GESPERRT! Dachwohnungen Dem Himmel so nah

In den Städten gibt es neue Bauplätze. Auf Dächern von Fabriken, Bürohäusern und Mietskasernen entstehen fantastische Wohnlandschaften und Gärten. Sogar gewöhnlichen Einfamilienhäusern wird manchmal die Krone aufgesetzt.

Manchmal zieht Werner Peters für einen Tag in sein eigenes Hotel, das "Chelsea" in Köln. "The Hotel different" nennt er es in eigenwilligem Englisch, weil hier so viel anders ist als anderswo. Von Anfang an zog das Hotel Künstler an. Wer für Kost und Logis nicht zahlen konnte, musste stattdessen ein Bild dalassen. Die Kunstwerke hängen nun überall und machen das Haus zum "einzigen authentischen Art Hotel".

Am liebsten thront Werner Peters hoch über der Stadt in der "Kippenberger Suite". Die ist das Glanzstück des Hotels, benannt nach dem Malerstar Martin Kippenberger: ein zweistöckiges Zauberreich unter den Wolken.

Werner Peters hat früh erkannt, dass die Zukunft der Städte auf den Dächern liegt. Jede Menge ungenutzten Platz gibt es auf Mietshäusern mit Flachdach. Günstig und fast ohne Erschließungskosten kann man dort oben bauen, denn Wasser, Strom, Heizung und auch die Zufahrtswege sind ja schon da. Auch andere Hausbesitzer haben inzwischen begriffen, dass ein attraktiver Dachaufbau ein Gebäude aufwertet. Immer mehr Wohnlandschaften mit Häusern und Gärten entstehen deshalb auf den Dächern der Städte. Verdichtung nennt man so etwas. Man könnte auch sagen Verzauberung, denn oft prangen da wahre Paradiese.

Während jahrzehntelang Menschen, die es sich leisten konnten, an den Stadtrand zogen, geht der Trend in die andere Richtung: Viele kehren zurück. Die Jüngeren gehen gar nicht erst weg. Und weil in den Städten nicht unendlich viel Platz ist, werden alte Gebäude umgenutzt und aufgestockt. Stadtraumverdichtung ist erwünscht und bedeutet mehr Leben in den Citys.

Die Schrebergärtner ziehen aufs Dach

Norbert Löbner lebt mit seiner Familie auf dem Dach einer Genossenschaftsanlage von 1925 in Berlin-Steglitz. 17 aufgepfropfte Maisonette-Wohnungen sitzen über dem alten Haus, jede mit einem hübschen Garten.

Spalieräpfel und Weintrauben, Paprika, Bananen, Zitronen - alles gedeiht hier und wird liebevoll gehegt und gepflegt. Den Kirschbaum bestäubt er eigenhändig mit dem Pinsel, weil zu wenige Bienen hoch aufs Dach finden.

"Unser Garten ist wie eine Insel", sagt Löbner. Barfuß läuft er über seinen makellos schönen Rasen. Tochter Johanna saust auf den Plattenwegen mit ihrem Roller herum. Die Nachbarn laden einander zum Grillen ein, teilen sich einen Rasenmäher und gucken auch mal gemeinsam Fußball.

Die beste Wohnung in der ganzen Anlage habe er selbst ergattert, sagt Löbner, mit Eckbalkon und Blick auf den Teltowkanal. Die gesamte Südwestseite ist verglast. Selbst wenn im Winter Minusgrade herrschen, muss er nur wenig heizen. Im Sommer stehen alle Fenster auf, und der Wind lüftet auf natürliche Art.

Ausgedacht hat sich das der Architekt Carlos Zwick. Der Mann mit den vier goldenen Ohrringen gilt in Berlin als Experte für Dachaufbauten. Er hat sich auf denkmalgeschützte Bauten spezialisiert und auch eine alte Lokhalle mit attraktiven Dachwohnungen aufgewertet. Die Steglitzer Wohnungen bestehen aus Holzfertigteilen, sind also günstig und auch noch schön anzusehen.

Auf der alten Fabrik wird jetzt gewohnt

Bevor Salim Sahi sich daran machte, eine Eigentumswohnung in Berlin zu suchen, hatte er sich nie mit Architektur beschäftigt. Aber dann entdeckte er die Wohnung auf dem Dach. Auf ein fünfgeschossiges ehemaliges Fabrikgebäude in Berlin- Kreuzberg hatte das Architektenpaar Antje Freiesleben und Johannes Modersohn einen eleganten Aufbau mit großen Fensterflächen gesetzt. 32 Loftwohnungen entstanden so auf dem Haus mit der gelben Klinkerfassade und den schönen, roten Schmucksteinen.

