"Es vollzieht sich im Augenblick ein gravierender Wechsel", sagte der Darmstädter Soziologe Michael Hartmann am Donnerstag bei einer Tagung der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft in Gießen. Reine Leistungseliten, wie sie im Moment propagiert würden, werde es dabei nicht geben. Die soziale Herkunft spiele bei der Selektion eine entscheidende Rolle. Als Beispiel nannte Hartmann Elitehochschulen in Frankreich und den USA. Die seien nur nach außen hin auf Leistung ausgerichtet. "Unter der Hand spielt die soziale Herkunft eine entscheidende Rolle", betonte Hartmann, der mit dem Buch "Der Mythos von den Leistungseliten" bekannt wurde.
Gesucht: Bürgerliche Erziehung
In den Auswahlverfahren in den USA sind seinen Angaben zufolge auch Persönlichkeitsmerkmale wie sprachliche Eloquenz und "Leadership" (Führungsstärke) entscheidend. Solche Qualitäten, die angeblich zum Charakter der Universitäten passen, würden nur in der bürgerlichen Erziehung vermittelt. "Wo kann sich mehr 'Leadership' entwickeln? Wenn der Vater Vorstandsvorsitzender ist oder wenn er bei der Müllabfuhr arbeitet?", fragte Hartmann. Wenn die Auswahl an den amerikanischen Elitehochschulen nur nach schulischen Leistungen erfolgen würde, "würde sich dort der Anteil der Kinder aus besseren Schichten halbieren", sagte der Wissenschaftler.
In Deutschland gebe es ein solches Elitensystem noch nicht, weil es noch keine Spitzeninstitutionen gebe. "Bislang ist es vollkommen egal, wo man studiert hat", sagt der Professor. "Das wird sich aber innerhalb der nächsten zehn Jahre gravierend ändern." Die Spaltung der Gesellschaft werde unter dem Hinweis auf Leistungseliten politisch legitimiert, warnte er.