Manager "Das ist pervers"

Der Manager Eberhard von Koerber kritisiert gierige Millionäre. Und er fordert VW-Aufseher Ferdinand Piëch zum Rücktritt auf.

Herr von Koerber, sind Sie dafür, die Gehälter der Vorstände in den Bilanzen mit Namen und Summen auszuweisen?

Diese Transparenz ist politisch notwendig. Man kann nicht alle Vorteile der Marktwirtschaft genießen ohne ein scharfes Kartellrecht und ohne eine Transparenz bei den Spitzenvergütungen. Der amerikanische und der britische Gesetzgeber sind dem deutschen Jahrzehnte voraus. Dort steht im Geschäftsbericht ganz genau, was jeder Vorstand an Festgehalt, Optionen und Altersversorgung bekommt.

Glauben Sie, dass zu solchen Gehältern auch eine Pflicht zur Bescheidenheit gehört? Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann wurde nicht zuletzt wegen seines Victory-Zeichens im Gerichtssaal zum Buhmann.

Wenn Sie an der Spitze stehen und zeigen Angst, haben Sie schon verloren. Dann frisst die Meute Sie. Grundsätzlich muss man mit gezogenem Säbel vorneweg laufen - aus dieser Situation ist das Victory-Zeichen entstanden. Trotzdem ist ihm diese Geste sicher missglückt. Und er hat verstanden, dass er einen Fehler gemacht hat.

In den vergangenen Jahren ist das Vertrauen in die Eliten in Politik und Wirtschaft dramatisch gesunken. Woher kommt das?

Die Gesellschaft wird nicht nur von materiellem Erfolg zusammengehalten, sondern auch von Werten wie Vertrauen und Solidarität. Und daran fehlt es uns. Jeder unterstellt dem anderen Raffgier und Inkompetenz. Und bei all dem ist die Politik zu langsam mit ihren Reformen. Die skandinavischen Länder haben uns eine erfolgreiche Modernisierung vorgemacht: Dort gibt es weniger Arbeitslose, starke Sozialsysteme und weniger Angst. Wer Angst hat, hat kein Selbstvertrauen. In dieser Situation kann man weder führen noch konsumieren und ist sozusagen ein kastrierter Bürger.

Wie soll ein Arbeiter bei VW Selbstvertrauen haben, dem gesagt wird, du bist zu teuer, und wenn du nicht billiger arbeitest, bauen wir die Autos im Ausland?

Das ist nicht nur eine Frage des Vertrauens in den Arbeitsplatz, sondern auch des Vertrauens in die Unternehmensleitung. Dort sitzt als Aufsichtsratsvorsitzender Ferdinand Piëch, unter dem als Vorstandschef der VW-Sumpf entstanden ist, und jetzt werden bis in den Vorstand Personen zur Rechenschaft gezogen, während der damalige Vorstandschef so tut, als ob er damit gar nichts zu tun gehabt habe. Das schädigt das Vertrauen in die Wirtschaft.

Muss Piëch den Aufsichtsratsvorsitz niederlegen?

Ich meine ja. Das ist auch die Meinung im Ausland. In den USA und England ist es zum Beispiel unvorstellbar, dass die Untergebenen wegen eines Skandals gehen müssen, und man nimmt als Vorgesetzter für sich in Anspruch, nichts damit zu tun zu haben. Selbst wenn man es nicht wusste, hat man ein Problem, dass man so etwas nicht wusste.

Der Vertrauensschwund hängt nicht nur mit Skandalen zusammen. Die Deutsche Bank etwa verkündete, dass sie bei immer weiter steigenden Renditen Mitarbeiter in Deutschland entlässt.

Die Deutsche Bank muss aufpassen, dass sie von ihrer internationalen Konkurrenz nicht einfach geschluckt wird und zur Deutschlandfiliale der Hongkong and Shanghai Banking Corporation oder der Citibank wird. Das ist die eigentliche Sorge. Da gibt es einen Zwang, eine Performance zu erreichen, die den Börsenwert deutlich erhöht und so die Übernahme erschwert. Dadurch sind die Spielräume eingeschränkt, Menschen zu beschäftigen, die man nicht braucht. Das ändert aber nichts daran, dass die gleichzeitige Verkündung von Gewinnsteigerung und Personalabbau eine unnötige Provokation war.

Als Sie Vorstand des Mischkonzerns Asea Brown Boveri (ABB) waren, haben Sie Tausende von Arbeitsplätzen in Deutschland abgebaut und die Jobs nach Osteuropa verlagert. Würden Sie das heute wieder so tun?

Die Entscheidung war richtig. Als Osteuropa sich öffnete, konnten deutsche Unternehmen dort nicht nur billiger produzieren, sondern auch mehr verkaufen. Das Gleiche gilt heute für China und Indien: Das Wachstum dort erhöht unseren Export. Dadurch entstehen bei uns in Deutschland neue Arbeitsplätze, allerdings nicht unbedingt für diejenigen, die vorher ihre Arbeit verloren haben. Viele müssen umschulen, umziehen, sich weiterbilden. Für den kleinen Teil, der nicht hinreichend qualifiziert ist und auch nicht umgeschult werden kann, käme statt Arbeitslosigkeit der Kombilohn in Betracht.

Eberhard von Koerber

Der heute 67-Jährige war von 1988 bis 1994 Vorstandsvorsitzender der deutschen Tochter des schwedisch-schweizerischen Elektronikkonzerns Asea Brown Boveri (ABB), später leitete er den Aufsichtsrat. Heute kümmert sich von Koerber um Geld und Moral: Er führt eine Gesellschaft für Vermögensverwaltung in Zürich und ist Vizepräsident des Club of Rome.

