US-Notenbankchef Ben Bernanke hält es für möglich, dass die Finanzkrise die Vereinigten Staaten bereits in eine Rezession gezogen hat. Die Konjunkturrisiken hätten durch zahlreiche Belastungsfaktoren weiter zugenommen, sagte Bernanke bei einer Anhörung vor dem Senat in Washington. Es sei derzeit unklar, ob sich die USA technisch gesehen bereits in einer Rezession befänden. Fest stehe aber: "Die Menschen sind sehr besorgt." Der düstere Ausblick Bernankes schickte US-Aktien auf Talfahrt.
Familien unter Druck
"Ob es nun eine technische Rezession ist oder nicht, die Kombination von nachlassendem Wohlstand, einem schwachen Arbeitsmarkt, steigenden Nahrungsmittel- und Energiepreisen, Zwangsversteigerungen und immer härteren Kreditkonditionen - all das zusammen setzt die Familien heftig unter Druck", sagte Bernanke. Volkswirte sprechen von einer technischen Rezession, wenn die Wirtschaft in zwei aufeinander folgenden Quartalen schrumpft.
Ungemach droht der US-Wirtschaft nach Einschätzung Bernankes derzeit gleich an mehreren Fronten: "Die Möglichkeit weiter steigender Energiepreise, die Verschärfung der Bedingungen bei der Kreditvergabe durch die Banken und der immer tiefere Abschwung am Immobilienmarkt sind allesamt Abwärtsrisiken für den Wirtschaftsausblick."
Ausgang am Immobilienmarkt
Der Preisverfall am Häusermarkt, von dem die inzwischen globale Finanzkrise vergangenen Sommer ihren Anfang genommen hatte, könne noch über den Jahreswechsel hinaus anhalten, warnte er. Die meisten Unternehmen dürften in den verbleibenden Monaten des Jahres darüber hinaus zurückhaltender investieren. "Zur selben Zeit haben sich die Risiken für den Inflationsausblick zuletzt weiter verstärkt."
An der Wall Street fielen die Aktienkurse nach Bernankes Äußerungen auf neue Tagestiefs. Auch der Dollar verlor zum Euro an Boden; zum Schweizer Franken fiel der Greenback bis auf Parität. Der Preis für das Fass US-Leichtöl brach um rund neun Dollar ein. Die USA sind der mit Abstand größte Ölverbraucher weltweit. Profitieren konnten von der von Analysten als sehr pessimistisch eingestuften Tonlage Bernankes lediglich die US-Staatsanleihen. Sie gelten in Krisenzeiten als recht sicheres Investment.
Bush zeigt sich zuversichtlich
US-Präsident Georg W. Busch sagte in Washington, er sei nach wie vor zuversichtlich im Hinblick auf die weitere Entwicklung der Wirtschaft. "Ich bin kein Ökonom, aber ich glaube wir wachsen noch." Er fügte jedoch hinzu: "Aber die Wirtschaft wächst nicht so, wie sie sollte."
Unter dem Eindruck immer neuer Hiobsbotschaften von den US-Banken sieht Bernanke die Fed vor allem in der Pflicht, alles für eine rasche Stabilisierung des amerikanischen Finanzsystems zu tun. "Es ist aktuell die allerhöchste Priorität der Fed, den Finanzmärkten dabei zu helfen, zur Normalität zurückzukehren." Der gesamte Finanzsektor stehe derzeit unter immensem Druck.
Hilfspaket für Hypothekenbanken
Die Fed hatte in den vergangenen Tagen zusammen mit der Regierung ein Hilfspaket für die beiden angeschlagenen großen Hypothekenbanken Fannie Mae und Freddie Mac geschnürt. Diese Hilfsaktion hatte an den Finanzmärkten aber nur kurzzeitig für eine bessere Stimmung gesorgt.
Nach den Worten Bernankes hätten die früheren Bemühungen von Regierung und Fed zwar Früchte getragen, die Lage zu beruhigen und Schaden von der weltgrößten Volkswirtschaft abzuwenden. Trotz Zinssenkungen und neuer Refinanzierungsmöglichkeiten, die die Fed den Banken einräumte, sehe sich die US-Wirtschaft aber nach wie vor einer ganzen Reihe von Schwierigkeiten gegenüber. Das Konjunkturprogramm der Regierung scheine zu helfen. "Wir brauchen aber noch Zeit, um zu sehen, ob noch mehr nötig ist", sagte der Fed-Chef.
Trotz ihrer Rezessionsbedenken hob die Notenbank in ihrem halbjährlichen Bericht an das Parlament in Washington ihre Prognose für das Wirtschaftswachstum 2008 auf ein bis 1,6 Prozent an. Zuletzt war sie von einem Wachstum von lediglich 0,3 bis 1,2 Prozent ausgegangen. Grund sei die Hoffnung, dass die Steuerschecks der Regierung den Konsum kurzfristig beleben könnten. Zudem erwartet sie, dass sich die Konjunktur im laufe der kommenden beiden Jahre wieder erholt. Angesichts der zuletzt stark gestiegenen Preise für Energie und Lebensmittel erhöhte die Federal Reserve zugleich ihre Prognose für die Teuerung in diesem Jahr auf 3,8 bis 4,2 Prozent.