In einer der Wohnungen leben Salim Sahi und seine Freundin Claudia Fahrner nun - und spüren zum ersten Mal im Leben, wie gute Architektur auch die Lebensqualität und die Laune hebt. "Es ist einfach perfekt", finden beide.

"Ich mag gern große Räume. Meine Freundin liebt es kuschelig und klein. Hier geht beides, jeder bekommt, was er braucht", sagt Sahi. Er liebt die schicke, offene Küche mit dem Tresen, den schwarzen Barhockern und der Schiefertafel, auf der Gäste gern Grüße hinterlassen. Im größten, schönsten Raum mit den riesigen Fenstern hat Sahi sich sein Fitnessstudio eingerichtet. Fahrrad und Kraftmaschine stehen so, dass er beim Sport auf den Fernsehturm gucken kann. Der gemütliche "Kinoraum" mit Beamer und Playstation und das kleine Schlafzimmer sind eher Claudias Fall.

Seitdem Sahi vor acht Jahren das erfolgreiche Reservierungssystem "fly.de" für Pauschalreisen entwickelte, ist er ständig unterwegs, hält Vorträge vor Tausenden von Menschen, bei Internetfirmen und auf Tourismus-Messen. Zu Hause will Sahi entspannen. "Die Architekten haben an alles gedacht, sogar Wasser und Steckdose auf der Terrasse gibt es. Perfekt für Grillpartys. Und wenn's ganz heiß ist, duschen wir uns oben mit dem Schlauch ab."

Mitten im Dorf ist ein Ufo gelandet

Eingeklemmt zwischen schnuckeligen Vorstadthäuschen mit geschnitzter Holzveranda steht schon seit drei Generationen ein schlichtes Einfamilienhaus. Vor gut zwei Jahren hat es einen Hut bekommen: sehr kühn und so eigenwillig, dass die Nachbarn erst mal entsetzt waren.

Nur 85 Quadratmeter bietet der Neubau auf dem Dach, aber die haben es in sich. Ein U-förmig gebogenes, futuristisches Gebilde macht sich da breit, sehr fremd und sehr ungewöhnlich in diesem Vorort von Bozen. "Da gab es so ein paar alte Weibele, die waren recht bös", sagt Veronika Köllensperger in charmantem Südtirolerisch. "Aber jetzt ist das Haus kein Thema mehr, die Leute haben sich daran gewöhnt."

Die Architektin ist hier aufgewachsen. Als sie nach dem Studium wieder heim nach Bozen wollte, boten die Eltern ihr und ihrem Architektenfreund Michael Dejori das Dachgeschoss an. "Macht, was ihr wollt, wir vertrauen euch", sagten sie.

Schnell war klar: Da muss was Neues, Besonderes hin. Ein Haus auf dem Haus, das sich von der stark befahrenen Straße abwendet, eine Welt für sich bildet und den herrlichen Nussbaum einbezieht, um den schon der Großvater herumgebaut hatte. Sie dachten sich eine Wohnung aus, die nur aus einem einzigen Raum besteht: ohne Türen, mit Holz, das sich in eleganten Rundungen vom Boden bis zur Decke wölbt.

Weit, groß und luftig

Die Küche sieht nicht aus wie eine Küche, weil alles in Schränken versteckt ist - vom Kühlschrank bis zum Backofen. Das Bad ist wie eine Kombüse mit Dusche und Klo, aber ohne Wanne.

Im Sommer schieben sie die Fenster auf und leben fast im Freien, zwischen den Ästen des Nussbaums und mit Blick auf das Bergpanorama des Rosengartens. Weit, groß und luftig wirkt alles, obwohl es doch nur 85 Quadratmeter sind.

Die Kosten waren niedrig: 2000 Euro pro Quadratmeter. Unter dem Garten entstand sogar noch eine Tiefgarage für fünf Autos. Boden, Decke und Rundung wurden vom Zimmermann vorgefertigt und dann mit dem Kran aufs Dach gehievt: ein großes Spektakel. Für die Außenhaut fanden Veronika Köllensperger und Michael Dejori ein ungewöhnliches Material: silbrige PVC-Haut, ähnlich wie eine Lkw-Plane. Ein Salzburger Zwei-Mann- Betrieb musste die Hülle auf Maß schneidern. Mit Schere und Schweißbrenner saßen die Handwerker eine Woche lang auf dem Dach. Am Schluss kam noch ein wenig Glanzlack drüber. Fertig. "Das ist alles recht einfach", sagt Veronika Köllensperger. Und sieht toll aus. "Es ist wie ein Kleid, das gibt es in allen Farben!"