Bedeutet das nicht, dass wir Millionen Menschen nicht mehr brauchen und nur noch ruhig stellen können?

Wir müssen mehr Arbeitnehmer durch Umschulungen und Weiterbildung in die Lage versetzen, höheren Berufsanforderungen zu entsprechen. Das ist Aufgabe der Politik im Zusammenspiel mit der Wirtschaft. Ferner müssen die Qualifikationen der Arbeitnehmer den Wandel von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft nachvollziehen. Die Diskriminierung der Dienstleistung muss aufhören. Arbeit im Krankenhaus oder in der Gaststätte wird sozial niedriger eingeschätzt als Industriearbeit. Das muss sich ändern.

Wie soll ein Industriearbeiter dazu motiviert werden, sich zum Altenpfleger umschulen zu lassen?

Es gibt überall, nicht nur beim Industriearbeiter, Widerstände, weil die Besitzstände und Gewohnheiten der Menschen betroffen sind. Es gibt in Deutschland zwischen den Arbeitgeberverbänden und den Gewerkschaften eine institutionalisierte Verquickung gegen Veränderung. Eine Besitzstandszementierung. Seit Jahrzehnten. Es ist bis heute nicht gelungen, das aufzubrechen. Die Opposition gegen die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes ist nicht nur eine Frage der Gewerkschaften, sondern der ganzen Gesellschaft.

Der Bundesverband der Industrie, der DIHK, das Handwerk - alles Bremser?

Wir leben in einem Verbändestaat. Den müssen wir aufbrechen. Ich hoffe, dass eine große Koalition die Kraft dazu entwickelt. Wir müssen zu flexibleren und schlankeren Strukturen kommen, die schneller, aber trotzdem sozial gerecht vor Ort entscheiden.

Was heißt soziale Gerechtigkeit?

Soziale Gerechtigkeit heißt, dass diejenigen, die wirklich Hilfe brauchen, in einem sozialen Netz aufgefangen werden. Aber das Netz wird immer durchlässiger. Weil sich zu viele bedienen. Nur die, die wirklich auf staatliche Hilfe angewiesen sind, dürfen aufgefangen werden. Das sind ja nicht sechs Millionen Menschen. Es geht um eine Teilgröße der Arbeitslosen, die wirklich nicht vermittelbar sind. Soziale Gerechtigkeit umfasst ferner, dass all diejenigen, die nicht in der Solidargemeinschaft sind, damit meine ich freie Berufe und Großverdiener, ohne Bemessungsgrenze mit in die Beitragspflicht genommen werden. Ich bin ein relativ hoch bezahltes Konzernleitungsmitglied gewesen, ich habe jeden Monat einen hohen Beitrag zur Schweizer Rentenversicherung gezahlt, der ungefähr 20-mal höher war als das, was ich heute als Rentner, der ich auch bin, bekomme. Ich finde das in Ordnung.

Sind die Steuern und Abgaben auf hohe Einkommen in Deutschland zu hoch?

Ich glaube nicht, dass wir generell eine Steuersenkung brauchen. Wo es Wettbewerbsverzerrungen gibt, etwa bei den Personengesellschaften, da müssen wir Anpassungen vornehmen. An anderen Stellen kann sich der Staat das Geld zurückholen.

Diskutiert wird vor allem, ob die Mehrwertsteuer steigen oder ein Zuschlag zur Einkommensteuer Geld in die Kassen bringen soll.

Es wäre schlimm, wenn die kleine Pflanze der Konjunkturbelebung jetzt durch Steuererhöhungen ausgedörrt würde. Aus meiner Sicht darf die Mehrwertsteuer deshalb nicht erhöht werden. Die Höhe der heutigen Einkommensteuern wäre da weniger problematisch. Aber damit ich nicht missverstanden werde: Man kann die Konsolidierung ohne Steuererhöhungen machen, indem man Subventionen streicht und Ausgaben kürzt. Entscheidend ist, jetzt bei anspringender Konjunktur alles für Investitionen, Wachstum und Beschäftigung zu tun. Dann wird auch das Steueraufkommen wieder steigen und zum Haushaltsausgleich beitragen.

Im Bundeshaushalt gibt es ein strukturelles Defizit, das nichts mit der Konjunktur zu tun hat. Ist die große Koalition nicht eine einmalige Chance, dieses Problem anzugehen?

Es darf aber nicht dazu kommen, dass aus der Machtfülle und dem Reformstress einer großen Koalition heraus falsche Entscheidungen wie die Erhöhung der Mehrwertsteuer getroffen werden. Es müssen die Ausnahmetatbestände gestrichen werden. Ich kenne Menschen in Deutschland, die Einkünfte von über einer Million Euro im Jahr haben und keine Steuern zahlen. Sie investieren in Schiffsfonds, Filmfonds oder Immobilien in Ostdeutschland. Das ist rechtlich in Ordnung, aber politisch pervers. Auch wenn es im Moment keiner hören will, werden wir sehr bald wieder eine Diskussion über eine radikale Steuerreform haben, die jede Trickserei unmöglich macht. Deutschland hat 71.000 Steuerberater, aber es fehlen mittelfristig über 80.000 Lehrer. Der Handlungsbedarf für die nächste Regierung liegt auf der Hand!

Interview: Stefan Schmitz/ Doris Schneyink

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