Noch im Frühjahr sah es nicht gut aus für die Familie Oczkowski in dem kleinen südpolnischen Dorf Rodaki. Mutter Jolanta hatte keine Arbeit, Vater Szczepan bezieht eine Rente von 700 Zloty (163 Euro), drei Töchter leben noch bei den Eltern. Das Geld war knapp, und die Armut allgegenwärtig, wie in vielen Familien des Dorfes, seit die Zellstoff-Fabrik, der größte Arbeitgeber in der benachbarten Kleinstadt, die Arbeiter entlassen hatte. Dass die Oczkowskis wieder Hoffnung schöpfen, verdanken sie zehn Gänsen, die derzeit im Bauerngarten und auf den umliegenden Wiesen die letzten Wochen ihres kurzen Gänselebens genießen können.
Im Frühling hatten die Oczkowskis, wie 49 andere der ärmsten Familien von Rodaki, zehn Gänseküken erhalten. Wenn die Tiere demnächst schlachtreif verkauft werden, bringen sie ihren Besitzern Geld, das den Unterschied zwischen Armut und der Perspektive auf ein etwas besseres Leben ausmacht. Mehr noch - die Gänse sind zu einem Symbol geworden, dass die Menschen ihr Schicksal trotz widriger Umstände in die eigenen Hände nehmen können.
240 Gänse an arbeitslose Familien verteilt
Zu verdanken haben sie diese Erfahrung Lukasz Ladon, einem Agraringenieur aus Rodaki. Der testete vor zwei Jahren im Selbstversuch, was die Gänsezucht für Kleinbauern einbringen kann. Die Rechnung präsentierte er auf einer Dorfversammlung: Die sieben Küken, die Ladon im Frühjahr für jeweils sieben Zloty gekauft hatte, wogen im Oktober jeweils fünf Kilogramm und lieferten obendrein 2,7 Kilogramm Federn. Da sie kein spezielles Futter erhalten hatten, gab es außer dem Kaufpreis keine Unkosten, stattdessen aber den stattlichen Gewinn von 841 Zloty.
Die Idee überzeugte die Dorfgemeinschaft. Bereits im vergangenen Jahr wurden 240 Gänse an arbeitslose Familien verteilt. In diesem Jahr stellte eine Gemeinderätin aus Klucze das Projekt einer Warschauer Stiftung vor, die Armut auf dem Land bekämpft und den Kauf von 500 Gänsen finanzierte. Rodaki ist von Wiesen umgeben, eine grüne Idylle, die die Kleinbauern aber nicht satt macht. Auch in der Kleinstadt Klucze ist jeder vierte ohne Job. Viele von ihnen suchten schon in der Vergangenheit Arbeit in den Fabriken Oberschlesiens - aber auch dort herrscht mittlerweile hohe Arbeitslosigkeit.
Gänsehymne und Gänsefest
Kein Wunder also, dass die Menschen in Rodaki ihre Liebe zur Gans entdeckt haben. In August wurde sogar ein Fest zu Ehren der weißen Vögel gefeiert, die allerdings unberührt von dem Trubel stoisch am Gras der umliegenden Wiesen zupften. Mieczyslaw Kumela, der Kirchenorganist, fühlte sich dagegen zur Komposition einer "Gänsehymne" inspiriert, berichtete die Zeitung 'Gazeta Wyborcza'.
Auch Gemeinderätin Halina Ladon sieht die Zukunft ganz im Zeichen der Gänse. "Unsere Region könnte Landschaft der weißen Daunen genannt werden", sinnierte sie. "Und Armut gibt es dann nicht mehr." Inzwischen hat das Projekt 'Gänse gegen Armut' sogar die Aufmerksamkeit der UN-Niederlassung in Polen erregt. Das Unternehmen wird als beispielhaft für nachhaltige Entwicklung gesehen. Bis zu 40.000 Zloty sollen im kommenden Jahr aus UN-Mitteln bereitgestellt werden, um das Gänseprojekt auszuweiten.