Herr Snower, der ehemalige Fed-Chef Alan Greenspan hat in einem Aufsatz einmal geschrieben, dass Integrität und Vertrauenswürdigkeit mit die wichtigsten Tugenden des Kapitalismus sind. Würden Sie dem zustimmen?
Ja, auf jeden Fall.
Die aktuelle Finanzkrise scheint dagegen eher zu belegen, dass Gier eine Kerntugend des Kapitalismus ist.
Ich würde die aktuelle Krise nicht zu einer grundsätzlichen Debatte über den Kapitalismus machen. Der Kapitalismus kann nur existieren, wenn die Grundregeln richtig geschrieben und auch eingehalten werden.
Hätten wir keine Regel, die das Stehlen verbietet, würde niemand etwas verkaufen oder kaufen. Es wäre viel einfacher, die benötigten Güter zu klauen. Aber der Schluss, weil wir diese Regeln brauchen, funktioniert der Kapitalismus nicht, ist unsinnig. Auf den Finanzmärkten wurde einfach nicht ausreichend und richtig reguliert, daher funktioniert das System nicht.
Sie sagen wir brauchen strengere Regeln. Brauchen wir auch neue Regeln für die Vergütung von Managern?
Ja. Wir müssen klären, welche Vergütungsformen zu einem effizienten Verhalten der Manager führen und nicht zu einer kurzfristigen Gewinnmaximierung.
Falsch wäre in jedem Fall, dass die Politik einfach willkürlich Obergrenzen für die Gehälter festlegt. Es ist aber genauso falsch, dass sich die Höhe der Gehälter allein an einem sehr kurzfristigen Gewinnstreben orientiert.
Die derzeitige Gehälterstruktur ist asymmetrisch. In guten Zeiten bekommen die Manager einen fetten Bonus, in schlechten Zeiten sinkt dieser Bonus aber maximal nur auf Null - er wird niemals negativ. Diese Systematik hat überhaupt nichts mit einem Anreiz zur Gewinnmaximierung zu tun. Die Boni werden jährlich ausgezahlt, was zu einem sehr kurzfristigen Denken geführt hat.
Sollten Manager in schlechten Zeiten ein negatives Gehalt bekommen - also Geld an ihren Arbeitgeber zahlen?
Genau. Gesetzlich ist ein negatives Gehalt natürlich verboten. Aber: Es ist möglich, die Boni eines Managers über einen gewissen Zeitraum - zum Beispiel fünf Jahre - in einen Fonds zu stecken und nicht direkt auszuzahlen.
In guten Zeiten fließt Geld in den Fonds, in schlechten Zeiten wird etwas von dem Fonds abgezogen. Nach Ablauf des Fünf-Jahres-Zeitraums kann in bestimmten Abständen Geld aus dem Fonds entnommen werden. Damit wäre die Gehaltsstruktur symmetrisch und das Denken der Manager würde sich eher an langfristigen Zielen orientieren.
Zur Person
Dennis J. Snower ein amerikanischer Wirtschaftswissenschaftler. Er ist seit Oktober 2004 der Präsident des Instituts für Weltwirtschaft (IfW) sowie Professor für theoretische Volkswirtschaftslehre an der Christian-Albrechts-Universität Kiel.
Welche Regeln brauchen wir auf politischer Ebene, um dieser Krise Herr zu werden?
Ein großes Problem war und ist: Risiken können außerhalb der Bankbilanz versteckt werden. Das ist skandalös, die Anleger können damit überhaupt keine rationalen Entscheidungen treffen. So etwas darf es in Zukunft nicht mehr geben - Risiken müssen transparent dargestellt werden.
Ein weiteres wichtiges Problem ist der Schattenbanksektor. Das sind Geldfonds, Hedgefonds, Private-Equity-Firmen und auch Investmentfonds wie AIG. So wie normale Banken decken sie ihre kurzfristigen Passiva mit langfristigen Aktiva, unterliegen aber nicht der gleichen Aufsicht und Regulierung. Viele Banken haben es geschafft, ihre Risiken im Schattenbanksektor zu verstecken.
Jeder Akteur am Finanzmarkt muss den gleichen Spielregeln unterworfen werden?
