"Kinder sind kein Wirtschaftsfaktor, deswegen wird für sie bei der Erforschung von Hirntumoren staatlicherseits kaum Geld investiert – und wenn doch, dauert es mindestens ein Jahr, bis ein Antrag auf Förderung genehmigt wird. Dabei ist Zeit genau das, was erkrankte Kinder nicht haben." Die Worte von Ulrich Schüller stehen im Raum und die Anwesenden, die ihnen lauschen, können kaum fassen, was sie da hören. Wie kann ein Land so eiskalt sein? Wir geben doch für alles andere Milliarden aus.
Dabei wissen wir längst, dass es in der Forschung an den Finanzen hapert, doch zwischen Sonnenschein und Hagelschauer hört sich die Realität an diesem Märztag aus dem Munde eines Profis noch mal anders an.
Eigentlich haben wir uns aus einem schönen Anlass im Leibniz-Institut für Virologie auf dem Gelände des Universitätskrankenhauses Hamburg (UKE) getroffen. Wir, das sind drei der Initiatoren von Cancel Cancer, Timo Wentzel, Daniel Littau und Manuel Mohnke sowie drei Vertreter:innen des Forschungsinstituts Kinderkrebs-Zentrum Hamburg, Wiebke Cramer (GF), Tina Winter (PR), Ulrich Schüller (Arzt und Forscher) und meine Wenigkeit als Repräsentantin für die Stiftung stern.
Der Forscher zeigt uns die Labore
Wir wollen heute zur offiziellen Schecküberreichung schreiten, denn 2022 sind erkleckliche 50.000 Euro durch Spenden für die Forschung zusammengekommen. "Die haben uns wirklich sehr geholfen", sagt Schüller, "wir investieren sie in die Ependymom-Forschung." Die Deutsche Krebsgesellschaft erklärt den Begriff so: "Ependymome sind Tumoren des Zentralnervensystems. Sie gehören zu den soliden Tumoren und entstehen infolge einer Entartung von Zellen des Gehirns oder Rückenmarks."
Wir erhalten zunächst eine Powerpoint-Schulung über die Sicherheitsvorschriften für die Labore, die wir gleich betreten dürfen. "Nichts anfassen!" und "In diesen Raum gehen wir nicht, der muss steril bleiben", lauten die Anweisungen, die wir vier "Spendervertreter-Gäste", mit Arztkitteln ausgestattet, auf dem Gang zwischen den Laboren von Schüller hören. Hier stehen Gefrierschränke, die ihren Inhalt auf bis zu minus 81 Grad kühlen ("inzwischen ein echter Kostenfaktor", verweist Schüller auf den Strompreisanstieg seit Beginn des Krieges gegen die Ukraine und die damit verbundenen Mehrkosten). In kaum zählbaren Zentrifugen drehen sich Zellen oder auch ganze Mäusegehirne im Kreis.
"Das Mäuse- und das Menschengehirn lassen sich in der Forschung gut vergleichen", sagt Schüller. "Aber wo sind die lebenden Tiere?", will ich wissen. "Im Keller", lautet die Antwort und der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Aber: Es geht hier nicht um Kosmetik (dort sind Tiere als Forschungsobjekte seit 2013 verboten), es geht um die Erforschung von Hirntumoren bei Kleinkindern. Für Nicht-Forscher wie uns ist der Anblick dennoch schwer verdaulich.
160 betroffene Kinder pro Jahr an der Uniklinik in Hamburg
"Etwa 160 Kinder behandeln wir hier pro Jahr", sagt Schüller. "Viele von ihnen erleiden rund zehn Jahre später eine Folgeerkrankung." Das Einzugsgebiet des UKE erstreckt sich auf einen großen Teil Norddeutschlands, doch häufig kommen die kleinen Patienten erst, wenn die Ausbreitung des Tumors im Gehirn schon fortgeschritten ist. Die Symptome wie Kopfschmerzen, Ungeschicklichkeit oder schwindende Merkfähigkeit führen häufig weder Eltern noch Kinderärzte auf einen Gehirntumor zurück, erklärt Schüller. "Dafür sind sie zu allgemein."
Während man früher glaubte, dass der "alte Krebs" noch einmal gestreut habe, geht die Forschung inzwischen von einem anderen Grund für eine Folgeerkrankung aus: Die frühkindliche Strahlenbehandlung scheint eine Ursache für eine erneute Tumorbildung zu sein. "Einerseits braucht es eine gewisse Dosis, um den Krebs zu vernichten, andererseits richtet eine starke Dosis auch schwere Schäden in den jungen Gehirnen an", sagt der Arzt. Eine Zwickmühle, aus der nur eine intensive Auseinandersetzung mit dem nicht enden wollenden Zellenwachstum im Kopf helfen kann.
Um eine Lösung zu finden, brauchen wir die Forschung. Und die ist auf finanzielle Unterstützung angewiesen.