Herr Grieble, das meistgepflegte Vorurteil gegenüber Versicherungen ist, dass sie nur ungern oder gar nicht zahlen. Stimmt das eigentlich?
Nach unserer Erfahrung bezahlen die Versicherer kleine Schäden meist ohne größere Probleme. Also bei Haftpflichtschäden zum Beispiel, alles in der Größenordnung bis wenige hundert Euro. Denn bei solchen Summen lohnt es sich für die Unternehmen oft nicht, genauer zu prüfen, ob der Schaden tatsächlich bedingungsgemäß zu regulieren ist.
Und wenn es teurer wird?
Dann sieht es leider anders aus, und nicht selten wird zwischen Versicherer und Versichertem jahrelang um die Leistung gestritten. Das ist eine ungute Lage: Gerade wenn es um große Summen geht, kann ein Dauerzwist den Verbraucher in existenzielle Nöte bringen. Dazu kommt noch die Unwucht der Machtverhältnisse: Die Versicherer haben ganz andere Möglichkeiten, ihre Interessen durchzusetzen. Steht der Kunde mit dem Rücken zur Wand, ist er allzu oft bereit, einem für ihn ungünstigen Vergleich zuzustimmen.
Über welche Arten von Versicherungen sprechen wir?
Ganz besonders von allen Sparten, in denen die Schadensfälle sehr hoch sein können, also fünfstellige Summen und mehr erreichen. Das betrifft zum Beispiel Berufsunfähigkeitsversicherungen. Hier kommt es häufig zu langen Prozessen. Wenn ein Leistungsanspruch von 1500 Euro im Monat geltend gemacht wird, also von 18.000 Euro im Jahr und das über die nächsten 20 Jahre, dann ist man schnell in einem hohen sechsstelligen Bereich. Dann fangen die Schwierigkeiten an.
Nichtsdestotrotz raten Sie dazu, Berufsunfähigkeitsversicherungen abzuschließen?
Ich rate sogar dringend dazu. Zuvor sollte allerdings der Antrag sehr genau ausgefüllt werden und auf die Bedingungen geachtet werden. Denn die Versicherungen verweigern die Zahlungen nur selten aus einem vollkommen luftleeren Raum heraus. Mögliche Schwierigkeiten ergeben sich aus Grauzonen, in denen die Angaben des Versicherten unklar oder unvollständig sind. Wenn aber alles wahrheitsgetreu und präzise beantwortet wurde, dann hat man zumindest deutlich höhere Chancen für einen reibungslosen Verlauf.
Das heißt, wenn Versicherungen nicht zahlen, liegt das auch am Kunden?
Man kann als Verbraucher selber einiges gestalten, so dass nachher weniger Probleme auftreten. Noch einmal: Die Anträge müssen sehr sorgfältig und ehrlich ausgefüllt werden. Und, ebenfalls wichtig: die Vertragsbedingungen vergleichen. Es gibt viele verschiedene Klauseln, die sich von Anbieter zu Anbieter unterscheiden können - da ist es wichtig, vorher zu wissen, welche Schadensfälle bezahlt werden und welche von vornherein ausgeschlossen sind.
Lassen sich durch das Kleingedruckte gute von schlechten Policen unterscheiden?
Ja, natürlich. Allerdings manchmal nur mit Hindernissen. Der Idealfall wäre, wenn die Versicherungsbedingungen so formuliert sind, dass jeder Verbraucher sie sofort verstehen und gute und schlechte Bedingungen unterscheiden kann. Doch sind die Klauseln je nach Versicherer mehr oder weniger klar formuliert. Deshalb ist es wichtig, dass man sich als Verbraucher intensiv mit dem Kleingedruckten auseinandersetzt. Das braucht Zeit und die muss man sich nehmen, denn Versicherungen schließt man nicht en passant ab. Dafür geht es um zu viel Geld - für beide Seiten.
Und wenn der Ernstfall eintritt? Worauf muss der Verbraucher achten?
