Herr Böhle, Verdi hat Warnstreiks "quer durch die Bundesrepublik" angekündigt. Selten wurde so früh schon so massiv zum Arbeitskampf aufgerufen.
Das hat eine absolut neue Qualität. Ich habe den Eindruck, dass das Drehbuch schon von vornherein feststand. Schon im September vergangenen Jahres wurde von Streiks gesprochen, obwohl noch gar keine Forderungen auf dem Tisch lagen. Das neue Internetportal von Verdi trägt ja auch signifikanterweise den Namen Streik-TV und nicht Tarifrunde 2008.
Es spricht alles dafür, dass es sich um eine Inszenierung handelt. Aus unserer Sicht sind die Warnstreiks völlig unnötig, zu mal wir schon ein Angebot vorgelegt haben.
Inszenierung?
Verdi hat die eigenen Mitglieder mit der Forderung nach acht Prozent und einem Mindestzuschlag von 200 Euro derart scharf gemacht, dass die Gewerkschaft gezwungen ist, gleich eine sehr harte Gangart einzuschlagen. Zumal unser Angebot natürlich nicht die der Verdi-Forderung erreichen kann.
Verdi weckt bei den Beschäftigten zu hohe Erwartungen?
Ja, zum Teil sind die Forderungen aus den Bezirken aber noch viel höher gewesen. Die Verdi-Führung wirkt getrieben. Die Mitglieder erwarten einen Arbeitskampf und dem muss die Gewerkschaft gerecht werden. Nur geht dieser Kampf zu Lasten vieler Unbeteiligter.
Es droht also eine lange und harte Tarifauseinandersetzung?
Davon müssen wir ausgehen. Wenn die Positionen schon so weit auseinander liegen, müssen beide Parteien behutsam vorgehen und die Möglichkeiten für eine Annäherung ausloten. Schon nach der dritten Runde zu Streikmaßnahmen aufzurufen, zeigt leider, dass man derzeit an Lösungen offenbar nicht interessiert.
Welchen Einfluss werden die Warnstreiks auf ihre Verhandlungsposition haben?
Ich gehe nicht davon aus, dass Warnstreiks das geeinigte Mittel sind, um die Position der Arbeitgeber maßgeblich zu beeinflussen.
Zur Person
Thomas Böhle, 53, ist seit Herbst 2004 Präsident der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) in Deutschland. Geboren wurde Böhle in Freiburg, aufgewachsen ist er in Luzern, später in Caracas, wohin er dem Vater folgte. Seit 1963 lebt er in München. Böhle promovierte an der Verwaltungshochschule Speyer. Seit 1982 arbeitet der Jurist in der Münchner Stadtverwaltung, seit 1998 ist das SPD-Mitglied im Stadtrat für Personal zuständig. Lieblingsautor des Kunstfreundes ist Franz Kafka, im Büro hängt ein Bild des Autors im Andy-Warhol-Stil.
Ok, das war jetzt Tarifdeutsch. Konkret: Werden Sie Ihr Angebot nachbessern?
Wenn sich zwei Verhandlungspartner mit unterschiedlichen Vorstellungen gegenüberstehen, macht es Sinn, dass beide aufeinander zugehen. Wenn Verdi bereit ist, in bestimmten Bereichen Zugeständnisse zu machen, dann ist es selbstverständlich, dass auch wir uns bewegen werden.
Wo muss sich Verdi bewegen?
Die Gewerkschaft muss ihre Forderung überdenken. Wo kann sich die Gewerkschaft Abstriche vorstellen? Im Gegenzug werden wir prüfen, wo wir für neue Gespräche Anknüpfungspunkte sehen, um unser Angebot zu modifizieren. Wir haben schon in einigen Bereichen Gesprächsbereitschaft signalisiert. Verdi ist demgegenüber in keinem Punkt zu einer Bewegung bereit.
Können Sie den Unmut unter den Beschäftigten nicht verstehen? Jahrelange Nullrunden und jetzt machen die Kommunen wieder einen Milliardenüberschuss.
Ein uneingeschränktes Ja. Es ist selbstverständlich, dass die Beschäftigten an der guten Konjunktur teilhaben wollen. Nur: Es gibt ein paar ganz gravierende Punkte, die so in anderen Branchen nicht vorhanden sind. Die Kommunen sitzen auf einer erheblichen Schuldenlast.
Würden wir die Forderungen von Verdi erfüllen, würde uns das sieben Milliarden Euro kosten. Das wäre der gesamte Überschuss des vergangenen Jahres. An Schuldenabbau und an notwendige Investitionen wäre dann nicht mehr zu denken. Verdi überfordert die öffentlichen Haushalte mit ihrer Forderung in unverantwortlicher Weise.
Das mag so stimmen. Was Sie anbieten ist einen Inflationsausgleich in 2008 und einen Reallohnverlust in 2009 bei gleichzeitig längerer Arbeitszeit.
Das ist die Verdi-Position. Sie werden aber keinen Beschäftigten finden, der so rechnet und sich nicht freuen würde, bis zu fünf Prozent mehr zu verdienen. Verdi rechnet unser Angebot schlecht.
Wie hoch schätzen Sie die Wahrscheinlichkeit, dass es zu einem echten Streik kommt.
Dazu müssten die Verhandlungen komplett scheitern. So weit sind wir noch lange nicht. Stattdessen sollten wir Kompromisslinien ausloten. Angesichts der harten Haltung von Verdi bin ich in diesem Punkt im Augenblick aber wenig optimistisch.
Interview
: Marcus Gatzke