Wachstum Deutschland ist und bleibt am Ende

Nur kurz hatte sich das Wachstum hierzulande wieder ins europäische Mittelfeld vorgearbeitet. Nun ist Deutschland wieder Schlusslicht und wird es nach Ansicht von Experten auch bleiben - über Jahre hinaus.

Deutschland droht nach Einschätzung der führenden Wirtschaftsforschungsinstitute dieses Jahr der Rückfall in Stagnation und das niedrigste Wachstum aller 25 EU-Staaten. Die Experten halbierten am Dienstag ihre Konjunkturprognose für 2005: Statt wie im Herbst von 1,5 Prozent gehen sie von nur noch 0,7 Prozent aus. Die Bundesrepublik leide "unter einer fundamentalen Wachstumsschwäche", betonten die Forscher. Die Arbeitslosigkeit bleibe trotz "kräftigen Rückgangs" ab Sommer dramatisch hoch.

"Die Erholung, die im ersten Halbjahr 2004 sehr kräftig ausgefallen war, kam danach zum Stillstand", erklärten die Institute in ihrem in Berlin vorgestellten Frühjahrsgutachten. Es gebe die Chance, die neue Schwächephase dieses Jahr zu überwinden. Für 2006 sagen die Experten 1,5 Prozent Wachstum voraus. Doch auch damit sei Deutschland konjunkturelles Schlusslicht in Europa.

Nach drei Jahren am Rande der Rezession hatte die Bundesrepublik mit 1,6 Prozent Wachstum wieder Anschluss ans europäische Mittelfeld geschafft. Nach Meinung der Institute könnte sie nun die "rote Laterne" auf Jahre hinaus behalten. Das deutsche Wachstumspotenzial sei seit Anfang der 90er Jahre von ungefähr 2,0 auf 1,1 Prozent zurückgegangen. In den anderen EU-Staaten liege es bei etwas mehr als 2,0, in den USA bei 3,0 Prozent. Die Bundesrepublik habe "kein Konjunktur-, sondern ein Wachstumsproblem" und werde 2005 und 2006 die Euro-Verschuldungsgrenze verfehlen.

Die Institute nahmen auch ihre Prognose für den Stellenmarkt drastisch zurück: Die durchschnittliche Arbeitslosenzahl wird den Instituten zufolge 2005 gegenüber dem Vorjahr um 463.000 auf 4,844 Millionen steigen, ehe sie 2006 auf 4,518 Millionen sinkt. Im Herbst waren die Experten für das laufende Jahr von 4,334 Millionen ausgegangen. Der Anstieg basiert allerdings auch auf statistischen Effekten in Folge der Hartz-IV-Reform.

Die negative Konjunkturentwicklung gehe auf eine langsamere Expansion der Weltwirtschaft, den starken Euro und die lahme Inlandsnachfrage zurück. Das für Deutschland bislang typische Muster, wonach ein Exportboom den Binnenmarkt beflügelt, sei weiterhin nicht eingetreten. Um für Wachstum und solide Staatsfinanzen zu sorgen, sei ein großes Reformpaket aus einem Guss nötig. "Der Staat muss seinen Einfluss auf das Wirtschaftsgeschehen verringern und den Freiraum für private Initiative erhöhen."

Neuer Streit zwischen Koalition und Opposition

Das Gutachten belebte den Streit zwischen Regierung und Opposition über die rot-grüne Politik neu. Union und FDP machten SPD-Wirtschaftsminister Wolfgang Clement für die Konjunkturschwäche verantwortlich. Die Forscher hätten "einmal mehr das komplette Versagen" der Koalition offenbart, sagte CDU-Generalsekretär Volker Kauder.

Clement sah keinen Grund für Pessimismus. Die Konjunkturerholung werde im Jahresverlauf weitergehen, sagte er. Clement wird am Freitag seine überarbeitete Konjunkturprognose vorlegen. Er geht noch von 1,6 Prozent aus.

Die Spitzenverbände der Wirtschaft nannten die Einschätzung der Institute realistisch und unterstützten die Forderung nach einem umfassenden Reformkonzept. BDI-Chef Jürgen Thumann betrachtete die Prognose als "unmissverständliche Aufforderung" an die Politik, zu handeln.

AP
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