Ist es nicht nervend, zu zweit in nur einem einzigen Raum zu leben? Nein, versichert das Paar. Die Fuge für eine Schiene, in die ein Raumteiler eingehängt werden könnte, haben sie eingeplant. "Aber wir haben ihn immer noch nicht eingebaut. Es ist viel schöner so."

Da oben gibt es manchmal nasse Füße

Roman Delugan empfängt in Jeans und weißem Hemd. Kettenraucher, Kaffeetrinker, Wenigesser, Workaholic - sein Architektenleben ist anstrengend, gerade hat er das Porsche-Museum fertiggestellt. Aber aller Stress fällt von ihm ab, wenn er seine Wohnung hoch über den Dächern Wiens betritt. Eine sehr ungewöhnliche Wohnung: elegant, extravagant und avantgardistisch. Sogar Anna Netrebko war schon hier. Die Operndiva hatte sich das Haus auf dem Haus für eine Foto-Session ausgesucht - weil es einer der schönsten und ungewöhnlichsten Orte der Stadt ist.

Für Delugan ist Chilling Time, sobald er zur Türe hereinkommt. Dann zieht er die Schuhe aus, schmeißt sich auf seine riesige Liegewiese aus Leder, schenkt sich ein Glas Rotwein ein, guckt über die Holzterrasse mit dem Wasserbecken weit hinaus über die Dächer und Türme der Stadt - und ist auf einen Schlag ruhig und entspannt.

"Lebensraum ist für mich Luxus", sagt er. "Es geht schon lange nicht mehr um das Auto oder die Yacht, sondern ums Wohnen." Haus Ray, benannt nach der zwölf Jahre alten Tochter Nora Ray, hat etwa 3000 Euro pro Quadratmeter gekostet. Kein Schnäppchenpreis, aber für die extravaganten 230 Quadratmeter plus zwei Terrassen immer noch günstig.

Ursprünglich hatten er und seine Frau Elke, ebenfalls Architektin, eine Dachwohnung gesucht, um sie auszubauen. "Doch Dachschrägenfenster und Blicke in den Himmel waren uns zu wenig." Sie wollten die Straße sehen, Menschen, Läden, Autos. Und doch Ruhe haben und ungestört leben können. So etwas schien es in Wien nicht zu geben.

Leichtbau aus Stahl

Erst als sie ihr neues Büro am Mittersteig im vierten Wiener Bezirk bezogen, lag die Lösung plötzlich vor ihnen. "Schau mal", sagte Delugan zu seiner Frau, "gegenüber gibt es ein Flachdach! Es schreit förmlich danach, von uns besetzt zu werden." Die Eigentümerin des 60er-Jahre-Hauses war skeptisch. Erst als sie begriff, wie sehr der Neubau ihr altes Haus aufwerten würde, ließ sie sich dazu bewegen, das Dach zu verpachten - auf 99 Jahre. Den beiden Architekten gefiel's. "Uns war klar: Da können wir unseren Lebenstraum verwirklichen."

Weil das Flachdach kein allzu großes Gewicht tragen konnte, entschlossen die Architekten sich zu einem Leichtbau aus Stahl mit nur einer einzigen tragenden Stütze. Ein halbes Jahr rangen sie um die Form des Neubaus, bastelten 15 Modelle, zeichneten, prüften, diskutierten. Und beschlossen dann: Es kann kein Haus für die Ewigkeit werden, sondern nur eins auf Zeit, für einen Lebensabschnitt.

"Ich bin romantisch!", sagt Roman Delugan. "Räume sind emotional. Deshalb versuchen wir, mit unseren Entwürfen Impulse zu geben, die wir im Unterbewusstsein spüren." Haus Ray hat nicht nur verschiedene Ebenen, sondern auch ein leicht geneigtes Dach und unterschiedliche Raumhöhen. Alle Schränke sind eingebaut, nirgendwo gibt es Griffe, alles funktioniert auf Druck. Die Küche, lang, schmal und wie über allem schwebend, ist eine Art von "Kommandozentrale" mit jeder Menge Knöpfen und Reglern, die alles bis hin zur passenden Musik und zum richtigen Licht kontrollieren. "Für uns angenehm: Es ist ein Bürogebäude. Abends und am Wochenende haben wir absolute Ruhe. Und können die Musik aufdrehen, wie wir wollen."

Das Schönste ist die Holzterrasse mit dem flachen Wasserbecken direkt an der Dachkante. Hier gibt es kein Geländer, das den Blick auf die Stadt behindern würde. Dennoch ist noch nie jemand hinuntergefallen, denn hinten am Rand ist das Wasser brusttief. Nasse Füße? Kann passieren. Absturz? Unmöglich.

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