Die Vereinigten Staaten, die Speerspitze des Kapitalismus und der freien Märkte, tun sich äußerst schwer damit, 700 Milliarden Dollar an Steuergeldern zur Rettung der Finanzbranche bereitzustellen. Republikaner und Demokraten übten heftige Kritik an der Strategie von US-Finanzminister Henry Paulson.
Im Kern geht es darum, wie viel Freiheiten der Minister erhält und an welche Bedingungen die Hilfe für die krisengeschüttelten Branchen geknüpft werden. Die Demokraten fordern unter anderem eine Reduzierung der Managergehälter und Abfindungen bei den Firmen, die Geld aus dem staatlichen Topf erhalten. Der Staat würde damit den Firmen nicht nur finanziell unter die Arme greifen, sondern direkt in deren Unternehmenspolitik eingreifen. Ein für die USA ungewöhnlicher Schritt, sollte es dazu kommen.
Massiver staatlicher Eingriff
Paulson, früher selbst in leitender Position bei der ehemaligen Investmentbank Goldman Sachs, steht solchen Bedingungen aber sehr skeptisch gegenüber. Eine Beschränkung der Manager-Gehälter würde kleinere Banken davon abhalten, sich an dem Programm zu beteiligen, argumentiert er. Befürworter halten dies für einen Bluff: Bei der Wahl zwischen einer Pleite und einer Reduzierung der Top-Vergütungen sei die Wahl einfach, heißt es von dem Demokraten im Kongress.
Nach einem Bericht des "Wall Street Journal" (WSJ) gibt es in einem Punkt aber bereits eine weitgehende Einigung. Demnach kann die USA Anteile an Firmen übernehmen, denen sie quasi wertlose Hypothekenkredite abgekauft hat. Die Höhe der Beteiligung soll auch von der Höhe der finanziellen Unterstützung abhängen. Damit würde der amerikanische Staat in einem großen Ausmaß staatliche Beteiligungen aufbauen - und zwar in einem Sektor, in dem in der Vergangenheit staatliche Eingriffe von den USA besonders vehement abgelehnt wurden.
Letztmalig hat es eine solche Intervention - abgesehen von der Quasi-Verstaatlichung des Versicherers American International Group (AIG) Anfang September - 1979 gegeben. Damals wurde der Automobilkonzern Chrysler vor der Pleite gerettet. Die Regierung bekam im Gegenzug Chrysler-Optionsscheine.
Hilfe für Hausbesitzer
Zudem ist offenbar bereits entschieden, dass es weitere Finanzspritzen für Hausbesitzer geben wird. So sollen Zwangsvollstreckungen bei Hypotheken verhindert werden, die von der Regierung aufgekauft wurden. Die demokratische Parlamentspräsidentin Nancy Pelosi sagte, das Gesetzespaket könne schon "bald" verabschiedet werden. Aus Kreisen des Kongresses verlautete, eine Abstimmung im Repräsentantenhaus sei schon am Mittwoch oder Donnerstag möglich.
Massive Kritik kam vom demokratischen Senator Richard Durbin. Er verglich die derzeitige Situation mit der Lage kurz vor dem Einmarsch in den Irak: "Genauso, wie wir damals mehr Fragen über die Existenz von Massenvernichtungswaffen im Irak hätten stellen müssen, müssen wir jetzt mehr Fragen darüber stellen, wohin das ganze führen soll."
Um die Zustimmung der breiten Bevölkerung zu erhalten, fokussiert sich Finanzminister Paulson zunehmend auf die aus seiner Sicht positiven Folgen für die US-Bürger. "Wenn das Finanzsystem nicht funktioniert, sind die Ersparnisse der Amerikaner gefährdet und damit die Möglichkeiten zu investieren und Arbeitsplätze zu schaffen." Am Dienstag und Mittwoch wird Paulson und auch der Chef der amerikanischen Notenbank, Ben Bernanke, vor den jeweiligen Ausschüssen des Senats und des Kongresses befragt.
Die Zeit drängt, und die Regierung macht Druck, den Rettungsplan möglichst schnell umzusetzen. Sie braucht aber für ihr Vorhaben das Einverständnis des Kongresses, in dem die Demokraten die Mehrheit haben. Erste Gerüchte, die staatliche Unterstützung könnte sich durch die politischen Debatten verzögern, hatten bereits am Montag zu einer erhöhten Nervosität an den amerikanischen Finanzmärkten geführt. Der Dow verlor über 300 Punkte.