T-Aktie Der Volksprozess

Von Lenz Jacobsen
Erst geliebt, dann gehasst: Die Telekom-Volksaktie lockte einst Millionen Kleinanleger an die Börse - und enttäuschte sie bitter. Nun stehen sich 17.000 Aktionäre und der Magenta-Riese vor Gericht gegenüber. Wie konnte es soweit kommen? Und wie geht es jetzt weiter?

Eigentlich hätten Sie auch gleich das Stadion von Eintracht Frankfurt mieten können. Da wäre zumindest Platz für alle am Prozess Beteiligten gewesen. Für die Richter und die Telekom-Vertreter, für die über 900 Anwälte und vor allem für die sage und schreibe 17.000 Anleger, die die Deutsche Telekom verklagen, und diesen Prozess damit zur größten in der deutschen Geschichte machen.

Nun müssen sie sich auf die 797 Plätze im Saalbau Bornheim drängen, den das Oberlandesgericht für die Verhandlung angemietet hat - auch das ist schon mehr als ungewöhnlich. Wie alles an diesem Prozess, für das sogar ein eigenes Gesetz erlassen wurde. Nur vordergründig geht es dabei um Börsenprospekte und einen Streitwert von 80 Millionen Euro. Vielmehr wird hier darüber verhandelt, wer die Verantwortung trägt für den Niedergang des einstigen Börsenstars T-Aktie - und damit für die Vernichtung der Ersparnisse von Millionen Kleinanlegern. Mit dem Telekom-Absturz scheiterte auch der Traum von einer Aktienkultur, in der Börsenlaien massenhaft zu Kleinanlegern werden, in der das Depot den Sparstrumpf ersetzt.

Geschichte einer enttäuschten Liebe

Denn die Vorgeschichte dieses Prozesses ist die Geschichte einer enttäuschten Liebe. Geweckt hatten sie der Schauspieler Manfred Krug und der ehemalige Telekom-Chef Ron Sommer, die 1996 mit einer beispiellosen Werbekampagne für die Aktien der Telekom geworben hatten. Millionen Kleinanleger machten die so genannte "T-Aktie" zur ersten Volksaktie und die Deutschen endlich zu einem Volk der Aktionäre. Es war die Zeit der New Economy, und der Kurs kannte in den nächsten Jahren zunächst nur eine Richtung: aufwärts. Als die Telekom im Juni 1999 erneut Aktien ausgab, lag der Kurs schon bei 39,50 Euro, Seinen Höchststand von 103,50 Euro erreichte er im März des Jahres 2000. Im Juni 2000 wirft der Konzern noch mal Aktien auf den Markt, da ist der Kurs bereits auf dem Weg nach unten, die neuen Aktien kosten 63,50 Euro.

Dann folgt der Absturz. Die Telekom übernimmt nur wenige Wochen nach der dritten Aktienausgabe den US-Anbieter Voicestream - zu einem Preis, der unter Analysten bis heute als viel zu hoch gilt. Der Telefon-Riese musste sich dafür ordentlich verschulden, der Aktienkurs sank weiter.

Dann kam die Sache mit den Immobilien: Die Telekom hatte ihre Grundstücke und Gebäude jahrelang für wertvoller gehalten, als diese tatsächlich waren. Um insgesamt 2,9 Milliarden Euro musste sie den Wert in ihren Büchern nach unten berichtigen - der Konzerngewinn brach ein, die Aktie stürzte ab, erreicht ihren historischen Tiefsstand von 8,42 Euro. Der einstige Börsenstar war zum Kapitalvernichter geworden - und bekam es von nun an mit der Wut seiner enttäuschten Anleger zu tun.

