GESPERRT! Sparen in der Finanzkrise Sehnsucht nach Sicherheit

Der eine hat schon was auf der hohen Kante, die andere fängt gerade erst an zu sparen. Für alle gilt: Die Finanzkrise stellt viele Gewissheiten der Geldanlage infrage. Der stern hat sich umgehört: Was ist den Deutschen beim Sparen und bei der Altersvorsorge zurzeit wichtig? Sicherheit geht den meisten über alles. Allerdings auch die hat ihren Preis.

Gib mir 'n kleines bisschen Sicherheit - in einer Welt, in der nichts sicher scheint", tönt es immer wieder aus dem Radio. Seit Monaten steht der Song der Band Silbermond ganz oben in den Charts und in den Wunschlisten der Rundfunksender. Das Lied mit dem hoffungsvollen Titel "Irgendwas bleibt" ist zum Hit der Krise geworden, zur Ballade der Rezession.

Ein "kleines bisschen Sicherheit", das ist das, was sich viele Deutsche wünschen in Zeiten, in denen die Wirtschaft abstürzt. In einer Welt, "in der nichts sicher scheint" - weder der Job noch die Altersvorsorge oder die Ersparnisse.

Die Sehnsucht nach Sicherheit ist groß. In Deutschland sowieso. Und vor allen Dingen, wenn es ums Geld geht.

Ortstermin in Köln. Auf der Domplatte scheint die Sonne, doch auch sie kann in diesen Tagen die Sorgen nicht ganz vertreiben. "Was bedeutet Ihnen Sicherheit?", will der stern von Passanten wissen. "Ich habe vor drei Jahren eine Riester-Rente abgeschlossen", sagt etwa Lars Constien. "Ich weiß zwar nicht, wie sie es finanzieren wollen", so der 39 Jahre alte Lehrer, "aber es soll ja sicher sein." Zwischen Hoffnung und Zweifel - das geht vielen so. "Ich habe mein Geld ganz konservativ in einer Lebensversicherung und einem Tagesgeldkonto angelegt", sagt Alexandra Wacker, 37, Hausfrau und Mutter. Auf nur einen Berater mag sie sich aber nicht verlassen. Noch deutlicher wird Renate Becker, 56: "Zu meiner Sparkasse habe ich volles Vertrauen, glaube aber trotzdem, dass Anlageberater Zocker sind", sagt die Physiotherapeutin, die ihr Geld auf einem Sparbuch angelegt hat. "Sicherheit ist mir immer wichtiger gewesen als Gewinn."

Viele Deutsche sorgen vor

Vorsichtiger, misstrauischer und argwöhnischer sind die Deutschen in den vergangenen Monaten geworden. Sie sind noch mehr auf Sicherheit bedacht, als es ihnen ohnehin zugeschrieben wird. "Totale Kriegszerstörungen, mehrere Geldentwertungen und gleich vier Währungsreformen in nur drei Generationen haben sich tief im sozialen Bewusstsein festgesetzt", sagt Professor Thomas Straubhaar, Chef des Hamburger Weltwirtschaftsinstituts (HWWI). Nicht zuletzt diese Erfahrungen haben die Deutschen zu einem sehr sicherheitsorientierten Volk gemacht, glaubt der Schweizer Ökonom.

Kaum irgendwo auf der Welt sind Lebensversicherungen so beliebt. Statistisch besitzt jeder Deutsche mehr als eine. Wichtigster Einzahlgrund ist die private Altersvorsorge. In keinem anderen Land ist denn auch der Anteil privater Renten-Policen höher.

Auch beim Sparen und Investieren gehen die Deutschen überwiegend auf Nummer sicher: Rund zwei Drittel aller flüssigen Mittel wandern in zinssichere Anlagen, Tendenz steigend, Versicherungsverträge sind dabei gar nicht mitgezählt. Nur knapp ein Drittel der Ersparnisse wird in Investmentfonds, Aktien und andere unternehmerische Beteiligungen investiert. Tendenz stark fallend: Allein im vergangenen halben Jahr sank das bei den mehr als 6000 hierzulande angebotenen Investmentfonds angelegte Kapital um mehr als 40 Milliarden Euro - bei nunmehr rund 560 Milliarden Euro verwaltetem Gesamtvermögen.

