Herr S.*, 41 Jahre, arbeitet seit er aus der Schule ist, als Lagerist. Lange Jahre war es sein Traumjob, mit klar vorgegebenen Arbeitsabläufen, vielen Entwicklungsmöglichkeiten und Karrierestufen. Seit einigen Jahren allerdings stagniert dieser Prozess. Im Rahmen einer Umstrukturierung wurde eine Kollegin eingestellt, die einen Teil seiner Aufgaben übernommen hat. Seitdem ist Herr S. nicht mehr ausgelastet und im Grunde ständig damit beschäftigt, so zu tun, also ob er genau das wäre. Je länger er das tut, desto weiter verstrickt er sich in ein tiefes Netz aus Scheinwahrheiten und das kostet Kraft. Wie kann er da wieder rauskommen?
Mittlerweile plagen Herrn S. Symptome, die ihn beim Googeln auf Burnout hinweisen: Er fühlt sich erschöpft und antriebslos. Er schläft schlecht, hat oft Kopfschmerzen und Schwindelgefühle und seit neuestem auch noch einen Tinnitus. Und er merkt, dass er sich bei seinem Chef oft krankmelden muss.
Der Verlauf des Boreout ähnelt ziemlich genau der Erschöpfungsspirale des Burnout-Syndroms, unterforderungsbedingter Stress ist damit genauso schädlich wie überforderungsbedingter Stress - egal, ob dieser positiv oder negativ motiviert ist. Herrn S. ist die Situation, in der er nun steckt, irgendwie peinlich: Er kann doch nicht sagen: "Ich bin so gelangweilt, das stresst mich total - es macht mich krank." Er, von dem doch alle wissen, wie arbeitsam und tüchtig er ist.

Pflichtgefühl und Schuldgefühle
Genau hier fängt das Unglück jedoch an. Boreout erfasst überwiegend Menschen mit einem hohen Wertekanon, hehrem Arbeitsethos und starker Moral. Landen diese Personen in einer Arbeitssituation, die sie unterfordert, übernehmen sie die Verantwortung und fühlen sich schuldig, dabei macht erst ein Strukturproblem das Boreout möglich. Ihr Pflichtgefühl und die Leistungsorientierung lassen diese Personen ihre Situation negativ wahrnehmen und hebt sie damit ab von den "Faulen" - das Selbstbild kann somit gewahrt werden.
Im Falle von Herrn S. war der Auslöser die Umstrukturierung, bei der die neue Job- und Aufgabenbeschreibung nicht klar formuliert wurde. Im neuen Aufgabenfeld konnte Herr S. seine Stärken nicht mehr einsetzen und leben. Nach einer ersten Phase des Genießens, weniger zu tun zu haben, langweilte es ihn geradezu. Nun ist Boreout gesellschaftlich nicht anerkannt, wer sich outet, gilt als Nichtstuer*in, weshalb Herr S. sich lange nicht traute, mit seinen Vorgesetzten zu sprechen und jetzt war es irgendwie auch zu spät. Der Weg zurück aus so einer Lage wird allerdings immer schwieriger, je länger die Beteiligten warten.
Der Mensch braucht Aufgaben
Was würde passieren? Würde erkannt, dass er gar nicht gebraucht wird und würde er dann seinen Job verlieren, wenn auffliegt, dass er schon lange kaum noch zu tun hat? Oder würde er in Folge dessen dann vielleicht auch überlastet oder überfordert mit neuer Arbeit? Die aus diesen Gedanken abgeleiteten so genannten Exit-Hemmungen machen das Stoppen der Abwärtsspirale schwierig, in deren Folge es durch die andauernde Unterforderung zu physischen Ermüdungserscheinungen kommt - das Gegenteil des so genannten Flows, bei dem Mitarbeiter*innen in ihrer Arbeit selbstvergessen aufgehen.
