EM-Tagebuch, Tag 4 Hass-Attacken beim Zeitungskauf

Von Klaus Bellstedt
Unser EM-Reporter hat es schon schwer. Beim morgendlichen Zeitungskauf schlägt ihm jeden morgen pure Abneigung entgegen. Bloß weil er Deutscher ist. Jetzt versucht er alles, um das Bild des bösen Deutschen in Österreich wieder zurechtzurücken.

Jeden morgen kaufe ich mir meine Zeitungen in einem winzigen Kiosk in Salzburgs Getreidegasse. Es sind immer dieselben. Vier, manchmal fünf. Mindestens ein österreichisches Blatt ist auch immer dabei. Seit vier Tagen geht das jetzt schon so. Und jedes Mal wird der Kauf mehr und mehr zu einem Kleinkrieg, einem Privatduell zwischen mir und der verbiesterten Verkäuferin. Sie hasst mich, ich hasse sie.

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Wie konnte es soweit kommen? Lesen Sie weiter! Ich habe sie nicht beklaut. Okay, ich bin Deutscher, noch dazu Journalist, ABER: Ich begrüße sie morgens nicht mit "Moin", sondern artig mit "Grüß Gott". Zahle immer mit Kleingeld und nicht mit großen Scheinen. Ich weiß einfach nicht, was die Dame, schätze sie auf das gefährliche Frauenalter zwischen 45 und 50, gegen mich hat. Ist mir mittlerweile auch egal.

Ich bin eigentlich ein freundlicher Mensch

Meine Abneigung gegen sie wird jedenfalls auch von Tag zu Tag größer. Mir widerstrebt das, weil ich eigentlich ein freundlicher Mensch bin. Noch dazu kann ich Streit oder Ärger am frühen Morgen überhaupt nicht ertragen. Drei Tage habe ich probiert, trotz ihrer Muffelattacken ruhig zu bleiben. Aber heute habe ich zurückgeschossen. Entschuldigen Sie den Ausdruck, aber der trifft es am ehesten.

Zielsicher und fest entschlossen greife ich mir also meine fünf Zeitungen. Wobei 'greifen' es nicht richtig trifft. Ich reiße sie extra doll aus dem Ständer, weil ich weiß, dass sie das hasst. Auf dem Meter hin zur Kasse blättere ich bereits hektisch einige Gazetten durch. Auch dafür bin ich schon mächtig angeraunzt worden. Extrem arrogant werfe ich ihr den 50-Euro-Schein auf den Tresen. Ich bin jetzt voller Erwartung (und Vorfreude) auf die Hasstirade meines Lebens. Die Frau muss platzen vor Wut, denke ich.

Auf einmal hat sie Tränen in den Augen

Aber das tut sie nicht. Sie hat Tränen in den Augen. Mit allem hatte ich gerechnet, nur damit nicht. Wie geht man jetzt mit so einer Situation um? Ich besinne mich darauf, eigentlich ein freundlicher Mensch zu sein. Auf einen Schlag ist all die Abneigung wie weggepustet. Ich frage sie, ob ich ihr helfen könne. Das macht es noch schlimmer. Sie bricht in Tränen aus, sie schluchzt (kennen Sie dieses ganz schlimme Heulen???) und versucht erste sprachliche Bruchstücke herauszulassen.

Ihre Katze, die "Muschi", sei vor drei Tagen überfahren worden. "Ach Mensch, das tut mir leid", versuche ich zu trösten. Und dann stelle ich ihr die Frage der Fragen: "Warum behandeln sie mich seit drei Tagen so, als wäre ich der Mörder ihrer Katze?" Sie entschuldigt sich und klärt auf: Muschi sei von einem deutschen Autofahrer überrollt worden. Seitdem geht es mit ihrer "Zuneigung" den Deutschen gegenüber rapide bergab, und ich sei ja ganz offensichtlich ebenfalls ein "Piefke".

Sie bekommt eine Katzenpostkarte

Ich glaube, so etwa nennt man Totschlagargument. Diskussionen sind jetzt nicht erlaubt. Stumm stecke ich das Wechselgeld ein, ein schüchternes "Wiederschauen" und ich verlasse den Kiosk. Und wissen Sie was? Ich werde morgen wieder zu der Frau gehen und meine Zeitungen kaufen. Und ich werde ihr eine Katzenpostkarte mitbringen. Ich muss das Bild des hässlichen Deutschen wieder gerade rücken.

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