Neulich war ich noch mal da, bei Karstadt. Komisches Gefühl. Ich musste an meine Mutter denken, wie sie mich früher immer an die Hand nahm und durch das Labyrinth der Kleiderständer führte. Ein Einkauf bei Karstadt ist eine Zeitreise in die Vergangenheit. Das fühlt sich ungefähr so an, wie ein Besuch auf dem Bolzplatz der Kindheit, oder eine Fahrt in einem VW-Käfer. Naja, sagen wir Golf I. Der muffige Geruch, die Enge, die Langsamkeit. Alles ist noch immer vertraut. Aber es ist bereits eine Erinnerung an etwas, das vergangen ist.
Das Dumme ist: So wie mir ist es in den letzten Jahren viel zu vielen ehemaligen Kunden der Warenhäuser ergangen. Wir verbinden sentimentale Gefühle mit ihm. Aber dort einkaufen - soweit würden wir nicht gehen. Seit der Jahrtausendwende haben die Kaufhäuser ein Viertel ihres Marktanteils verloren.
Konkurrenz von Herstellern und Discountern
Früher waren Warenhäuser die Alleskönner. Über ein Jahrhundert lang war das ihr unschlagbares Erfolgsrezept. Heute ist es genau umgekehrt: Alles, was ein Kaufhaus kann, kann irgendjemand besser. Von allen Seiten wird es in die Zange genommen: Von oben durch die Markenhersteller. Boss, Wolfgang Joop oder Jack Wolfskin wollen ihre image-Ware nicht Kleiderbügel an Kleiderbügel mit Jacken für 39 Euro eingeklemmt sehen. Sie verkaufen ihre Produkte lieber in ihren schicken Flagship-Stores und machen dem Warenhaus mit eigenen Ladenketten Konkurrenz. Allein Puma eröffnet jedes Jahr 15 bis 20 eigene Geschäfte.
Von unten machen die Discounter und Kaffee-Ketten Druck und brechen massiv in das Textilgeschäft ein. Rein statistisch trägt jede deutsche Frau einen BH von Tchibo. Schon jetzt nehmen die Discounter allein mit Kleidung rund ein Drittel von dem ein, was die Kunden beim gesamten Arcandor-Konzern für Klamotten ausgeben.
Die praktischen Einkaufscenter schlagen das Warenhaus, weil das Angebot dort größer und vollständiger ist. Und man bekommt immer einen Parkplatz, meistens sogar günstig. Wem das noch zu umständlich ist, der kauft gleich online ein. Der Umsatz der Internethändler lag 2008 bereits über dem aller Kaufhäuser zusammen.
Kein Platz für Wachstum
Der ärgste Feind ist jedoch das Fachgeschäft. Wer würde sich heute noch ein Fahrrad im Warenhaus kaufen, zwischen der Wursttheke und der Schuhabteilung? Früher war das normal. In den 70er Jahren verdienten Kaufhäuser viel Geld mit Werkzeug. Daraus ist ein eigenes Universum der Baumärkte entstanden. Mein erster Kassetten-Recorder wurde selbstverständlich im Kaufhaus gekauft. Wir kannten ja nichts anderes. Heute ist die Toasterabteilung beim Media-Markt größer als die gesamte Elektronik-Ecke im Kaufhaus. Niemals käme ich auf die Idee, dem armen Kaufhaus einen seiner vier einsamen Fernseher wegzukaufen, wenn ich bei Saturn ein paar hundert zur Auswahl habe.
In der Marktwirtschaft bedeutet Erfolg immer auch Wachstum. Doch im Warenhaus ist buchstäblich kein Platz dafür. Sportartikel, Elektronik, Werkzeug, Fahrräder, Outdoor-Ausrüstung - die Bestseller mussten das Kaufhaus stets verlassen und draußen wachsen. Den Laden hüten heute die Restposten, denen die Kraft zum Wachsen fehlt.
Vom Konsumtempel zum Auslaufmodell
Jetzt erlebt das Kaufhaus, was vor ihm die kleinen Krämerläden durchmachen mussten: Sie werden von den besseren Händlern platt gemacht. Ein ganzes Jahrhundert lang waren die Warenhäuser die Sieger. Sie führten die modernen Innovationen ein, wie das Umtauschrecht oder feste Preise. Und der Erfinder des Kaufhauses, der Franzose Aristide Boucicaut, hatte als erster erkannt, auf wen es beim Verkaufen ankommt: auf die Frauen. Zum ersten mal richtete sich ein Wirtschafts-Konzept nicht an Männer, sondern an Frauen. Eine Revolution und ein gigantischer Erfolg. Émile Zola porträtierte den Boucicault und das neue Phänomen in seinem Roman "Das Paradies der Damen". Glücklich war der Kaufhausdirektor - im Roman und in der Wirklichkeit, "wenn wir alle Frauen anlocken und sie, verführt, toll gemacht von der Unmenge unserer Waren, uns auf Gnade und Ungnade ausgeliefert sind und, ohne zu rechnen, ihre Geldbörsen leeren!"
Für diese ersten Kaufhäuser wurde der Begriff Konsumtempel erfunden. Boucicault ließ das Eisengerüst für seinen ersten Bon Marché von Gustave Eiffel entwerfen. Imposante Architektur, Glamour, Glitzer, purer Luxus, betörende Düfte - die raffinierteste Verführung war gerade gut genug.
Mut zur Hässlichkeit
Daran erinnert in einem Karstadt nichts. Das typische deutsche Kaufhaus ist kein Ort der Verführung, sondern des Pragmatismus. Der einzige Mut, zu dem Warenhäuser in Deutschland je fähig waren, ist ihr Mut zur Hässlichkeit. Die meisten von ihnen wurden in den sechziger oder siebziger Jahren in die letzten Bombenlücken der Innenstädte betoniert. Es war die Epoche der scheußlichsten und handwerklich minderwertigsten Bauwerke, die Architekten in Europa je verbrochen haben. Ein deutsches Kaufhaus ist aus Prinzip fensterlos, damit drinnen möglichst viel Platz für Stellwände und Umkleidekabinen entsteht. Die ehemalige Kaufhauskette Horten hat noch versucht, ihre Kaufkästen durch Wabenfassaden aufzuhübschen. Vergebens.
Die Kaufhaus-Bunker prägen heute ganz wesentlich das Bild unserer Innenstädte. "Stirbt das Kaufhaus, stirbt die City", steht auf den Plakaten der demonstrierenden Karstadt-Mitarbeiter. Womöglich ist das genaue Gegenteil richtig: Werden die Kaufhäuser abgerissen, gibt es Raum und Chancen für neues, urbanes Leben.
Aber langsam: So schnell sterben die Kaufhäuser nicht. Ihnen ergeht es, wie dem Bergbau, der Stahlindustrie oder der Textilindustrie. Einst waren sie stark und stolz und prägten ganze Regionen und Wirtschaftszweige. Irgendwann ist ihre große Zeit vorbei und sie sind nicht mehr rentabel. Doch sie sterben nicht sofort. Sie kriegen ein Gnadenbrot und überleben noch das eine oder andere Jahrzehnt. Das deutsche Warenhaus stirbt noch nicht. Es geht in Rente.