Julia Peirano: Der geheime Code der Liebe Mein Freund ist sauer, wenn ich nicht mit ihm schlafen will

Eigentlich ist Lena sehr glücklich mit ihrem Freund. Doch ihr Sexleben ist immer wieder Anlass für Diskussionen. Lena fühlt sich unter Druck gesetzt, wenn sie mal keine Lust verspürt. Wie kann das junge Paar in Zukunft mit diesem heiklen Thema umgehen?

Sehr geehrte Frau Dr. Peirano, 
seit fast einem Jahr sind mein Freund, 21, und ich, 22, ein Paar. Angefangen hat alles mit einem heißen One-Night-Stand. Wir hatten sofort das Gefühl, die wahre Liebe gefunden zu haben. Alles schien perfekt, wir sind überglücklich und die Gedanken kreisen schon um eine gemeinsame Zukunft und die Gründung einer Familie. Der einzige Haken: Der Sex steht immer im Mittelpunkt und ist ein ständiges Streitthema. 

Mit 18 hatte ich meinen ersten Freund. Ich konnte mich in dieser Beziehung, da ich keine anderen Erfahrungen oder Vergleichsmöglichkeiten hatte, mit unserem Sexleben nicht zufriedenstellen. Wir sprachen nie darüber (das ist mir auch sehr unangenehm) – und so wurde der Sex sehr eintönig. Ich hatte keine  Lust mehr und wollte lieber keinen Sex mehr haben als nur schlechten. Die Beziehung scheiterte dann daran. Danach wollte ich herausfinden, wie es wohl mit anderen Männern im Bett ist – dabei habe ich dann ja auch meinen jetzigen Freund kennengelernt.

Mit ihm kann ich mich über den Sex nun gar nicht beschweren, da es der beste meines Lebens ist! Doch nach und nach lässt auch hier immer mehr die Lust nach. Dabei ist der Sex nicht eintönig und auch nicht schlecht. Ganz im Gegenteil, Orgasmen sind hier vorprogrammiert. Da meinem Freund der Sex sehr wichtig ist und mich des Öfteren die Unlust dazu bringt, ihn abzuweisen, wird dies dann immer wieder zum Streitthema. Ich habe dann jedes Mal Angst, ihn zu verlieren. Ich möchte nicht, dass eine zweite Beziehung nur wegen Sex zerstört wird, obwohl sonst alles perfekt ist.Nun spreche ich auch mit meinem Freund über unser Sexleben und wie wir es verbessern können, doch zu einer Lösung dieses Problems sind wir noch nicht gekommen. Da es mir unangenehm ist, darüber zu sprechen, habe ich mich auch noch nicht getraut, meine Frauenärztin mit diesem Problem aufzusuchen. Ist es normal mit 22?

Porträt Dr. Julia Peirano
© Kirsten Nijhof

Dr. Julia Peirano: Der geheime Code der Liebe

Ich arbeite als Verhaltenstherapeutin und Liebescoach in freier Praxis in Hamburg-Blankenese und St. Pauli. In meiner Promotion habe ich zum Zusammenhang zwischen der Beziehungspersönlichkeit und dem Glück in der Liebe geforscht, anschließend habe ich zwei Bücher über die Liebe geschrieben. 

Informationen zu meiner therapeutischen Arbeit finden Sie unter www.julia-peirano.info.

Haben Sie Fragen, Probleme oder Liebeskummer? Schreiben Sie mir bitte (maximal eine DIN-A4-Seite). Ich weise darauf hin, dass Anfragen samt Antwort anonymisiert auf stern.de veröffentlicht werden können.

Ich würde mich über eine Antwort von Ihnen sehr freuen, damit ich weiß, wie ich das Problem in Zukunft besser angehen kann. 
Liebe Grüße 
Lena G.

Liebe Lena,

wie gut, dass Sie Ihren Mut zusammengekratzt und mir geschrieben haben. Ich habe nämlich den Eindruck, dass Sie ganz viele Fragen und Vorstellungen zum Thema Sex haben und damit ganz alleine da stehen. Es würde Ihnen sicher gut tun, sich mit anderen Frauen (in erster Linie Ihren Freundinnen) über Sex zu unterhalten und zu erfahren, wie es in anderen Betten aussieht. Interessant wäre ein Gespräch über die Frage: Was macht mir Lust und was ist ein Lustkiller. Einige Frauen mögen es zum Beispiel, hart angepackt zu werden, anderen macht es Angst. Die eine liebt es, überrascht zu werden, die andere braucht viel Anlauf, um Lust zu empfinden (z.B. ein gemeinsames Bad, langes Streicheln, Kerzenlicht).

