Ein guter Mensch. Das will ich sein. Einer, der dankbar ist, dass es seiner Familie und ihm gut geht. Einer, dem die anderen nicht egal sind. Das ist der Anspruch. Die Realität sieht oft anders aus. Moral ist schnell gepredigt. Gute Vorsätze klingen schön.
Sie umzusetzen ist sehr viel schwieriger. Ja, ich sollte, ich müsste mal Dinge für andere tun, mich engagieren. Jetzt ist die Zeit. Es brennt in Europa. Menschen leiden. Aber da ist noch dieser andere Teil meines Ichs: der bequeme, der genervte, der zögernde Teil. Der hin und her überlegt und sich nicht durchringen kann.
Eigentlich müssten wir das doch auch tun
Freunde mit weniger Platz als wir haben eine junge Ukrainerin mit ihrem Kind und der Oma aufgenommen. Meine Frau und ich sind voller Bewunderung. Wie toll! Da wird gehandelt, nicht nur geredet.
Und ich sage zu meiner Frau: "Eigentlich müssten wir das doch auch tun. Jemanden von diesen armen Menschen aufnehmen. Wir haben doch die Zimmer der Jungs. Die kommen ja nur ein paar Tage im Jahr zu Besuch."
Meine Frau sieht mich an. "Ja", sagt sie. "Das müssten wir. Aber du bist doch schon genervt, wenn wir ein paar Tage Freunde zu Gast im Haus haben und fühlst dich unfrei und eingeschränkt. Du fremdelst notorisch. Gutes Herz, aber dünne Haut."
Ich schweige.
"Ich wäre dabei", fährt meine Frau fort. "Aber wir müssen uns im Klaren darüber sein, was wir tun. Zwei Zimmer hinten, ja. Aber Küche und Bad werden wir teilen. Mit fremden Menschen."
Ich nicke. Sie hat ja recht. Ich würde mich im eigenen Haus unwohl fühlen. Ich sehe es vor mir: Wir sitzen auf dem Sofa und gucken "Tatort". Und dann kommt jemand von hinten aus dem Anbau, geht durchs Wohnzimmer in die Küche, kocht sich was und guckt dann mit. Ich weiß: Ich will das nicht. Und fühle mich schlecht dabei. Wie erbärmlich. Wie klein. Vorweggenommene Befindlichkeitsstörungen gegen die aktive Bekämpfung von Leid und Vertreibung. Und doch kann ich nicht anders. Es muss doch andere Wege geben.

Zweisamkeit – mit schlechtem Gewissen
Also bieten wir den Freunden mit den Geflüchteten unsere Hilfe an. Hol- und Bringdienst mit dem Auto, Babysitten, Behördengänge. Wir wollen die Last ein wenig teilen. Und doch bleibt ein schaler Nachgeschmack. Unsere Freunde und nicht wir haben die drei Menschen zu Hause. Wir merken, dass sie gestresst sind. Die junge Frau aus Kiew hat Angst um ihren Mann an der Front. Eine Atmosphäre wie Blei. Man kann nur ahnen, was sie durchmacht.
Und wir fahren irgendwann heim und decken den Abendbrottisch in trauter Zweisamkeit. Mit schlechtem Gewissen. Dabei gibt es so viel zu tun. Ich höre von Nachbarn, die mit dem eigenen Transporter mit Hilfsgütern an die polnisch-ukrainische Grenze gefahren sind. Auf dem Rückweg haben sie vier Geflüchtete mitgenommen und in eine Erstaufnahmeeinrichtung gebracht. Toll!
Ich habe ja keinen Transporter, denke ich. Unser Jüngster – er lebt in Berlin – hat auch keinen Transporter, aber er hat geholfen, welche zu beladen. Zwei Anrufe, dann wusste er, wo Hilfe vonnöten war. Warum bin ich nicht auf diese Idee gekommen? Ich nehme mir fest vor, mich zu erkundigen, wo man helfen kann. Und tatsächlich: Eine Gemeinde weiter gibt es in Kürze einen Treff von Hilfswilligen, die sich organisieren wollen. Es ist gar nicht so schwer. Warum bin ich so blockiert?
Urlaubsplanung scheint mir geschmacklos in diesen Zeiten
Vor drei Wochen haben wir in Hamburg gegen den Krieg demonstriert. Es waren eine Menge Leute da. Die Straße schwarz vor Menschen. "Das ist ja das Mindeste, was man tun kann", sagte ich mir. Zwei Stunden mitmarschieren für die gute Sache. Letztes Wochenende war wieder eine Demo. Da sind wir dann schon nicht mehr hin. Scheiß-Phlegma!
Ein paar Tage später haben wir zu Hause gesessen und überlegt, ob es jetzt okay ist, den nächsten Urlaub zu planen. Geschmacklos, sage ich zu meiner Frau. Wir wollen 1600 Kilometer nach Süden fliegen, und in die andere Richtung ist es genauso weit nach Kiew. Da Sonne und Wandern. Dort Bomben und Tod.
Ich kann es ja nicht ändern. Aber ich will kein Ignorant sein. Und irgendwo dazwischen geht das Leben weiter. Und der Krieg wird mit jeder weiteren Woche immer mehr zu einem depressiven Grundrauschen. Wie ein schlechter Soundtrack zum eigenen Alltag. Wir sehen jeden Abend die Nachrichten. Ich höre den Militärexperten zu. Den Analysten und Erklärern. Und dann sehen wir eine Komödie. So ist es, das Leben. Aber ich fühle mich unwohl dabei.
Raus aus der Komfortzone und Hilfe anbieten
Was, liebe Leserinnen und Leser, will ich Ihnen nun mit diesem Text sagen? Mich erklären? Mich entschuldigen? Zumindest will ich mich mit mir und meiner Zögerlichkeit nicht einfach so abfinden. Vielleicht geht es Ihnen ja wie mir. Vielleicht bin ich nicht der Einzige, der sich zu passiv, zu mutlos oder zu inkonsequent fühlt.
Aber das muss ja nicht so bleiben. Eigentlich will ich mich und Sie mit diesem Text nur ein wenig motivieren, die eigene Komfortzone doch noch zu verlassen. Es muss ja nicht jeder gleich Geflüchtete bei sich zu Hause aufnehmen. Manche sind damit schlichtweg überfordert. So wie ich. Dann gibt es andere Wege, zu helfen.
Meine Frau und ich haben gespendet. Das klingt jetzt wenig ruhmreich. Jeder kann das. Aber Geld für die Menschen in der Ukraine ist auch wichtig. Es fehlt dort an allem.
Ich habe meinen Frieden damit gemacht, dass ich meine Hilfe nur indirekt anbiete. Das ist völlig in Ordnung. Auch manche Helfer brauchen Hilfe, weil sie allein überfordert sind. Es kann schon entlastend sein, mal mit Gästen aus der Ukraine zu Terminen zu fahren oder mit ihnen einkaufen zu gehen. Das können Sie auch, fragen Sie einfach. Bieten Sie sich an. Rufen Sie in Ihrer Gemeinde an und fragen Sie, ob und wo Hilfe gebraucht wird. Es wird sich schon was Passendes finden.
Wenn nicht heute, dann morgen. Es werden noch Hunderttausende zu uns kommen. Jetzt ist die Zeit da, zu helfen. Es brennt in Europa. Vor unserer Haustür.