Je weiter der Kurs abstürzte, desto mehr Klagen wurden es

Seit Anfang 2001 schickten diese eine Klageschrift nach der anderen an das Landgericht Frankfurt. Je weiter der Kurs abstürzte, desto mehr wurden es. Erst einige hundert dann ein paar Tausend, bald treten fast 17.000 Anleger in 2600 Klageverfahren gegen den Telefonriesen an. Gegen fallende Kurse können sie schlecht klagen, deshalb nutzen sie einen juristischen Hebel: die Börsenprospekte. Diese seien bei der zweiten, vor allem aber bei der dritten Aktienausgabe fehlerhaft gewesen. So habe die Telekom darin nicht, wie es ihre Pflicht gewesen wäre, ausreichend über die bevorstehende Voicestream-Übernahme informiert. Außerdem hätten die zu hoch angesetzten Immobilien-Werte den Konzern viel besser aussehen lassen, als dies in Wirklichkeit der Fall war.

Um diese einmalige Klageflut zu bewältigen, erlässt die Bundesregierung extra ein neues Gesetz: Das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz, kurz KapMuG, auch bekannt als "Lex Telekom". Mit seiner Hilfe soll in einem einzigen Musterverfahren mit einem Musterkläger stellvertretend für alle anderen alle strittigen Fragen geklärt werden.

Genau dieser Musterprozess beginnt heute - mit mehr als verhärteten Fronten: Die Telekom ist sich sicher, dass "sich im Laufe des Prozesses alle Vorwürfe als haltlos herausstellen werden", beide Börsenprospekte seien korrekt gewesen. Genau so überzeugt gibt sich Andreas Tilp, der Anwalt des Musterklägers. Er ist der festen Überzeugung das der Börsenprospekt fehlerhaft war - und gibt sich kämpferisch: "Wir haben von Anfang an gesagt, dass wir den Prozess am Ende gewinnen, und wir werden ihn auch gewinnen."

Streitwert bei relativ bescheidenen 80 Millionen Euro

Der Streitwert liegt bei - verglichen mit den ansonsten bombastischen Ausmaßen des Prozesses - relativ bescheidenden 80 Millionen Euro. Durch einen Vergleich könnte sich die Telekom schnell und verhältnismäßig billig aus der Affäre ziehen, die Anwälte der Kläger drängen seit langem darauf. In den USA hat das Unternehmen einer solchen Einigung schon vor Jahren zugestimmt, doch hierzulande verweigert es sich. Der Grund: Anders als in den USA ist es in Deutschland auch nach einem Vergleich nicht vor neuen Klagen anderer Aktionäre sicher.

Und so droht ein langwieriger und riskanter Prozess. 187 Einzelpunke könnten in dem Verfahren eine Rolle spielen, die Beweisführung wird mehr als schwierig. Und direkt der erste Zeuge ist der größte Promi: Ex-Börsenstar und Ex-Telekom-Chef Ron Sommer. Er muss zur Frage der Voicestream-Übernahme Rede und Antwort stehen, die als erstes auf der Tagesordnung steht. Wie es danach weitergeht ist noch vollkommen offen, das Gericht selbst wagt keine Prognose über die Dauer des Verfahrens. Anwalt Tilp fürchtet einen Marathon-Prozess von bis zu 20 Jahren. Schuld daran ist aus seiner Sicht ein Strickfehler im KapMuG: "Laut Gesetz müsste das Gericht jeden der Einzelpunkte prüfen, auch wenn es schon beim ersten zu dem Ergebnis kommt, dass der Börsenprospekt fehlerhaft war. Das wäre doch Wahnsinn!"

"Sehr riskantes Verfahren"

Ob die klagenden Aktionäre am Ende überhaupt einen Cent erhalten oder stattdessen für teure Gutachten und Anwaltskosten sogar noch draufzahlen müssen, ist noch vollkommen offen. Zu einmalig ist der Vorgang, als dass sich eine Prognose wagen ließe. Jürgen Kurz von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz ist zumindest skeptisch. Er hält das Verfahren für "sehr riskant": "Das Beweisniveau, das da erreicht werden muss, ist schon sehr hoch. Die einzigen, die am Ende immer gewinnen, sind die Anlegeranwälte."