Ja. Der Teufel liegt natürlich im Detail, aber grundsätzlich gilt: Für ähnliche Risiken sollten ähnliche Regeln gelten. Das hat in der Vergangenheit überhaupt nicht gegolten. Die Politik hat nicht begriffen, wie man mit dieser Krise umgehen muss.
Was hat die Politik nicht verstanden?
Viele Politiker reden, als ob wir eine Liquiditätskrise haben würden. Der britische Premierminister Gordon Brown zum Beispiel stellt sich vor Journalisten und sagt: "Wir werden gewährleisten, dass alle Unternehmen liquide bleiben." Diese Aussage zeugt von einem großen Unverständnis. Wenn Illiquidität das Problem wäre, hätten wir die Krise längst gelöst.
Geld ist nicht das Problem?
Nein. Die Zentralbanken fluten den Geldmarkt mit Liquidität und außerdem sind die meisten Einlagen gegen eine Pleite abgesichert. Dieser Teil des Systems funktioniert. Die Schwierigkeit besteht vielmehr in einem potenziellen Insolvenzproblem. Bei vielen Banken kann der Fall eintreten, dass sie kurzfristig ihren Zahlungen nicht nachkommen können. Sie könnten sie langfristig decken, wie zum Beispiel bei der Hypo Real Estate, aber die langfristige Perspektive ist für eine Insolvenz ohne Belang. Kredite von der Zentralbank helfen nicht, dass Insolvenzrisiko zu beseitigen. Die Banken brauchen vielmehr frisches Kapital.
Amerika will das Problem mit Hilfe einer so genannten Bad Bank lösen. Die soll fast wertlose Hypothekenkredite aufkaufen und so die Bilanzen der Institute entlasten. Brauchen wir eine ähnliche Lösung auch in Europa?
Die Politik sollte die Finanzinstitute identifizieren, die auf keinen Fall insolvent gehen dürfen, weil von ihnen ein Systemrisiko ausgeht. Diesen Banken muss eine Solvenzgarantie gegeben werden. Wir brauchen eine Positivliste für den Bankensektor. Im Gegenzug müssen sich die Banken, für die der Staat notfalls garantiert, strengen Regeln, was das Eigenkapital und die eingegangenen Risiken betrifft, unterwerfen.
Dadurch würde jeder Akteur am Finanzmarkt schon im Vorhinein wissen, was passieren wird, wenn einer Bank die Pleite droht. Nur so kann wieder Vertrauen entstehen. Ich glaube nicht, dass die Politik begriffen hat, wie giftig die derzeitige Planlosigkeit ist. Es wird gewartet, bis ein Institut kurz vor der Pleite steht, und dann wird eine Einzelfallentscheidung getroffen. Daraus kann sich kein Vertrauen bilden.
Wie kann festgestellt werden, ob von der Pleite einer bestimmten Bank ein Systemrisiko ausgeht oder nicht?
Das ist schwierig, aber nicht unmöglich. Wichtig ist, dass sich die Politik auf internationaler Ebene verständigt. Das Finanzsystem ist global so verflochten, dass nationale Alleingänge wie wir sie derzeit insbesondere in Europa sehen, zu nichts führen. So kann die Krise nicht gelöst werden.
Historisch gibt es wenige Beispiele für schnelle und nachhaltige Erholungen. In den USA dauerte es bis Mitte der 50er Jahre, bevor an der Börse das Niveau von 1929 wieder erreicht wurde. Wie lange müssen wir diesmal warten?
Darauf kann ich Ihnen keine Antwort geben. Nur eins ist klar: Je länger das Vertrauen fehlt, desto länger wird auch die Krise insgesamt anhalten. Wenn erst einmal auch Unternehmen der Realwirtschaft insolvent gehen, ist die Tür zur Lösung der Krise erst einmal zu und dann bekommen wir sie so leicht nicht wieder auf.
Wir müssen uns beeilen, dass sich die Tür nicht schließt. Die Realwirtschaft kann sich die Probleme in der Finanzwelt nicht mehr lange leisten. Früher oder später wird es auch dort zu Insolvenzen kommen.
Konkret für Deutschland: Wird es in Deutschland eine Rezession geben und kann man eine Prognose darüber abgeben wie lange sie anhalten wird?
Die Gefahr einer Rezession ist sehr hoch. Wie lange sie anhält, hängt entscheidend von der Länge der Finanzkrise ab. Deshalb müssen wir schnell und beherzt handeln.