SENIOR-EXPERTEN Experten mit weißen Haaren

Vor seiner Abreise hatte der bulgarische Druckereibesitzer noch eine Bitte an den Senior-Experten. Wenn im nächsten Jahr die neuen Maschinen kommen, soll er doch noch mal vorbeischauen.

Vor seiner Abreise hatte der bulgarische Druckereibesitzer noch eine Bitte an Günter Völkel. Wenn im nächsten Jahr die neuen Maschinen kommen, soll er doch noch mal vorbeischauen. Zwei Wochen lang war der Monteur im März diesen Jahres in Burgas am Schwarzen Meer, hat Maschinen in der mittelständischen Druckerei überprüft und Ratschläge für Neuerwerbungen gegeben. Sein Lohn: freie Unterkunft, Verpflegung und ein Taschengeld. Zwei andere Deutsche, die im Hotel wohnten, konnten das erst gar nicht glauben: »Wenn du es nicht nötig hast, Geld zu verdienen ...«

Günter Völkel ist 65 Jahre alt und seit 1998 eigentlich im Ruhestand, aber für den Senior Experten Service unterwegs. Zuvor war er zwanzig Jahre als Druckmaschinentechniker selbstständig, hat Druckereien in ganz Thüringen betreut. Jetzt kümmert er sich vor allem um sein Haus in Kiliansroda bei Weimar und als Hobbyimker um seine Bienen. Vor zwei Jahren hörte er erstmals vom Senior Experten Service (SES).

Die gemeinnützige Organisation vermittelt seit 1983 aus dem Berufsleben ausgeschiedene Fachleute an kleine und mittlere Firmen im In- und Ausland. Ehrenamtlich helfen die »Experten mit den weißen Haaren« bei fachlichen Problemen und bei der Qualifizierung der Mitarbeiter, leisten Hilfe zur Selbsthilfe.

»Ich wollte mal wieder in meinem Beruf tätig sein und den Leuten helfen«, sagt Völkel zur Begründung, warum er sich als Senior-Experte beworben hat. Der Druckmaschinen-Experte war schon zu DDR-Zeiten oft im Ausland, hat zum Beispiel 1963 im heutigen Tansania eine Druckerei mit aufgebaut. Ein wenig erinnere ihn der SES an die »sozialistische Hilfe« in der DDR, sagt Völkel. So nannte man es, wenn Arbeiter in anderen Betreiben aushelfen mussten. Nach dem Ende des Sozialismus griffen viele Ost-Betriebe auf die Hilfe von Senior-Experten zurück, um den Neuanfang in der Marktwirtschaft zu schaffen.

Bedarf überwiegend im Ausland

»Das Fachwissen war ja da, aber es fehlte an Kenntnissen im Management, im Bankwesen und so weiter«, erzählt Wolfgang Greif, ebenfalls Senior-Experte und Leiter des Erfurter Verbindungsbüros des SES. Für die ehrenamtliche Hilfe der Rentner mussten die Firmen nicht so viel zahlen wie für teure professionelle Berater. 300 Einsätze hätten Fachleute aus den alten Bundesländern nach der Wiedervereinigung in Thüringen geleistet.

Inzwischen ist die Nachfrage nach Senior-Experten in Deutschland wieder zurückgegangen. Die meisten werden in Nordrhein-Westfalen und in Baden-Würtemberg gebraucht. Aus Thüringen liegen zur Zeit nur zwei Anfragen vor. Es gebe hier einfach zu wenig Betriebe, sagt Greif. »Dafür wird unser Wissen unheimlich in den Ostblockstaaten und in China gebraucht.« Über sechzig Mal seien Senior-Experten aus Thüringen seit 1992 im Ausland gewesen. Tendenz steigend. Bundesweit gibt es rund 5.600 Senior-Experten. Greif hat 85 Senioren in seiner Kartei, darunter fünf Frauen.

Bei der Aufzählung der Berufe seiner Helfer findet er kaum ein Ende: »Monteur für Kühltechnik, Schweißtechnik, Gummiproduktion, Pädagogen, Architekten, Auto-Mechaniker, Chemiefachleute, Landwirte, Schuhmacher ...« Trotzdem könnte ein Fünftel aller Anfragen nicht bedient werden, weil es keine passenden Fachleute gebe. Dabei nutzt der Leiter des Verbindungsbüros jede Möglichkeit zur Werbung.

»Die Thüringer sind leider manchmal etwas schwerfällig«, bedauert Greif. Viele würden sich davor scheuen, ins Ausland zu gehen. Nicht so Günter Völkel. Im Oktober fliegt er zum nächsten SES-Einsatz - nach Wenzhou in China. »Da hänge ich aber noch ein paar Tage dran und schaue mir die chinesische Mauer an.«

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