EM-Tagebuch, Tag 18 Voll in der Touri-Falle!

Von Klaus Bellstedt
Vom Hunger getrieben verschlägt es unseren EM-Reporter im mondänen Tessin in ein Sterne-Restaurant. Das bemerkte der arme Mann aber erst beim Präsentieren der Rechnung. Jetzt fordert er von seinem Chefredakteur eine Spesenerhöhung für den Bereich am Lago Maggiore.

Am Lage Maggiore gibt es viele schöne Restaurants und kleine Bars, natürlich sind die meisten von ihnen Touristenfallen. Aber die betuchten Senioren, die rund um Ascona und Locarno hier ab Mitte Mai einfallen, stört das nicht im Geringsten. Wer in dieser mondänen Gegend sein müdes Haupt meistens auch für länger als zwei Wochen ablegt, der hat keine Not im Portmonee. Bei Journalisten, genauer gesagt bei schreibenden Journalisten, verhält es sich freilich anders. Eigentlich kann sich keiner von uns den Aufenthalt im Tessin leisten. Und ich spreche jetzt mal nicht von den Hotel- und Reisekosten. Die werden ja von den Heimatredaktionen übernommen. Auch den mickrigen Spesensatz von ...nein, ich schreib es besser nicht, klammer ich mal aus. Es geht hier schlicht und ergreifend um die täglichen laufenden Kosten, die hier unten am Lago so anfallen. Hier mal drei Zeitungen, da mal ein Cafè, aber vor allem: das Abendessen!

Im Pressezentrum des DFB in Tenero kann man sich tagsüber immerhin in der halben Stunde, in der das Mc Café (!!!) geöffnet hat, "for free" mit Donuts (übrigens exzellent) und Latte Macchiato (miserabel) betäuben. Aber spätestens ab 18/19 Uhr macht sich der gesamte ausgehungerte Journalistentross auf zum Sturm auf die Restaurants rund um den Lago Maggiore. Wobei man wissen muss: Journalisten bewegen sich gern in Kleingruppen - und haben kein Geld. Gestern Abend dachte sich also meine Gruppe etwas ganz Cleveres aus. Zur Nahrungsaufnahme-Schnäppchenjagd wollten wir in die Berge ausweichen, dorthin, wo es gar nicht teuer sein kann, weil der See zu weit weg ist. Sollen die blöden Touris mal schön weiter an der Lago-Promenade ihre Kohle lassen, mit uns nicht! Wir sind schließlich gewiefte und mit allen Wassern gewaschene Schreiber.

Der Ausblick war der Knaller

Also ab in den Leihwagen und rauf in die Anhöhen. In Serpentinen schlängelten wir uns den Berg hinter Locarno hoch. Da, die ersten kleinen Osterias, och nö, ganz so schrammelig sollte es auch nicht sein. Weiter ging die wilde Hatz, die Launen wurden schlechter, auch weil der Hunger heftiger wurde. Dann endlich, rechts, ein kleines, rustikales, aber scheinbar persönlich geführtes Restaurant. Genau richtig für uns, genau richtig für unsere Börsen. Und jetzt kommt's: dieser Blick! Die Terrasse unserer süßen Pinte war der Knaller, direkt in den Hang gebaut mit freier Sicht auf den Lago bis nach Italien. Dazu Plastiktischdecken und Papierservietten. Das konnte nicht teuer sein. Schnell also wurde die erste Runde Birra geordert und dazu (ganz wichtig!) immer ganz viel Wasser bestellen.

Noch vor dem Bier kam dann der Koch an unseren Tisch. Worauf wir denn Hunger hätten, Pasta, Fisch, Fleisch? Er habe alles ganz frisch da, wir gaben unsere Bestellung auf (alle unisono Salat und Lasagne), er lächelte und verschwand wieder in der Küche. Ach ja, zum Essen muss man im Tessin Wein trinken, also orderten wir direkt zwei Karaffen vom Hauswein. Sicher viel billiger als zwei Flaschen, dachten wir so ganz im Stillen, wir sprachen es allerdings nicht aus. Dann das Essen: wunderbar, delikat, ohne Worte! Ok, die Portionen hätten größer sein können, aber sonst? Alles perfetto! Der Koch erschien dann noch ein zweites Mal. "Jemande Appetit auf Nachtisch?" Na logen, alle Mann waren bereit und in freudiger Erwartung für und auf Panacotta mit Erdbeeren. Übrigens ebenfalls ein Traum. Und natürlich durfte die obligatorische Ramazotti-Runde zum Magenschließen nicht fehlen.

Fassungslos und widerwillig beglichen die Rechnung

Bei uns am Tisch herrschte mittlerweile ausgelassene Stimmung, wir freuten uns, den Touristenfallen hier oben ein Schnippchen geschlagen zu haben und forderten höflich die Rechnung. Wieder erschien der Koch, anscheinend der Chef hier, auf der Bildfläche und präsentierte leicht süffisant (so bildete ich mir im Nachhinein zumindest ein) il conto, die Rechnung. Und jetzt in Worten: Gemeinsam sollten wir sechshundertundfünfzig Schweizer Franken berappen. Umgerechnet also fast genau 400 Euro. Wie jetzt? Wir fragten beim Chef nach, warum er uns das nicht eher gesagt habe. "Habe nix gefragt junge Freunde und außerdem habe gute Essen und schöne Blick auf Lago Maggiore gehabt esta sera."

Fassungslos und widerwillig beglichen wir unsere Schulden und zogen von dannen. Das Grausamste aber: Da ich der einzige mit Kreditkarte war, musste ich den ganzen Kram auf meine Kappe nehmen. Die nächsten zehn Jahre wird es also dauern, bis mir die Kollegen (allesamt aus München) das Geld zurückzahlen werden. Wenn überhaupt. Hiermit fordere ich meinen Chefredakteur auf, den täglichen Spesensatz für den Bereich am, aber vor allem oberhalb des Lago Maggiore zu verdoppeln!

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