Norbert Löbner aus Berlin-Steglitz sah sich bereits als Winzerkönig: Üppig leuchteten die Trauben an seinen Rebstöcken, ihr Öchslegrad versprach Kabinett-Qualität. Doch dann kamen die Raben. Löbner nimmt den Verlust gelassen: "Im nächsten Jahr schützen wir den Wein mit Netzen." Der Schauplatz des Traubenklaus: das Dach eines 35 Meter hohen Hauses.
Ein Garten über den Dächern von Berlin? Das Paradies hoch über dem Teltowkanal plante der Berliner Architekt Carlos Zwick. Beauftragt mit der Renovierung einer genossenschaftlichen Wohnanlage, hatte er vorgeschlagen, die Häuser aufzustocken und anstelle der üblichen Flachdächer Gärten anzulegen. Die Idee einer neuen grünen Stadtkultur überzeugte schließlich auch die Berliner Denkmalschützer, die wegen des historischen Baus zunächst skeptisch waren. Dachterrassenbesitzer Löbner kann sich ein anderes Wohnen nun gar nicht mehr vorstellen: "Wir leben in der Stadt mitten in der Natur." Der hoch gelegene Garten wirkt sich auf das gesamte Leben der Familie aus: "Man beschäftigt sich plötzlich mit allem, was da fleucht und kreucht. Das ist spannender als Fernsehen", sagt Löbner.
Gärten auf dem Haus oder der Garage sind im Trend. Weil nicht begrünte Flachdächer meist nach 20 Jahren undicht werden, ergeben sich für Bepflanzungen nun viele Gelegenheiten: Die Bauten aus den 60er bis 80er Jahren müssen saniert werden und nach der neuen Energiesparverordnung sehr viel höhere Dämmwerte erfüllen als seinerzeit vorgeschrieben. Da drängt sich eine wärmende grüne Mütze geradezu auf - zumal ein begrüntes Dach doppelt so lange hält wie ein nacktes, das Temperaturschwankungen und Witterungsstress ungeschützt ausgesetzt ist.
Wohn- und Gartenraum schaffen
Ungenutzte Dachflächen werden vor allem in Innenstadtlagen, wo Grundstücke rar und teuer sind, zu beliebtem Bauland. Wer hier ein Haus besitzt, kann hochwertigen Wohn- und Gartenraum schaffen und dabei Grundstücks- und Erschließungskosten sparen. Gerade bei Sanierungen bieten sich Grünanlagen in luftiger Höhe an, entweder als Dachausbau mit Terrasse oder als Haus auf dem Haus, wenn ein neuer Baukörper samt Garten auf ein Gebäude gesetzt wird wie die Wohnung der Familie Löbner.
Gut zu wissen
Was wächst auf dem Dach?
Mit welchen Kosten ist zu rechnen?
Wo gibt es Zuschüsse?
Alles über Dachbegrünung erfährt man beim Deutschen Dachgärtnerverband, Postfach 2025, 72610 Nürtingen, Telefon: 0 70 22/60 03-590, Fax: -591, Internet: www.dachgaertnerverband.de Viele Städte und Gemeinden fördern Gründächer entweder direkt mit 10 bis 20 Euro pro Quadratmeter oder indirekt durch verringerte Abwassergebühren oder sogar mit einer Gebührenbefreiung, wenn kein Dachwasser mehr in die Kanalisation gelangt. Ansprechpartner sind das Tiefbauamt, das Steueramt oder die Stadtwerke der Stadtverwaltungen.
Auf diese Weise entstanden zuletzt ungewöhnliche Wohn- und Gartenlandschaften. In der Berliner Chausseestraße verwandelte Architekt Zwick eine alte Fabrik in einen Appartementkomplex mit Parklandschaft im Obergeschoss. Im Ost-Berliner Bezirk Prenzlauer Berg setzte das Büro Zanderroth-Architekten auf einen Gründerzeitbau eine Reihenhaussiedlung inklusive Vorgärten - mit unverbaubarer Sicht und von keiner Seite aus einsehbar.
Das Betätigungsfeld für Architekten und Stadtplaner ist groß, denn grundsätzlich eignet sich fast jedes Dach für einen grünen Aufbau, selbst Schrägdächer lassen sich bepflanzen. Besonders Büro- und Gewerbebauten können auf diese Weise an Charme gewinnen: Mit Zier- und Gemüsegarten, Rasen und Kinderspielplatz wohnt Familie Hertle in Kirchheim/Teck auf dem Dach ihrer kleinen Druckerei wie im Grünen. Und Hans Ringhoffer im schwäbischen Kohlberg hat auf dem Gebäude seiner Zahnradfertigung in einem Gewerbegebiet sogar eine Parklandschaft mit Fischteich angelegt.
Vorteile durch Dachgärten
Ziersträucher statt Ziegel, Tomaten statt Teerpappe, Kartoffeln statt Kiesbett - das beschert nicht nur ein intensives Lebensgefühl, sondern schont auch die Haushaltskasse: Die Dämmung durch einen Dachgarten senkt die Energiekosten um bis zu 25 Prozent, behauptet der Deutsche Dachgärtnerverband. Zugleich schützen die Pflanzen Haus und Bewohner vor Temperaturschwankungen und UV-Strahlung. Das zahlt sich besonders aus, wenn Fotovoltaikanlagen auf begrünten Dächern installiert werden. Weil sie hier zwar der Sonne, aber weniger Wärmestrahlung ausgesetzt sind, arbeiten die hitzeempfindlichen Stromspender umgeben von Blumen und Büschen deutlich effektiver.
Ginge es nach Wolfgang Ansel, Biologe beim Deutschen Dachgärtnerverband, gäbe es gar keine unbegrünten Dächer mehr. Nicht allein aus optischen Gründen, sondern mehr noch aus ökologischen: "Das Grün wärmt im Winter und kühlt im Sommer, wenn es besonders in Städten zu Hitzestau kommt", sagt Ansel. "Es bindet Staub und Abgase und verbessert dadurch die Luftqualität. Und es ist ein ebenso preiswerter wie effektiver Lärmschutz." Der Experte unterscheidet zwischen intensiven, bewohnbaren Gründächern mit Obstgärten und Liegewiesen sowie extensivem Bewuchs mit niedrig wachsenden Pflanzen wie Sedum oder Kartäusernelken zum Schutz und zur Verschönerung von Dächern, deren Statik keine Wohnnutzung erlaubt. Technische Probleme seien, sagt Ansel, kein Thema mehr: "Wir haben heute absolut zuverlässige Abdichtungen. Dass Wohnungen durchfeuchten oder Pflanzen mit ihren Wurzeln Zimmerdecken durchdringen, ist Vergangenheit."
Weil Dachgärten obendrein Regenwasser binden, gehen immer mehr Kommunen wie zum Beispiel München dazu über, die Bepflanzung von Flachdächern bei Neubauten vorzuschreiben. Denn wenn weniger Regenwasser in den Kläranlagen behandelt werden muss, können Abwasserkanäle und Regenrückhaltebecken kleiner gebaut werden. Das spart Geld.
Wo immer die Dächer grün werden, siedeln sich auch Tiere an: Vögel, Schmetterlinge, Hummeln und Käfer, die man sonst kaum noch zu Gesicht bekommt, finden sich sogar mitten in der Stadt ein. Zur Freude von Norbert Löbners Tochter Johanna, 4, die immer wieder neue Krabbeltiere entdeckt - neulich sogar einen seltenen Schmetterling, ein Blutströpfchen. "Das ist blau", weiß Johanna, "und hat rote Punkte auf den Flügeln.