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In welchen Punkten sich Frauen und Männer wirklich unterscheiden

Bei solchen Gesprächen könnten Sie viel über sich herausfinden. Und wahrscheinlich würden Sie feststellen, dass jeder Mensch anders ist! Es gibt zum Glück keine Norm, an die man sich halten muss.

Einige Frauen und Männer haben oft Lust (wie Ihr Freund), für andere ist Sex nicht so wichtig oder sogar unangenehm und sie wären insgeheim sogar froh, wenn der Sex gar nicht erfunden wäre. Außerdem gibt es viele Dinge, die beeinflussen, ob man gerade mehr oder weniger Appetit auf Sex hat. Stress, vor allem langanhaltender, ist ein großer Feind der Lust. Außerdem gibt es bei vielen Frauen im Zusammenhang mit dem Zyklus Schwankungen: Einige haben vor und während der Regel überhaupt keine Lust, berührt zu werden, bei anderen ist das Gegenteil der Fall. Um den Eisprung herum haben viele Frauen besonders viel Lust, andere wiederum spüren kaum Zyklusschwankungen.

Die Dauer der Beziehung spielt auch eine Rolle: Bei den meisten Paaren lässt die Lust nach ca. 1-2 Jahren nach. Auch die Qualität der Beziehung mit dem Partner ist entscheidend dafür, ob eine Frau gerne Sex hat oder nicht. Bei Ihnen ist mir ein Widerspruch aufgefallen: Auf der einen Seite schreiben Sie, dass der Sex mit Ihrem Freund sehr gut ist und Sie zum Höhepunkt bringt. Auf der anderen Seite beschreiben Sie aber auch, dass Ihr Freund und Sie sich streiten, wenn Sie mal keine Lust haben. Zudem verspüren Sie Angst, dass es deswegen zu einer Trennung kommen könnte.

Kommentare erwünscht!

Liebe Leserinnen und Leser,
Ihre Kommentare sind eine große Bereicherung für meine Beiträge – vielen Dank und bitte weiter so! Ich freue mich über Ihre eigenen Erfahrungen sowie über Ihre Gefühle und Gedanken beim Lesen der Frage. Aber bitte denken Sie daran, dass hier jemand etwas Intimes von sich preisgibt. Dazu braucht man einen geschützten Raum. Deshalb schreiben Sie bitte stets respektvoll und konstruktiv. Abwertende und gehässige Beiträge (gegen die ratsuchende Person, andere Leser oder gegen mich) werden nicht veröffentlicht, da sie den geschützten Raum gefährden.

Herzliche Grüße, Julia Peirano

Doch Erwartungsdruck oder das Gefühl, etwas tun zu müssen, nehmen einem oft den Spaß an der Sache. Stellen Sie sich vor, Sie wollen Ihre Freundin mit Blumen überraschen, doch diese ruft Sie an und fordert: "Wehe, du bringst heute keine Blumen mit. Dann bin ich wirklich sauer!" Wahrscheinlich würde es Ihnen kaum noch Spaß machen, die Blumen zu kaufen, sondern sie würden es entweder nur aus Pflichtgefühl erledigen oder rebellisch sagen: "Soll sie sich die Blumen doch selbst kaufen. So lasse ich mich nicht behandeln."

Ich denke, hier liegt der Knackpunkt. Ich weiß ja nicht, was Ihr Freund sagt oder macht, wenn Sie ihm sagen, dass Sie gerade keine Lust haben. Doch in Ihrem Kopf gerät alles durcheinander: Sie sehen sich als ungenügend oder sogar schuldig an. Möglicherweise gefährden Sie sogar die Beziehung.

Es ist ganz wichtig, dass Sie hier umdenken! Sie beide haben sicher ein unterschiedliches Bedürfnis nach Sex, aber dabei liegt keiner "richtig" oder "falsch". Sie müssen sich einigen. Ihr Freund sollte versuchen, Sie zu verführen. Sie können ihm vielleicht erklären, wie er das anstellen kann. Wichtig ist aber auch, dass er lernt, ein "Nein" oder "Jetzt nicht" ohne Diskussion und Murren zu akzeptieren. Denn Sex ist ein Geschenk. Es ist nichts, was einem zusteht oder was man einfordern könnte.

Deshalb rate ich Ihnen: Schieben Sie die Schuldgefühle beiseite, befreien Sie sich von irgendwelchen Normen und reden Sie mit Ihrem Freund. Sagen Sie ihm, wie sehr es Sie lähmt, wenn er ein "nein" nicht akzeptieren kann. Vielleicht ist es für eine Weile auch gut, wenn das Signal zum Sex von Ihnen ausgeht. Probieren Sie es aus, aber lassen Sie sich nicht unter Druck setzen.

Herzliche Grüße

Julia Peirano

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