Ich hatte exakt eine Westmark. Woher, weiß ich nicht mehr. Aber was ich mir davon im Intershop kaufte, schon: mein erstes Ü-Ei. Als die Verkäuferin mir das gute Stück über den Tresen reichte und die dünne weiß-rote Alufolie unter meinen Fingern knisterte, als ich schließlich das kleine Plastikei in der Hand hielt, schlug mir das Herz bis zum Hals, weil ich wusste, dass ich darin gleich ein aufregendes Spielzeug entdecken würde. Ich war sicher: Es kann kein größeres Glück auf Erden geben.
Der Kampf ums Ei
Dutzende Drolly Dinos und Tapsy Turtles habe ich seitdem ausgepackt und gegen Happy Hippos oder doppelte Funny Fanten getauscht. Auf den Gedanken, sie in den Mund zu stecken, kam ich nie. Aber es hätte passieren können. Davon ist zumindest die Kinderkommission des Bundestages fest überzeugt und fordert deshalb Konsequenzen: Das Ü-Ei muss nochmal ganz neu konzipiert werden, denn "Kinder unterscheiden nicht zwischen Spielzeug und Nahrungsmitteln". Nie wieder sollen Kinder der Gefahr ausgesetzt werden, Ü-Ei-Mini-Puzzle mit Schokolade zu verwechseln.
Kein Kind soll demnach künftig dem Risiko ausgesetzt werden, versehentlich beim herzhaften Biss auf einen Schlumpf die Milchzähne zu verlieren oder gar einen in seine Einzelteile zerlegten Mini-Truck zu verschlucken. Miriam Gruß, die in der Kommission fürs Kinderglück im Alltag zuständig ist, will es verhindern. Die 32-jährige FDP-Politikerin, Mutter eines Sohnes und leidenschaftliche Kinderschützerin, wird es nicht zulassen, dass die Gefahr aus dem Ei weiterhin totgeschwiegen wird. Meldungen, sie hätte ein Verbot gefordert, dementiert Gruß zwar, aber dass die Frau Übles vorhat mit dem Ü-Ei, daran ist kein Zweifel möglich.
Begeisterung erntet sie damit freilich nicht. Selbst die Berufsaufpasser der Verbraucherzentrale gehen auf Distanz. Monika Büning, die dort für Umwelt- und Produktsicherheit zuständig ist, erklärt zur Ü-Ei Frage unumwunden: Kommissionspanik ignorieren, Eier weiterkaufen.
Gewittergrollen von Generationen
Gott sei Dank, bleibt der Angriff aufs Ei nicht ohne Gegenwehr. Denn was wäre die Schokolade ohne das Spielzeug und umgekehrt? Ein Nichts. Was wäre ein Kindergeburtstag ohne Eierlauf? Was wäre ein Trödelmarkt ohne Ü-Ei Tauschbörse? Was wäre unser Land ohne das kollektive Schütteln an der Ü-Ei-Pallette, ohne das beglückte Basteln von winzigen Affen, die auf Fahrrädern die Ferrerotrommel schlagen? Es wäre ein Land ohne Kinderglück. Eine Attacke aufs deutsche Kulturgut! Ein Drama!
Und deshalb beginnen sich schon die Wolken der bundesweiten Entrüstung zusammenzuballen, das Gewittergrollen von Generationen begeisterter Ü-Ei-Fans ist in allen Supermärkten zu hören, und es ist ganz sicher nur noch eine Frage der Zeit, bis sich der Sturm überm Berliner Reichstag entlädt: Benzinpreiserhöhungen, Arbeitslosigkeit, Klimawandel und SPD - kein Thema mehr. Deutschland kämpft ums Ü-Ei - mit Freuden gesponsert von Hersteller Ferrero - und wenn es gescheit ist, kämpft es auch gegen die Kinderkommission. Denn wenn das Ei fällt, das ist mal sicher, wird Miriam Gruß erst richtig loslegen. Lutscher, Leitern, Autos, Schaukeln, Gänseblümchen, Hosenknöpfe und Gummibärchen - alles potenzielle Gefahren für Kinder. Und ihr fallen ganz sicher noch mehr ein, wetten?