Wenn Martin Kater will, kann er seinem Chef die Gehaltsabrechnung vermiesen. Ein Mal im Jahr füllt der Talkline-Mitarbeiter anonym einen Fragebogen aus, in dem er seinen direkten Vorgesetzten bewertet. Das Ergebnis beeinflusst dessen Bonuszahlung. "Das ist eine gute Möglichkeit zu sagen, dass mir etwas nicht passt", sagt Kater. Nach Ansicht des 33-Jährigen ist es eines der Elemente, die das Arbeitsklima bei dem Telekommunikationsunternehmen im schleswig-holsteinischen Elmshorn ausmachen: Locker, unkompliziert, skandinavisch.
Während sich in anderen Firmen Misstrauen durch die Flure zieht, Angestellte über die Gehaltszettel ihrer Chefs spekulieren und das Unwort von "Heuschrecken" die Runde macht, scheinen die 900 Mitarbeiter bei Talkline von der öffentlichen Diskussion wenig berührt. "Mich interessiert gar nicht, was mein Chef verdient", sagt Kater. "Ich bin mit meinem Gehalt zufrieden, und ich gehe davon aus, dass die Vorgesetzten schon angemessen bezahlt werden."
Zehn Mal im Jahr zum "Talklunch"
Talkline wurde 1991 von einem Elmshorner Landwirt gegründet. Seit 1997 gehört sie vollständig zum dänischen Telekommunikations-Konzern TDC. Talkline betreut etwa 2,7 Millionen Kunden. Der Umsatz stieg im vergangenen Jahr um 14,7 Prozent auf 1,03 Milliarden Euro. Seit einem dreiviertel Jahr leitet der Däne Christian Winther das Unternehmen.
"Talkline funktioniert wie eine dänische Firma", sagt der 34-Jährige. Die Türen sind offen, alle duzen sich, die Hierarchien sind flach. Die Vorgesetzten der einzelnen Ressorts heißen "Teamleiter". "Über die Diskussion um Managergehälter haben wir höchstens geschmunzelt." Statt Mitarbeitern seine Verdienstbescheinigung vorzulegen, lädt er sie lieber etwa zehn Mal im Jahr zum Mittagessen ein. "Talklunch" heißt die Aktion, bei der zehn Beschäftigte zufällig ausgewählt werden, um mit dem Chef in einem Restaurant auf der gegenüberliegenden Straßenseite essen zu gehen. So erfahre er, was sich im Unternehmen tue, sagt Winther.
"Es geht einfach darum, den Mitarbeiter ernst zu nehmen"
Ein anderer Baustein ist die mit den Bonuszahlung gekoppelte Beurteilung der Vorgesetzten. Nach Ansicht der Juristin Angela Walter ist die Maßnahme ein richtiger und wichtiger Schritt. "Das einzige was wirklich wehtut, ist Geld", sagt die 30 Jahre alte Mitarbeiterin der Rechtsabteilung. Das Ergebnis der Befragung kann nach Unternehmensangaben mehrere tausend Euro Minus für den Vorgesetzten ausmachen. Der Einschnitt für den schlechten Chef ist also spürbar - ohne dass er ihn in Armut stürzt.
"Es geht einfach darum, den Mitarbeiter ernst zu nehmen", fasst Pressesprecher Ove Struck zusammen. Auch wenn manche Beschwerden nicht zu ändern seien - man könne mit dem Betreffenden reden und ihm die Situation erklären. Häufig herrsche Unzufriedenheit in Betrieben, weil sich die Beschäftigten schlecht informiert und bei Entscheidungen übergangen fühlten.
Die Unternehmenspolitik von Talkline hingegen ist nach Ansicht von Winther ein Erfolgsfaktor. "Man muss daran glauben, dass unsere Maßnahmen zu besseren Ergebnissen führen", sagt er. Gut betreute Kunden und motivierte Mitarbeiter führten zu Wachstum - Talkline sei 2004 doppelt so stark wie der Markt gewachsen. Häufig allerdings vertrauten Firmenchefs eher auf so genannte harte Faktoren als auf "sanfte Maßnahmen". Bei Talkline sind die Beschäftigtenzahlen konstant. "Wenn ich jeden Morgen mit einem grimmigen Gesicht hierher käme, und mir gefiele es nicht, dann würde ich bald gehen", sagt Kater.
Kristina Pezzei/DPA