Gründerpreis für Artur Fischer Ein Geist, der springt und hüpft

Von Beate Flemming
Er ist einer der produktivsten Erfinder des Landes und erschuf nebenher noch eine Weltfirma. Dübelkönig Artur Fischer erhält den Deutschen Gründerpreis für sein Lebenswerk.

Mittelmäßige Noten, Realschule abgebrochen und die erste Lehrstelle geschmissen: So einen würde Herr Senator Professor Dr. phil. Dr. Ing. Artur Fischer, Seniorchef und Gründer der Artur Fischer GmbH & Co. KG, auf jeden Fall zum Vorstellungsgespräch einladen. Denn erstens zählt der Wille mehr als das Abitur, zweitens kommt es auf die Kreativität an, und drittens: Genau so einer war er ja selbst vor 75 Jahren, der Fischer-Artur aus dem Schwarzwalddorf Tumlingen, Schneidersohn, nachmittags lieber am Bach und am Basteln als über den Schulbüchern.

Tumlingen liegt zwischen Horb und Freudenstadt. Heute heißt die Hauptstraße Artur-Fischer-Straße und führt direkt zum Werkstor. Dahinter, am äußersten Ende des Firmengeländes, im Fischer-Forschungszentrum, sitzt der berühmteste Tumlinger aller Zeiten in seinem Büro mit Möbeln aus Tannenholz. Er ist noch ein bisschen kleiner als die knappen 1,67 Meter, die er als junger Mann mal erreicht hat. Man kann sich sehr gut vorstellen, dass er 1934 als Stift eine Kiste brauchte, um an der Werkbank der Schlosserei Müßig in Stuttgart an einem Stück Eisen zu feilen. Das war die zweite Lehrstelle, er absolvierte sie mit Bravour.

Auf den paar Metern zwischen Treppenhaus und seinem Büro erweist sich Artur Fischer als Türaufhalter, Einschenker und Die-Wahl-Geber, kurz: als vollendeter Gentleman, wenn auch als einer, der erst "nach dem zweiten Glas Wein fließend Englisch spricht", wie er mit schwäbischem Understatement bekennt.

Ein Zahlenfeind

Aber jetzt ist Mittwochvormittag. Fischer trinkt Kaffee und ist ein bisschen im Stress: Am Vortag war die Fotografin da, morgen kommt das Fernsehen und will mit dem 89-Jährigen segelfliegen, weil das ja mal seine Leidenschaft war. Anlass ist der Deutsche Gründerpreis für Fischers Lebenswerk - ein Mutmach-Preis, nach dem Motto: Schau her - so kann's gehen. In diesem Fall ging es von 60 Mark Startkapital auf 560 Millionen Euro Umsatz, erwirtschaftet in 30 Tochtergesellschaften auf fünf Kontinenten. Von einem Mitarbeiter auf 3800.

Ach, die Zahlen! Zu denen hat Artur Fischer ein gespaltenes Verhältnis. Schon in der Schule gehörte er tendenziell ins Lager der schwach interessierten Mathematiker. Und sein gesamtes Unternehmerleben hat er sich von ihnen geradezu erpresst gefühlt. "Schauen Sie mal", sagt er und weist auf die holzgetäfelte Wand. Auf schwarzem Hintergrund schweben bunte Ziffern, in Netze gepresst, eingezwängt in Ringe, hinter Gittern. "Dieses Bild, das ich gemalt habe, heißt ‚Die gefangene Zahl‘ und soll auf ihre Unterwürfigkeit hinweisen", sagt er. "Ich halte Zahlen für ziemlich geistlos und nicht motivierend." Meistens stehen Zahlen ja für Kosten: Materialkosten, Personalkosten und Entwicklungskosten. Oder, auch nicht besser: Absatzerwartungen, Abschreibungen und Verluste.

Auf Fischers Schreibtisch steht kein Computer, weil der doch ein unermüdlicher Zahlenspucker ist. Er brauche die Freiheit des schöpferischen Geistes, sagt Fischer, "die springt und hüpft", die Haken schlägt und sich ausruht, grübelt und nach vorn prescht. Sie kennt nur eine Richtung: "Wie kann ich dienen?" Das ist Fischers Lebensfrage.

Geistesblitz beim Duschen

Die Antwort heißt: 1100. Das ist die einzige Zahl, die Fischer wirklich interessiert. So viele Patente hat er. Viele davon kamen ihm unter der Dusche. Mindestens eine halbe Stunde stellt er sich deswegen jeden Morgen in den warmen Regen, unverschämt lang für einen Schwaben. Fischers berühmteste Erfindung: der Fischerdübel. Rund, grau, zeigt Zähne und hält Millionen Regale und Küchenschränke an den Wänden.

Geboren wurde die Idee an einem Samstagnachmittag im Herbst 1958. Aus schierer Not, denn die macht bekanntlich erfinderisch. Zehn Jahre gab es da schon die Firma Fischer. Sie fußte auf einer anderen Erfindung Fischers, dem Synchron-Blitzlicht, an das sich Menschen vom Jahrgang 1970 abwärts bestimmt noch in Form von Blitzlichtwürfeln erinnern. 1949 hatte Fischer es sich ausgedacht, aus Ärger darüber, dass eine Fotografin sich weigerte, seine Tochter Margot in der Dachwohnung mit dem damals üblichen Magnesiumfeuer abzulichten - wegen Brandgefahr.

