Eine große alte Dame stirbt: Für die weit über Berlin hinaus berühmte "Paris Bar" hat Mit-Inhaber Michel Würthle, Kunstsammler, schöner Schöngeist, sprechende Mozartkugel und Maßschuh-Liebhaber, am Montag persönlich Insolvenz angemeldet, ebenso für den Ableger "Le Bar du Paris Bar".Das legendäre Restaurant in der Kantstraße 152, über ein Vierteljahrhundert Wohnzimmer von Weltstars, Künstlern und Normalos, hat Probleme. Hohe Probleme: Drohende Steuernachforderungen in sehr beträchtlicher Höhe, munkeln die einen, dazu Schulden bei Lieferanten. Andere behaupten, der meist eher mau laufende Laden nebenan, die 2001 eröffnete "Le Bar du Paris Bar", habe dem Mutterschiff zuviel Geld entzogen. Egal, nun wird, so eine Gerichtssprecherin exklusiv zu stern.de, für beide aufgrund des Eigenantrags das Eröffnungsverfahren eingeleitet.
"Schnell sein, dabei sein - bei Diebstahl tot sein!"
Was passiert jetzt, zum Beispiel mit den vielen, vielen Kunstwerken in "russischer Hängung" an den nikotinbraunen Wänden? Werden sie versteigert, verramscht, um Gläubiger zu befriedigen? Das riesige Bild der Paris Bar, gemalt von Martin Kippenberger 1993 und seither an der Rückwand des Restaurants zuhause, ist allerdings eh nur noch eine perfekte Kopie von Daniel Richter - das restaurierte Original gehört bereits länger der Saatchi-Gallery in London. Nach Events wie Aids-Gala, Bambi, Bundespresseball oder Berlinale schwappten in die Paris Bar jahrelang die Wilden, die Klugen, die Schönen, manchmal sogar die Guten. Otto Schily, gerade abgemusterter Innenminister, hatte Würthle, 62, und seinem Kompagnon Reinald Nohal, 66, zum Ankauf des Restaurants geraten. Das war 1978, als sie den legendären Vorgänger-Laden Exil betrieben, mit dem Würthle-Motto für die Angestellten: "Schnell sein, dabei sein - bei Diebstahl tot sein!"
Alles war Handarbeit und Augenmaß
Auch die Kellner, genannt die Wölfe, "die ihr Großrevier ohne humanistische Zuckungen beherrschen", so Würthle mal, sind nun vermutlich bald arbeitslos. Sie waren Männer - nur einmal gab's kurz eine Frau - aus vielen fernen Ländern; sie sprachen französisch, weil die Wirte das so wollten, eine Art "Paris-Bar-Esperanto", und die Kellner-Arien zu belauschen war stets eine schöne Sache: "Table sept, une Omelette! Table trois, Foie Gras! Paté, Montrachet! Fine de claires, Badoit et deux Verres!" Sehr viele von ihnen sind schon sehr lang dabei, manche konnten auch mal ruppig sein, auf zack waren alle, vor allem, wenn Würthle schnarrte: "Macht mal Figur!" Nohal hingegen pflegte "Hilfe!" zu rufen, wenn er eine neue Weißweinschorle wollte. Es gab keine Schnapsportionierer und keine Spülmaschine für Gläser, alles war Handarbeit und Augenmaß; alles ein wenig altmodisch und angenagt. Doch sogar der Kondomautomat auf dem - erst letztes Jahr endlich renovierten - Herrenklo wurde literarisch verewigt: In der Kurzgeschichten-Sammlung "Eine Vielzahl von Sünden" des Pulitzer-Preisträgers Richard Ford geht ein Mann nur in die Paris Bar, um Kondome zu kaufen (Sex hat aber zumindest er woanders - einige echte Gäste hingegen...).
Galante Gastgeber
Würthle wie Nohal waren galante Gastgeber in ihrer sehr privaten Prasserie, gnadenlos subjektiv in ihren Vorlieben und Abneigungen. Sie kennen sich seit 40 Jahren, manchmal lieben sie sich, manchmal reden sie nicht miteinander - und sie wirtschafteten schon immer mit ihrer eigenen Art von Betriebswirtschaft. Sie gaben und hatten Kredit groß und klein; und wenn ihnen einer gefiel, oder: eine, dann riefen sie: "Coupe! Maison!", ein Glas Champagner auf Kosten des Hauses - Dom Pérignon natürlich. Ihnen gefiel öfters jemand; wenn nicht, gellte es auf österreichisch durch den verrauchten Raum: "Stanzen!", zu deutsch rausschmeißen. Was tun diese zwei Herren, derentwegen die 60 Prozent Stammgäste ebenso wie die Stars kamen? Schlendern sie nun als Rentner durch die Hauptstadt? Oder wandern sie nach Griechenland und Kanada an den Yukon aus, wo sie schon lange Besitz haben? Wollen sie's noch einmal wissen, werden sie versuchen, reinen Tisch zu machen und den alten Laden selbst neu eröffnen, wie manche zu wissen glauben?
Die Tür, durch die Madonna und de Niro gingen
Und sonst? Wird ein neuer Betreiber die 120 Sitzplätze der Paris Bar übernehmen, und die Tür wieder öffnen? Diese Tür, durch die Jack Nicolson wie Robert de Niro, Madonna wie Gina Lollobrigida auftraten und abtraten, die Schleuse in die nächtlichen Saalschlachten? Oder werden Gläubiger die schwarzen, schmalen Stühle hinaustragen, die die Chefs 1979 für das Stück fünf Mark aus dem pleite gegangenen Kreuzberger Ballhaus Resi erwarben? Werden sie die erst letztes Jahr endlich renovierte Küche herausreißen lassen?Ach, es war immer so schön in der "Paris Bar", vor allem spät nachts, wenn der Ton rauher wurde und nicht nur die Gäste blauer wurden, wenn der eine Chef adrett Rock´n´Roll auf dem Tisch tanzte wie weiland in Wien gelernt, der andere Stuhlgitarre spielte und dazu die Internationale sang. Zubetonieren sollte man diesen wunderbaren Ort, und drinnen würde alles langsam, ganz langsam, zu Staub zerfallen - aber wenn er fällt, der Staub, dann wird er leise singen und viele, viele Anekdoten erzählen. Nur die letzten von ihnen, die sind dann vielleicht nicht mehr so schön.