So ganz passt das Bild von David, der gegen Goliath kämpft, wohl nicht auf das Karlsruher Urteil zu den Kapitallebensversicherungen. Die Verfassungsbeschwerden dreier Bürger, die mehr Verbraucherschutz gegen die Versicherungsunternehmen gefordert hatten, bringen die Branche nicht zu Fall. Allerdings treffen die Vorgaben der Verfassungsrichter die Unternehmen an einer empfindlichen Stelle: Nach dem Grundsatzurteil vom Dienstag müssen die Kunden bei der Ausschüttung am Vertragsende angemessen an den Vermögenswerten der Versicherungsunternehmen beteiligt werden, die durch ihre Prämien geschaffen worden sind. Der Gesetzgeber muss bis Ende 2007 eine entsprechende Regelung erlassen. Damit werden Verbraucher endlich leichter Antwort auf Fragen wie: Wie viel geht in den Spartopf? Was fließt für Verwaltungskosten und Provisionen ab? Wie hoch ist der Risikoanteil? finden.
Versicherungen müssen Karten offen legen
In dem zehn Jahre alten Verfahren, über das der Erste Senat im Oktober 2004 mündlich verhandelt hatte, ging es um die Schlüsselbegriffe Transparenz und Kontrolle. Die Beschwerdeführer wollten durchsetzen, dass die Unternehmen bei der Berechnung der Überschussbeteiligungen ihre Karten offen legen - also bei dem Teil der Ausschüttungen, der die Lebensversicherung oft erst attraktiv macht. Für die Kunden geht es dabei um vergleichsweise geringe Beträge - doch für die Branche steht hier viel auf dem Spiel.
Kapital-Lebensversicherung
Die Kapital-LV ist eine relativ komplizierte Geldanlage: Vom Beitrag müssen der Risikoschutz für den Todesfall sowie die Gebühren und Kosten für Verwaltung und Abschluss des Vertrages finanziert werden. Was nach dem Abzug dieser Posten übrig bleibt, wird angelegt. Auf diesen Anlagebetrag gibt es mindestens den Garantiezins. Zusätzlich bekommen die Versicherungskunden Überschussbeteiligunen, die jährlich neu berechnet werden. Am Ende der Vertragslaufzeit erhalten die Kunden dann oft noch eine besondere Abschluss-Gewinnbeteiligung. Erst die Überschuss-Beteiligung macht die Versicherung richtig attraktiv.
Nach den Worten des Karlsruher Gerichts fehlen derzeit ausreichende rechtliche Vorkehrungen zur Durchsetzung der Interessen der Versicherten. Der Versicherungskunde könne derzeit vor allem nicht klären, ob die Überschussbeteiligung zutreffend festgestellt worden sei, sagte Gerichtspräsident Hans-Jürgen Papier bei der Urteilsverkündung des Ersten Senats. Die Versicherten seien außerdem bei einer Übertragung des Versicherungsbestandes auf ein anders Unternehmen nicht gesichert, hieß es. Auch hier müsse bis 2008 nachgebessert werden.
Schutzpflicht für Versicherte verletzt
"So kann sich eine zu geringe Festsetzung etwa durch Nichtberücksichtigung stiller Reserven ergeben," so Papier. Es müsse sichergestellt werden, dass die Vermögenswerte angemessen berücksichtigt würden, die der Versicherte durch seine Prämien geschaffen habe. Stille Reserven - also die Differenz zwischen Buch- und Marktwert von Vermögensanlagen der Unternehmen - bleiben derzeit bei der Berechnung der Ausschüttungen vollständig außen vor. Die bisherige Forderung der Verbraucher, diese Reserven in die Berechnung mit einzubeziehen, wurden von der Branche stets abgelehnt: Die stillen Reserven seien der entscheidende Puffer für Kapitalmarktschwankungen und damit eine Garantie für stetige Ausschüttungen, hieß es dazu.
Für die Verfassungsrichter sind die derzeitigen Schutzdefizite aber nicht mit der Verfassung vereinbar, die Versicherten seien demnach in ihren Eigentumsrechten verletzt. Dem Urteil zufolge trifft den Gesetzgeber eine Schutzpflicht, diese Defizite zu beheben. Die Bundesregierung hatte im Vorfeld argumentiert, die Belange der Betroffenen würden schon dadurch ausreichend gewahrt, dass die Bundesanstalt für Finanzdienstleistung (BaFin) die Geschäftspläne der Unternehmen kontrolliere. Dem widersprach der Bund der Versicherten (BdV), der die Kläger unterstützt hatte: Dazu sei die BaFin weder finanziell noch personell in der Lage.
Zusätzliche Brisanz gewinnt das Verfahren, weil die Menschen in Zeiten knapper Rentenkassen immer stärker auf die private Altersvorsorge angewiesen sind. Das war auch das Argument des BdV: Wenn der Staat die Bürger auf Eigenverantwortung verweise, müsse er auch verstärkt dafür sorgen, dass die Versicherungen die Interessen ihrer Kunden wahren.