Koalitionsstreit Darum funktioniert unser Rentensystem nicht mehr

Das Rentensystem steht vor großen Herausforderungen
Das Rentensystem steht vor großen Herausforderungen
© Alina Rudya/Bell Collective / Getty Images
Die Regierung streitet um ein teures Detail des Rentenpakets. Dabei muss sich Grundsätzliches ändern. Was das wahre Problem im Rentensystem ist und welche Lösungen es gibt.

Wer den aktuellen Rentenstreit in der Politik verfolgt, der kann leicht zu falschen Schlüssen gelangen. Da stehen auf der einen Seite die Erwachsenen in der Bundesregierung, die die Rente sichern wollen. Auf der anderen Seite ein paar aufmüpfige junge Abgeordnete, die das Rentenpaket der eigenen Koalition sabotieren. Wer hier die Radikalen sind und wer die Vernünftigen, scheint da klar.

Doch so einfach ist es nicht. Denn tatsächlich hält auch ein Großteil der Experten das Rentenpaket der Bundesregierung für einen großen Fehler. Am Montag forderten 22 namhafte Wissenschaftler – darunter Leiter renommierter Wirtschaftsforschungsinstitute sowie drei der fünf Wirtschaftsweisen – die Bundesregierung in einem gemeinsamen Appell auf, das Rentenpaket zu stoppen. 

Und zwar nicht nur den Teil, den die jungen Unionsabgeordneten kritisieren, sondern alles. "Das Rentenpaket sollte in Gänze zurückgezogen werden", schreiben die Professorinnen und Professoren. Zur Erinnerung: Im unionsinternen Rentenstreit geht es "nur" darum, welches Rentenniveau sich ab 2032 als Folge des Rentenpakets ergibt. 

Die Ökonominnen und Ökonomen hingegen halten schon das Rentenpaket selbst – bestehend aus Rentenniveau-Haltelinie bis 2031, Mütterrente, Aktivrente und Frühstartrente für falsch. Denn: "Die demografisch bedingten strukturellen Probleme des Rentensystems würden weiter verschärft, und es käme zu einer zusätzlichen Lastenverschiebung zwischen den Generationen – zulasten der Jüngeren, die schon heute unter steigendem finanziellem Druck stehen."

Mit anderen Worten: Das Rentenpaket ist zu teuer. Es ist unfair gegenüber der jungen Generation. Und es löst die Probleme des Rentensystems nicht, sondern macht sie sogar noch schlimmer. Aber wie groß sind die Hürden im System – und lassen sie sich überwinden? Ein kleiner Überblick.

Das Problem im System

Die gesetzliche Rentenversicherung funktioniert nach dem Umlageprinzip. Das bedeutet: Das Geld, das die Arbeitnehmerinnen (und Arbeitgeber) in die Rentenkasse einzahlen, wird nicht etwa für ihre eigene Rente angelegt – das wäre ein Kapitaldeckungsverfahren. Nein, die Rentenbeiträge werden umgehend an die aktuellen Rentner ausgezahlt. Die Einzahler erwerben nur Ansprüche, die wiederum von der nächsten Generation bezahlt werden müssen.

Das funktioniert so lange gut, wie die Demografie stabil ist. Kommen weniger junge Einzahler nach und werden gleichzeitig die Rentenbezieher immer älter, stößt das System an finanzielle Grenzen. Die werden mit dem Renteneintritt der Babyboomer nun immer sichtbarer. So kamen im Jahr 2022 auf 100 Erwerbsfähige noch 30 Menschen über 67 Jahre. Bis zum Jahr 2036 wird sich das Verhältnis auf 100 zu 40 verschieben, hat das Institut der deutschen Wirtschaft berechnet. Das bedeutet: Schon heute müssen rechnerisch 1,66 Beitragszahler einen Rentner finanzieren, im Jahr 2036 werden es laut IW-Prognose nur noch 1,33 Beitragszahler pro Rentner sein. 

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Wenn sich das Verhältnis von Beitragszahlern zu Beziehern verschlechtert, müssen die Leistungen eigentlich entsprechend sinken (beziehungsweise nicht weiter steigen). So ist es auch in der gesetzlichen Rentenformel vorgesehen, doch genau diesen "Nachhaltigkeitsfaktor" hat die Politik zuletzt per Gesetz ausgesetzt und will dies bis 2031 weiter tun. 

Die Kosten der Rente explodieren

Um diese Stabilisierung des Rentenniveaus – sowie teure Zusatzleistungen wie die Rente mit 63 oder die Mütterrente – nicht mit extrem starken Beitragserhöhungen finanzieren zu müssen, greift die Politik auf einen vermeintlichen Joker zurück: Das Loch wird einfach mit Geld aus der Steuerkasse gefüllt. Das Ergebnis sieht dann so aus: Obwohl das Rentenniveau in den vergangenen Jahrzehnten gesunken ist, sind sowohl Beiträge als auch Steuerzuschüsse gestiegen.

Was das bedeutet, kann sich jeder mit Blick auf seinen Gehaltszettel überlegen. Derzeit beträgt der Beitrag zur Rentenversicherung 18,6 Prozent des Bruttoeinkommens, wobei Arbeitnehmer und Arbeitgeber jeweils die Hälfte zahlen. Bis 2029 könnte der Beitrag laut einer aktuellen Prognose der Deutschen Rentenversicherung auf 20 Prozent steigen.

Außerdem bezahlt jeder Steuerzahler die Rente auch noch über den Milliardenzuschuss aus Bundesmitteln mit. Im kommenden Jahr wird dieser Zuschuss auf rund 128 Milliarden Euro steigen, was etwa einem Viertel des gesamten Bundeshaushalts entspricht. Das Münchner ifo-Institut hat errechnet, dass im kommenden Jahr ein Drittel aller veranschlagten Steuereinnahmen in den Rentenzuschuss fließen wird.

Was wären Lösungen?

Ein Staat, der einen Großteil seiner Steuereinnahmen allein für die Finanzierung der Renten verwenden muss, hat auf Dauer ein Problem. Schließlich fallen noch viele andere teure Aufgaben an – von Bildung über Gesundheitsversorgung bis Verteidigung, für die der Staat Geld locker machen muss.

Deshalb halten viele Ökonomen ein Rentenpaket, das die Ausgaben noch weiter erhöht, für nicht zukunftsfähig. Sie fordern im Gegenteil Reformen, die dafür sorgen, dass das Rentensystem finanziell stabil bleibt. Zu diesem Ergebnis würde wohl auch die von der Bundesregierung angedachte Rentenkommission kommen.

Denn Experten-Vorschläge liegen längst auf dem Tisch: Dazu zählen neben einer allgemeinen Absenkung des Rentenniveaus vor allem die Abschaffung teurer Sonderleistungen für Frührenten oder Mütterrenten. Ein weiteres Thema, das immer wieder hochkocht und heiß bleiben dürfte, ist eine Anhebung des gesetzlichen Renteneintrittsalters. Das ist zwar unpopulär, würde aber das Verhältnis von Zahlern und Beziehern wieder spürbar verbessern.

Klar ist: Das gesetzliche Rentensystem wird in den kommenden Jahren noch stärker unter Druck geraten als jetzt schon. Wer es sich leisten kann, ist gut beraten, zusätzlich privat vorzusorgen.

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