Klingt banal, ist aber immer wirksam: Einfach bei der Wahrheit bleiben. Ein konkretes Beispiel: Ein kleines Kind beschädigt ein Auto. Sehr häufig schreiben die Eltern in die Schadensmeldung hinein, dass sie direkt hinter dem Nachwuchs standen und deshalb auf keinen Fall ihre Aufsichtspflicht vernachlässigt haben. Unabhängig davon, wie wahrheitsgetreu diese Angabe ist, führt sie dazu, dass niemand für den Schaden haftbar gemacht werden kann, was eine unbefriedigende Situation für alle ist. Schreiben die Eltern aber die Wahrheit, etwa, dass sie ins Gespräch mit den Nachbarn vertieft waren, dann haben sie ihre Aufsichtspflicht verletzt - und dann zahlt die Haftpflichtversicherung auch. Und natürlich muss man bedingungsgemäß handeln, also zum Beispiel den Versicherer unverzüglich informieren, versuchen den Schaden zu minimieren, vernünftigen Vorgaben des Versicherers nachkommen.
Ehrlichkeit zahlt sich also aus?
Ja. Den Vorgang beschreiben wie er war, detailliert und wahrheitsgemäß. Das kann auch später wichtig werden, wenn es zum Prozess kommen sollte, wo auch Kleinigkeiten wichtig sind.
Aber wird nicht genau deshalb geflunkert, weil viele Versicherte glauben, sie müssten schwindeln, damit die Versicherungen überhaupt zahlen?
Vielleicht, aber genau darin liegt ja der große Fehler. Vergessen Sie nicht: Ein Versicherungs-Sachbearbeiter hat tagtäglich mit vielen, vielen Schadensmeldungen zu tun. Er ist also sehr viel mehr Experte als man selber.
Dennoch kann sich auch ein Sachbearbeiter irren. Was ist der erste Schritt, wenn die Versicherung nicht zahlen will?
Es ist tatsächlich nicht unwahrscheinlich, dass ein Sachbearbeiter eher einmal zu viel ablehnt. Dann sollte man zunächst einmal den Versicherer ein zweites Mal anschreiben und ihn höflich auffordern, den Fall erneut zu prüfen. Oft sind Unternehmen leistungsbereiter, wenn sie merken, dass der Kunde nicht klein beigibt.
Wie lässt sich das am besten klären?
Dazu gibt es verschiedene Wege. So kann man zur Verbraucherzentrale gehen. Interessant ist auch immer der Versicherungs-Ombudsmann, den man kostenlos anrufen kann. Vor allem bevor man sich einen Anwalt nimmt. Hilft das nicht weiter, bleibt der Gang vors Gericht.
Anwälte und Prozesse kosten Geld. Lohnt sich diese Investition?
Das hängt stark von der Schadenshöhe ab. Wenn diese und damit der Streitwert sehr niedrig ist, dann natürlich in der Regel nicht. Wenn es um hohe Beträge geht, können einen im Zweifelsfall schon die Prozesskosten ruinieren. In solchen Fällen können Rechtsschutz-Versicherungen helfen. Alles was zwischen diesen Fällen liegt, ist eine Abwägungssache, die man nur im Einzelfall klären kann.
Wie stehen denn die Chancen, als Versicherter sich vor Gericht durchzusetzen?
Das lässt sich leider nicht pauschal beantworten.
Gibt es einen Zusammenhang zwischen Prämienhöhe von Versicherungen und deren Leistungswilligkeit? Also: Sind günstige Anbieter zahlungsunwilliger als teure?
Nein, nach meiner Erfahrung nicht. Denn die Prämienhöhe wird stark von den Vertriebskosten bestimmt - die sehr von Anbieter zu Anbieter variieren. Deswegen sind viele Policen, die über das Internet angeboten werden, oft preisgünstig. Auch die Verwaltungskosten spielen eine Rolle. Wenn der Versicherer günstig wirtschaftet, kann er diesen Vorteil an die Kunden weitergeben, also die Prämienhöhe niedrig halten.