Hier wird deutlich, wie wichtig es ist, das Thema auf Führungsebene zu enttabuisieren. Statt die Situation zu ignorieren, könnte eine besser passende Arbeitsstelle innerhalb des Unternehmens winken, denn Mitarbeiter*innen im Boreout produzieren vermeidbare Kosten. Eine klare Job- und Aufgabenbeschreibung von Seiten der Führungskraft kann dieser Entwicklung zum Beispiel entgegenwirken. Auch regelmäßige Personalgespräche helfen, in denen die Auslastung und Arbeitsergebnisse besprochen werden. So können unentdeckte Potenziale bestmöglich genutzt werden, denn eines ist zum Thema Boreout mittlerweile klar: Menschen, die ihre Werte und Potenziale kennen und diese mit ihrem Arbeitsplatz und dem Unternehmen verknüpfen, landen nicht im Boreout. Der Mensch braucht Aufgaben und möchte wirken.
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Wie sage ich's dem Vorgesetzten?
Zusammen mit Herrn S. habe ich in der Beratung das Gespräch mit seiner Führungskraft vorbereitet. Wichtig war dabei vor allem, die Angst vor einer eventuellen Überforderung zu betrachten: Herr S. war überzeugt, den dann neuen Anforderungen nicht gerecht zu werden und in Folge dessen seine Sicherheit im Job zu verlieren - das wollte er auf keinen Fall riskieren. Es wurde deutlich, dass es sich ursächlich um ein Strukturproblem handelte und es nicht allein seine Verantwortung war. Ich riet Herrn S., offen in den Austausch mit seinem Vorgesetzten zu gehen sowie zu schildern, warum er erst so spät auf seine Führungskraft zugekommen ist. Und gleichzeitig auch aufzuzeigen, wie eine inhaltliche Veränderung seiner Aufgaben für ihn aussehen kann.
Zwei Tage nach der Beratung führte Herr S. das Gespräch mit seinem Vorgesetzten. Dieser war mehr als erstaunt, weil Herr S. immer so beschäftigt gewirkt hatte. Er war aber gleichzeitig auch sehr dankbar und hatte direkt eine Idee für einen neuen, spannenden Aufgabenbereich für Herrn S. im Kopf. Gerade im Boreout sind Happy Endings möglich. Trauen Sie sich und machen Sie sich sichtbar!
Hier meine Tipps für Sie:
- Stehen Sie gegenüber Ihren Vorgesetzten dazu, zu wenig zu tun zu haben. Sie sind dafür nicht allein verantwortlich. Auch müssen Sie die Lösung nicht parat haben, sondern sie gemeinsam mit Ihrem Vorgesetzten entwickeln. Sprechen Sie das Thema zunächst einfach mal an und machen Sie gegebenfalls schon konkrete Vorschläge.
- Haben Sie keine Angst davor, plötzlich zu viel zu tun zu haben - genau wie vorher können Sie auch das Problem dann einfach mit Ihrem Vorgesetzten besprechen.
- Oft hat Boreout mit Überqualifizierung, hohen Werten und Engagement zu tun - das sind doch erstmal tolle Zuschreibungen! Es geht nun lediglich darum, diese Qualitäten im aktuellen Arbeitskontext anders einzusetzen. Ein Grund mehr, das Gespräch zu suchen.
- Seien Sie sich darüber im Klaren, dass Vorgesetzte in der Regel dankbar sind für Ihre Offenheit. Sie haben keine Chance, Ihnen zu helfen, wenn Sie sich mit Ihrem Problem nicht zeigen. Und vielleicht wollte Ihre Führungskraft schon längst etwas Neues anstoßen und dachte, es fehle schlichtweg an Mitarbeitern.
- Richten Sie sich positiv aus: Es kann mit Ihrem Engagement doch im Grunde nur besser werden!
* Fallbeispiel aus der Beratungspraxis des Fürstenberg Instituts. Der Fall wurde mit dem Einverständnis des Betroffenen anonymisiert.