Mit der Firma Agfa hatte Fischer einen Exklusivvertrag, und entsprechend exklusiv sprang Agfa mit dem Schwarzwälder Kleinbetrieb um. Mal wurden für sofort 10.000 Stück geordert. Dann tickerte der Fernschreiber: Stopp! Und Artur Fischer saß auf Material- und vor allem Personalkosten, denn er hatte den Bauersfrauen und Landarbeiterinnen für fünf Monate Beschäftigung zugesagt. Schlaflose Nächte wegen der Verantwortung und seiner Ehre als Arbeitgeber. Zeitgleich fielen in seinem frisch erbauten Eigenheim die Fensterläden von der Wand.

Bombenfeste Dübel

Bis zu jenem denkwürdigen Samstagnachmittag bestanden Dübel traditionell aus einer Blechhülse, die mit Hanf gefüllt war, sagt Fischer. Und er tat an diesem Nachmittag an seiner Werkbank eigentlich nichts anderes, als über einen Dübel nachzudenken, den die Menschheit inklusive Artur Fischer braucht. Statt Blech nahm er Polyamid. Die Hülse wurde eingeschnitten und bekam außen Zähne wie ein umgestülptes Krokodilmaul. Der Dübel hatte keinen überstehenden Rand mehr, damit er besser ins Bohrloch passt. Genial einfach.

Natürlich kamen gleich die Bedenkenträger. "Polyamid? Sündhaft teuer! Da kostet das Kilo 7,80 Mark!" Doch die Kosten interessierten Fischer wenig. "Des, wenn's klappt, gibt a Bombasach." Der stern testete 1972 die Fischerdübel, indem er zwei Dampfloks in entgegengesetzter Richtung an einem Betonblock ziehen ließ. Die Stahlseile waren mithilfe seiner Dübel befestigt. Fischers Prognose: "Eher platzt der Betonklotz." Recht hatte er.

Bis heute. Und bescheiden blieb er. Auch bis heute. Fischer hebt sich in seinen neuen kleinen Mercedes der A-Klasse, "meine Limousine", und sendet auf der Fahrt noch ein paar sentimentale Gedanken an seinen zwölf Jahre alten Suzuki, den er vor Kurzem verschenkt hat. Er parkt vor der Produktionshalle. Am Ende liegen die orangefarbenen Dübel, mit denen man Dämmplatten an Häusern anbringt. "Die laufen zurzeit prima", sagt die Frau an der Maschine. Sie sind mit ein Grund, weshalb die Fischerwerke die weltweite Wirtschaftskrise bisher nicht allzu sehr beutelt.

Der Fischer-Clan

Er sieht auch schon wieder Licht am Ende des Krisentunnels und steigt auf die Zehenspitzen, um in die Kisten zu schauen, in welche die Förderbänder Dübel spucken. Die Mitarbeiter begegnen ihm ohne Angst, denn erstens ist Artur Fischer hier zu jedem herzlich, zweitens bewegt er sich fast unsichtbar, und drittens ist ja seit 1980 hier ein anderer Chef. Sein Sohn Klaus, 58, der das japanische Kaizen nach Tumlingen brachte, die Lehre vom ständigen Verbesserungsprozess. Bei der Übergabe knirschte es kräftig. Mit Tochter Margot gab es mehrmals Treffen vor Gericht wegen übler Nachrede. Aber eigentlich geht es ums Geld: Margot Fischer fühlt sich von Vater und Bruder übervorteilt, weil sie einst einen Pflichtteilsverzicht unterschrieben hatte. Das macht ihrem Vater viel aus, aber es ist für ihn kein öffentliches Thema.

Werner Stoll war Mitarbeiter Nummer sechs bei Fischer. Was ihn sofort angezogen habe, das sei dessen Optimismus gewesen, sagt der inzwischen 80-jährige Pensionär. Weshalb er blieb, das war Fischers Enthusiasmus, der ihm zwar 75-Stunden-Wochen bescherte, aber auch eine Karriere bis zum Produktionsleiter.

Nicht kleinzukriegen

Wie wird man Optimist? Fischer sagt: "Ich war ein sehr glückliches Kind. Meine Mutter Pauline hat ihr Bestes dazu gegeben. Deshalb ist sie, obwohl schon lange tot, immer wieder gegenwärtig." Wenn Artur patschnass und schmutzig nach Hause kam, weil er mal wieder in den Bach gefallen war, sagte sie: "Dann müsst ihr halt ein Brett nehmen, das länger ist." Als er sein erstes Modellflugzeug aus Holz zusammengebaut hatte, probierte sie es mit ihm aus - und kommentierte die misslungenen Flugversuche mit einem trockenen "Aber fliegen kannst du damit noch lange nicht".

Keine Enttäuschung konnte den Fischer'schen Optimismus kleinkriegen. Die vielen Erfindungen, aus denen nichts wurde: Darüber kann er lachen. Eine davon war eine Art Eierköpf-Guillotine. "An alles hatte ich gedacht, aber nicht an die Hühner. Sie taten mir nämlich nicht den Gefallen, gleich große Eier zu legen." Die Fischer-Technik-Baukästen, 1964 erfunden, brachten ihm zwar viel Ehre, aber "nur einen dürftigen finanziellen Erfolg". Nicht wirklich entsetzlich für einen, der seine allererste Erfindung, einen elektrischen Glühapparat, gegen Speck und Brot eingetauscht hatte. Das war 1948, kurz nach der Unternehmensgründung, als es nicht mal Streichhölzer gab und Fischer beschlossen hatte, "selber was zu machen".

"Das ehrliche Produkt ist die beste Dienstleistung", findet er noch heute. Da hat er seinen Stolz. Der äußert sich noch in einer anderen Marotte: Auch wenn es wie aus Kannen gießt, Fischer verweigert grundsätzlich jeden Regenschirm. Er vergisst nie den Wolkenbruch an Spott, mit dem ihn seine Kollegen überschütteten, als Azubi Artur von Reparaturarbeiten mit einem Schirm gegen den heftigen Regen zurückkam.

print