FERNSEHEN ProSieben gerät unter Quotendruck

Ein verhageltes Frühjahr: ProSieben verlor an Boden und sackte auf Platz drei in der Zuschauergunst. Der Grund: kaum noch gute Spielfilme und kein erkennbares Profil mehr

Lange Zeit galt ProSieben unter den Fernsehzuschauern als erste Adresse für exzellente Spielfilmangebote aus den Hollywood-Schmieden und für US-Serien wie 'Akte X' oder 'Emergency Room'. Der Marktanteil des Münchner Privatsenders, an dem die insolvente Kirch Media mehr als die Hälfte hält, lag in den neunziger Jahren lange über der Zehn-Prozent-Marke. Vor allem unter jungen Leuten war ProSieben ein 'Muss'. Doch von dem innovativen und frischen Image des Kanals, der vor mehr als zehn Jahren einen nur mit RTL vergleichbaren Siegeszug in der deutschen Medienlandschaft antrat, ist nicht mehr viel übrig geblieben - und die Zuschauer wandern ab.

Erstmals musste

sich ProSieben, das Flaggschiff in dem vor zwei Jahren zusammengeschweißten Konzern der ProSiebenSAT.1 Media AG, im Monat Mai mit dem zweiten Platz hinter dem Familiensender SAT.1 begnügen. Denn in der für die werbetreibenden Wirtschaft so entscheidenden Zielgruppe der 14- bis 49-jährigen Zuschauer, in der ProSieben bereits Marktführer RTL dicht auf den Fersen war, fiel der Sender hinter SAT.1 (11,2 Prozent im Mai) mit 11,0 Prozent auf den dritten Platz zurück. Im Gesamtmarkt erreichte der Sender nur noch 6,7 Prozent. Die Gründe für den schleichenden Quotenrückgang sind vielfältig und im Programm zu suchen.

Längst hat sich

das Unternehmen, das einst das Label US-Filme trug, zu einer Art Gemischtwarenladen mit deutscher Ware in der Auslage gewandelt. Eigenproduktionen aber finden bei den Zuschauern aber relativ wenig Anklang: Die 'Operation Rubikon', ein von der Kritik gelobter Agententhriller in zwei Teilen, floppte mit knapp 1,7 Millionen Zuschauern pro Episode. Der Versuch von ProSieben, nach vielen gescheiterten Realityformaten der Konkurrenz wie 'Big Diet' (RTL II), 'Insel der Versuchung' (RTL) oder 'Girls Camp' (SAT.1) mit der 'Mission Germany' wieder ein neues Produkt einzuführen, schlug fehl. Nur 5,1 Prozent brachte jede Ausgabe der täglichen Show im Mai. Die Konkurrenz der Gerichtsshows, mit der gerade SAT.1 sehr massiv gegen ProSieben operiert, brachte ProSieben im Nachmittagsprogramm ins Schlingern. Die Talker Nicole Noevers und Andreas Türck mussten aufgeben. Arabella Kiesbauer, als einzige Vertreterin des Genres am Nachmittag noch vertreten, ist vom 'audience flow' isoliert, ihre Quoten bröckeln auch. Die 33-Jährige drohte bereits kürzlich mit Rücktritt angesichts des auslaufenden Vertrages Ende 2002. Die Alternativen gegen die Gerichtsshows, Tobias Schlegls Show 'Absolut Schlegl', ist trotz vieler erotischer Elemente genauso wenig erfolgreich wie der 'Clip-Mix' von Sonya Kraus und Alexander Mazza.

Ein diffuser

Gemischtwarenladen, in dem sich keiner so recht wohl fühlt, ist aber nicht das einzige Problem des Senders, der auf dem Gebiet der jungen Comedy im deutschen TV Pionierarbeit geleistet hat. Stefan Raab, neben Kiesbauer und Komiker Michael Herbig einziges Aushängeschild des Senders, bereitet dem Sender erhebliche Probleme. Nach der Umstellung seiner Show auf vier Ausstrahlungen pro Woche sanken die Quoten. Und was ähnlich schwer wiegt: Er hat Imageprobleme geschaffen. ProSieben musste sich mit RTL wegen urheberrechtlicher Probleme (RTL beharrt auf Honorar für Bildmitschnitte vom Sender, die Raab zeigt) vor Gericht begeben. Raab hat auch private Klagen am Hals, zuletzt von einer 17-jährigen Essenerin, die sich verunglimpft fühlte. Dafür handelte er sich erhebliche Medienschelte ein.

Hat der Sender

ein Konzept gegen sinkende Zuschauerzahlen und damit verbundene geringere Einnahmen? Die Situation erscheint vertrackt. Die Studios in Hollywood produzieren längst nicht mehr als 20 brauchbare Spielfilme im Jahr, die sich ProSieben auch noch mit RTL in etwa teilen muss. US-Serien sind bis auf wenige Ausnahmen ('Sex and the City') nicht mehr angesagt. Und wegen der Magazine wie 'SAM', 'Galileo' oder 'taff' allein wollen die Leute ProSieben auch nicht sehen. Vielleicht könnte ein Programmdirektor den amtierenden Geschäftsführer Nikolas Paalzow entlasten - doch Paalzow muss diese Position in Personalunion bekleiden. Mit dem Abgang von Jan Körbelin hat ProSieben den Posten abgeschafft.

Carsten Rave