721/579, www.palaci casagalesa.com
- 5. Portixol C/Sirena 27. DZ/F ab 210 Euro. Tel.: 271/800, Fax: 275/025, www.portixol.com
- 6. Hospes Maricel, Carretera d’Andratx 11 in Calvià. DZ ab 250 Euro. Tel.: 707/744, Fax: -745, www.hospes.com
Unbedingt meiden: das hellhörige, schlecht geführte Hotel Saratoga. Die großen Touristenherbergen am Paseo Marítimo (etwa das Melía Palas Atenea, 20 Gehminuten zur Innenstadt) können eine Alternative sein. Oder man quartiert sich preiswert in einer Bettenburg an der Playa de Palma ein (z. B. unter www.riu.com, www.barcelo.com oder www.solmelia.com ). Von hier fahren Busse bis Mitternacht ins Zentrum von Palma (20 Minuten) und zurück, etwa die Linie 1 (Haltestelle in Palma: Plaça de la Reina).
Tapas, Kneipen und Cafés
Lizarran (C/Enric Alzamora 2); La Bóveda (C/Botería 3); Café Lírico (Avenida Antonio Maura 6), Ca’n Joan de S’Aigo (C/Can Sanc 10); Gelats Ca’n Miquel (Jaume III, bestes Eis in Palma).
Restaurants
Forn de Sant Joan, Sant Joan, 4 (www.forndesantjoan.net); Restaurante Nautic im Real Club Nautico (neuer Betreiber) Muelle San Pedro 1; Koldo Royo am Paseo Marítimo 3, Michelinstern (koldoroyo.es); Mar Blau, Passeig Mallorca (neben Block House); Restaurante Bellviure, C/Indústria 13; Olsson Garlic & Shots, C/Cotoner 33 (alles mit Knoblauch), Escape, Drassana 13 (internationale Gerichte).
Musikclub
Derzeit angesagt: King Kamehameha Club am Paseo Marítimo 29.
Kunst/Museen
Es Baluard, Museum für zeitgenössische Kunst, Plaça Porta Santa Catalina, 10; Casa Museo J. Torrents Lladó, C/de la Portella, 9; Can Marqués, ehemaliges Herrenhaus, Besitzerin hat beste Kontakte zu Künstlern in Palma, C/Zanglada 2 A.
Shopping
Kunsthandwerk (Glas, Leder, Eisen, Holz, Stoffe) im Passeig per l’Arte– sanía (Plaça de la Artesanía); Xisco Caimari, mallorquinischer Designer (C/Protectora); Juncosa (C/Sant Nicolau 12) und Quesada (Passeig des Born), traditionsreiche Stoffgeschäfte; Gordiola, Glasbläserkunst (C/ Victoria 2); Mercado Olivar (Plaça Olivar), Markt mit Meeres- und Inselprodukten; La Pajarita, mallorquinische Delikatessen (C/ Sant Nicolau 4).