Mit Beginn dieser Woche dürften die bisherigen netten Tätscheleien der schwarz-gelben Ehe am Berliner Koalitionstisch ein Ende haben. Zwar sagte NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers Ende vergangener Woche noch stolz zu stern.de: "Wir eilen von Durchbruch zu Durchbruch!" Genauer wollte er sich aber leider nicht äußern. Weil er dann wohl hätte sagen müssen: "Von Stimmungsbruch zu Stimmungsbruch." Denn feststeht nach einem ehrlichen Kassensturz inzwischen, dass in der Finanzplanung bis 2013 rund 30 Milliarden Euro fehlen. Wie also die von FDP und CSU lautstark versprochenen Steuerentlastungen finanzieren? Die FDP drohte der zögernden Kanzlerin bereits indirekt mit dem Abbruch der Gespräche. Ein Irrtum sei es, zu glauben, "die FDP wolle die Koalition um jeden Preis." Doch mehr als ein höherer steuerlicher Kinderfreibetrag und Anhebung des Kindergelds dürfe nicht erwartet werden, warnen die Finanzpolitiker.
Einigkeit erzielen die Unterhändler bislang nur dann, wenn eine Reform nichts kostet. Das ist der Fall bei der Ankündigung, "Kultur" als Staatsziel im Grundgesetz zu verankern. Da macht sogar die SPD mit. Knallharte SPD-Opposition ist dagegen garantiert bei der Vereinbarung der Koalitionäre, den Satz "Die Sprache der Bundesrepublik ist Deutsch" ebenfalls in der Verfassung zu verankern. Die dafür notwendige Zweidrittelmehrheit erreicht die neue Koalition garantiert nicht. Die SPD sagt Nein.
Die Aufbruchstimmung, mit der die Gespräche begonnen worden sind, äußerte sich bislang nur an einem Punkt hörbar. Als die Koalitionäre gemeinsam für Familienministerin Ursula von der Leyen, die vergangene Woche 51 Jahre alt wurde, das Lied "Zum Geburtstag viel Glück" intonierte. "Happy Birthday" wurde nicht angestimmt, vermutlich wegen des Projektziels, dass Deutsch ins Grundgesetz gehöre.
Gute Stimmung meldete aus der Koalitionsrunde auch die Vize-CSU-Generalsekretärin Dorothee Bär, fast schwarzhaarig, aus dem Arbeitskreis "Familie, Integration, Kultur, Neue Medien". Sie sitzt dort zusammen mit der schwäbischen FDP-Abgeordneten Miriam Gruß, semmelblond, FDP-Sprecherin für Kinder- und Familienpolitik. Die beiden Damen verbindet die gemeinsame Zuneigung zu einem Modedesigner: Bär trug einen Blazer aus dessen Atelier, Gruß die dazu gehörende Hose mit exakt gleichem Muster. Bär erkannte in der modischen Übereinstimmung sowie der jeweiligen Haarfarbe gegenüber stern.de eine klaren politische Botschaft: "Wir sind uns in der schwarz-gelben Koalition jetzt schon fast identisch nahe."
Eine große Rolle spielt in den Koalitionsgesprächen die demografische Entwicklung, weil in wenigen Jahren mehr als die Hälfte der Deutschen 50 Jahre oder älter sein wird. Dann dürfte das Rentensystem erheblich wackeln. Alt-Außenminister Joschka Fischer hat dieses Problem für die politischen Aktivisten in Berlin jetzt mit einem guten Ratschlag bedient: "Die Rentensicherheit wird in den Betten entschieden und nicht mit Gesetzen." Wenn es so käme: Das wäre dann wirklich ein gesellschaftspolitischer Durchbruch. Fischer selbst hat diesbezüglich sein Pflichtsoll erfüllt: Mit seinen zwei Kindern, einer Tochter und einem Sohn, liegt er klar über dem deutschen Schnitt, der 1,37 Kinder pro Ehe beträgt. Allerdings "arbeitete" Fischer dafür in vier Ehen.
Abgeordneter werden ist schwer. Neuer Volksvertreter zu sein, gestaltet sich zuweilen chaotisch. Diese Erfahrung macht derzeit Memet Kilic, ein 1967 in der Türkei geborener deutscher Rechtsanwalt für türkisches und deutsches Recht, der für die Grünen in den Bundestag gewählt worden ist. Weil die SPD die rund 300 Zimmer, die sie abgeben muss, noch nicht geräumt hat, herrscht massive Raumnot. Kilic sitzt zwar bereits im Jakob-Kaiser-Haus, allerdings in einem Praktikantenzimmer, das er mit drei anderen Neulingen im Parlamentsbetrieb teilen muss. Er trägt es mit heiterer Gelassenheit. In einem Gespräch mit seinem parlamentarisch alt gedienten Parteifreund Hans-Christian Ströbele, scherzte der: "Der Memet muss eben erst mal ein politisches Praktikum abdienen, ehe er Abgeordneter sein kann."
Andere Sitzprobleme sind indes politisch ungleich gewichtiger. So muss einer der beiden SPD-Bundstagsvizepräsidenten runter von seinem Sessel, mit dem schicker Dienstwagen und großzügige Büros verbunden sind: Entweder Wolfgang Thierse oder Susanne Kastner. Die Sympathien der Genossen gelten eindeutig der bayerischen SPD-Politikerin, die vor allem vom eher rechten Fraktionsflügel des Seeheimer Kreises unterstützt wird. Thierse andererseits hat sich in der Fraktion durch selbstherrliche Amtsführung unbeliebt gemacht. Typisch für ihn sei doch, so die Kritiker, dass er sein Amt als Vizepräsident zum Versuch benutzt hat, um den überaus beliebten Wochenendmarkt am Berliner Kollwitzplatz zu verdrängen. Thierse wohnt dort und fühlte sich vom Lärm am Samstagmorgen belästigt.
Schmerzlich für die SPD ist noch ein weiterer Platzverlust. Künftig hat sie statt bisher fünf Sitzplätzen in der ersten Reihe des Bundestags nur noch drei. Das entspricht ihrem Schrumpfprozess bei der Abgeordnetenzahl - von 222 auf 146. Die CDU/CSU behält ihre sechs Plätze ganz vorn. Die FDP besetzt dort wie bisher zwei Stühle, Linkspartei und Grüne, bisher je ein Vorderplatz, bekommen jetzt zwei.