Bauchgefühl schlägt Logik

Diese Flucht aus etwaigen Risiken, gleichsam die Sehnsucht nach Sicherheit, erklärt der renommierte Finanzverhaltensforscher Martin Weber so: "Die Entscheidung über Geldanlagen beruht viel stärker auf subjektiver Risikowahrnehmung und Erwartung als auf objektiven Erfahrungswerten." Ganz vereinfacht schlägt beim Geldanlegen das Bauchgefühl die Logik. Und zwar ganz unabhängig vom sonstigen Risikoverhalten: "Besessene Lottospieler oder Bungee-Springer müssen keineswegs Aktien-, Options- oder Zertifikate-Fans sein", so der Wirtschaftsprofessor von der Uni Mannheim. Das erklärt umgekehrt, warum so viele brave Bundesbürger hohe Anlage- und sogar Strafrisiken eingehen, nur für die Aussicht, weniger Steuern zahlen zu müssen.

Gehen solche und andere Geldgeschäfte schief, herrscht der Reflex vor, dass daran andere schuld sind - eigenes Unvermögen jedenfalls am wenigsten. Und so ergeht im "Schadensfall", in der Krise, sehr viel dringlicher als sonst der Ruf nach dem Staat. Doch auch der hat viele gleich doppelt enttäuscht: Denn der Staat kann offenbar weder Abzock-Geldanlagen à la Lehman Brothers verhindern noch eine den Lebensstandard sichernde Rente garantieren. Wenn die staatliche Rente nicht mehr "sicher" ist und viele Geldanlagen am freien Markt offenbar auch nicht - ja was denn dann?

Nicht wenige suchten ihr Heil zuletzt in Gold, standen bei Banken und Sparkassen sogar Schlange, um Münzen oder kleine Barren zu kaufen. Getreu dem Spruch des früheren US-Notenbankchefs Alan Greenspan: "Wer Gold hat, hat immer Geld." Eine massentaugliche Antwort auf Vorsorge- und Vermögensfragen ist das aber nicht.

Sichere Alternative Eigenheim

Auf der Suche nach Alternativen zu Staatsfürsorge und Börse entdecken denn auch immer mehr Verbraucher - neben den hoffentlich sicheren Versicherungen - die eigene "Scholle". Jetzt, in der Krise, sind Wohnimmobilien, Häuschen oder Stadtwohnung gefragt. Bausparkassen freuen sich über immer mehr Eigenheimwillige. Allein die Marktführer LBS und Schwäbisch Hall melden zusammen rund 2,6 Millionen Neuverträge im Jahr 2008, 12,5 beziehungsweise 27 Prozent mehr als im Vorjahr. Hinter den Zahlen stecken ernste Absichten. "Für die Deutschen ist das Eigenheim der Inbegriff von Wohlstand und Sicherheit", sagt der Niederländer Ben Tellings, Chef der ING-Diba-Bank. "Sie geben das letzte Hemd, um die eigenen vier Wände abbezahlen zu können - die zuverlässigsten Kreditnehmer der Welt."

Aber lohnt sich diese Entbehrung noch? Sind Wohnimmobilien wirklich "sicher", wertstabil auch in der schlimmsten Krise? Und wie ist das mit den Lebensversicherungen wirklich?

Antworten auf Krisenfragen

Auf den folgenden Seiten beantwortet der stern diese und viele andere "Krisenfragen". Gestellt wurden sie von Leserinnen und Lesern sowie von Teilnehmern der bundesweit angebotenen Volkshochschulkurse "Altersvorsorge macht Schule".

Eine Antwort vorweg: Sicherheit kann immer nur ein Erfahrungswert der Vergangenheit sein, hochgerechnet in die Zukunft. "100 Prozent sicher" ist deshalb nichts - abgesehen vom Tod. Damit müssen wir leben. Auch in puncto Vorsorge und Vermögensbildung.

Zweite Erkenntnis: Je sicherer es beim Sparen zugehen soll, desto bescheidener ist die Renditeaussicht. Diesen Preis für Sicherheit werden die Deutschen bezahlen - müssen und wollen.

Denn wie heißt es im Krisenhit von Silbermond: "Gib mir in dieser schnellen Zeit irgendwas, das bleibt."

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