Kommentar Wir sind keine Schmarotzer

Der streitbare Wirtschaftsprofessor Wilhelm Hankel, 73, widerspricht stern-Autor Walter Wüllenweber: Ihr Jungen habt keinen Grund, uns Alten Mundraub vorzuwerfen.

Lieber Herr Wüllenweber, Sie werfen meiner Generation vor, dass wir so egoistisch sind, ein paar Jährchen länger leben zu wollen, als es unseren eigenen Eltern vergönnt war - und dies auch noch genießen. Macht euch fort, ihr Alten, schimpfen Sie. Ihr seid überflüssig wie die Fliegen an der Wand, denn ihr verbraucht das Geld, das von Rechts wegen uns Jungen gehört - wir haben es erarbeitet und verdient.

Die Lawine, die Sie mit Ihren Tiraden lostreten, könnte Sie und Ihre Altersgenossen bald selbst einholen. Auch Sie werden einmal alt sein und dank Ihrer Ärzte noch länger leben als meine Generation. Dann könnten Ihnen Ihre verqueren Ansichten selber um die Ohren geschlagen werden, nur noch lauter und bösartiger. Also seien Sie vorsichtig und denken Sie an Ihr eigenes Alter.

Glauben Sie wirklich, Ihre Eltern-Generation hätte Sie bestohlen? Vorsichtig zurückgerechnet, dürften wir für Sie fast eine Million alter D-Mark ausgegeben haben. Ein Vermögen. Ich glaube nicht, dass sich unsere und Ihre Generation wechselseitig etwas vorzurechnen hat. Fragen, die das soziale Klima der Gesellschaft bestimmen, sollten nicht unter Stammtisch-Aspekten entschieden werden. Und anstatt Lösungsvorschläge zum Renten-Dilemma mit heißer Nadel zu stricken, ist nüchterner Sachverstand gefragt. Dazu gehören auch einige für die jüngere Generation wohl unliebsame Einsichten.

Ihr Einkommen wird nämlich auch in Zukunft gebraucht, um den Lebensabend der immer länger lebenden Älteren zu finanzieren. Es ist eine weit verbreitete Illusion zu glauben, dass man sich seine Alterssicherung selber kaufen kann - durch privates, ausreichendes Sparen in der Jugend. Gerade tüchtige und verantwortungsbewusste Menschen fallen auf dieses "Selbstversorger-Märchen" herein. Sie übersehen (oder verdrängen), dass kein noch so klug angelegtes Kapitalvermögen frei ist von wirtschaftlichen Risiken. Was sich die Sparer später aus ihren Zinsen, Dividenden, Mieten, Versicherungsleistungen und dem Verkauf ihrer Häuser und Aktien leisten können, entscheidet einzig und allein der Markt. Und der ist - wir erleben es gerade an den Börsen - unberechenbar. Deswegen führt kein Weg an einer solidarischen Haftpflicht der Jugend für ihre alten "Vorarbeiter" in der Sozialgemeinschaft vorbei: Die Jungen übernehmen die Vorleistungen der Alten (deren Wissen, Fertigkeiten und Infrastruktur) und beteiligen dafür die Alten an ihrer eigenen, darauf aufbauenden Wertschöpfung - am laufend verdienten Einkommen.

Der Gesetzgeber ist bei der Gestaltung der Alterssicherung an feste Regeln und Orientierungsmarken gebunden. Vier objektiv messbare Größen bestimmen (und begrenzen) sein Handeln. Er muss wissen, wie groß erstens die Zahl der zu versorgenden Rentner ist, und zweitens, wie viele junge und aktive Einkommensbezieher dafür zur Verfügung stehen. Drittens muss sich der Gesetzgeber ein Bild davon machen, wie viel diese Jungen und Aktiven im Durchschnitt verdienen, um daraus viertens zu errechnen, wie hoch das für die Rentner angestrebte und aus diesen Einkommen zu finanzierende durchschnittliche Rentenniveau ausfallen kann.

Mit diesen vier Größen lässt sich der in der Öffentlichkeit geführte Streit über "Gerechtigkeit" und "Finanzierbarkeit" der deutschen Altersrenten wohltuend versachlichen. Das Rechenexempel zeigt: Die Belastung für die Jungen nimmt in dem Umfang ab, wie die Zahl der zu versorgenden Rentner sowie das durchschnittliche Rentenniveau gesenkt und gleichzeitig das laufend verdiente Einkommen erhöht wird, aus dem die Renten bezahlt werden.

Die erste Frage lautet: Kann man die Zahl der Rentner senken und wie? Man kann das nicht nur - man muss! Wer Rentner wird, entscheidet nicht der liebe Gott, sondern seine drei Stellvertreter auf Erden: Arbeitgeber, Betriebsrat und Sozialgesetzgeber. Beschließt diese "Dreifaltigkeit" die Frühverrentung, nimmt die Zahl der Rentner über Gebühr zu und belastet mit steigendem Bedarf die arbeitende Generation dramatisch. Also lautet das erste Gebot einer alternden und demzufolge länger lebenden Gesellschaft: Das Rentenalter darf nicht mehr gesenkt, sondern muss, um die Neuproduktion von Rentnern zu bremsen, drastisch heraufgesetzt werden. Allein die strikte Einhaltung des in Deutschland nur noch auf dem Papier stehenden "gesetzlichen" Rentenalters von 65 Jahren würde die Rentenbelastung um bis zu 25 Prozent absenken.

Zweite Frage: Kann das belastbare Einkommen nachhaltig gesteigert werden? Man kann - und man muss es auch tun. Die Sicherung einer hohen Beschäftigung ist und bleibt die beste Altersrentenpolitik. Je besser die Lage der Beschäftigten, desto leichter fällt es auch, das Rentenniveau anzuheben.

Drittens und letztens stellt sich die Frage nach dem vertretbaren Rentenniveau. Das ist ein heikler Punkt, und wir sollten aufhören, mit fiktiven Zahlen in der Öffentlichkeit Illusionen und Unruhe zu verbreiten. Für Sie und meinen alten Freund, den Renten-Papst Professor Rürup, sollte gelten: Kein Sozialstaat der Welt kann einen festen Prozentsatz des früher verdienten Einkommens garantieren. Wir sollten vielmehr unsere Alten mit einem festen Anteil am gesamten Volkseinkommen beteiligen - auch an seinen Schwankungen. Boomt die Arbeitswelt, haben auch unsere Rentner daran Anteil. Haben wir eine Krise wie derzeit, müssen die Rentner diese mit den Jungen teilen. Privilegien gibt es nicht. Wenn gespart werden muss, dann gilt das für alle. Kostenentlastung ist auch beim Sozialstaat der kürzeste Weg aus der Krise des Arbeitsmarktes.

Was zeigt uns die Analyse? Es gibt keinen Grund, unseren Alten Diebstahl und Mundraub an den Jungen vorzuwerfen. Und kostet ihre Versorgung eines Tages wirklich zu viel, können wir den Preis dafür jederzeit senken und bezahlbar machen. Wir Alten haben dafür Verständnis.