Es gibt nicht genügend Spiele, die einen zum Lächeln bringen. Siegesfreude und Befriedigung, ja, aber ein Grinsen von einem Ohr zum anderen ist selten.
"Ni No Kuni" ist ein Spiel dieser seltenen Spezies. Die Kombination aus erstaunlichen Grafiken, üppigem, orchestralem Soundtrack und witzigen Dialogen schafft ein außergewöhnliches RPG, das sogar auf das ernsteste Gesicht ein Lächeln zaubert.
Magische Spielwelt
"Ni no Kuni" versetzt den Spieler in die Rolle des jungen Oliver, der sein Leben in Motorville in vollen Zügen genießt. Er ist ein überaus höflicher Junge, den einfach jeder in der Stadt, besonders seine Mutter, gerne hat. Aber schon nach nur 15 Minuten Spielzeit passiert ein tragisches Ereignis, welches Olivers Welt auf den Kopf stellt.
Unser völlig verstörter Held ist total überrascht, als seine Tränen ein kleines Stofftier zum Leben erwecken. Das Spielzeug namens Tröpfchen verwandelt sich in den verfluchten Großfürsten der Feen und steht Oliver mit weisen Ratschlägen zur Seite. Tröpfchen behauptet, dass er aus dem Paralleluniversum Ni no Kuni stammt, wo jeder aus Olivers Welt eine andere Rolle spielt und verschiedene Fähigkeiten besitzt. Die Katze des örtlichen Ladenbesitzers ist in Ni no Kuni beispielsweise ein König.
Nachdem Oliver dieses Paralleluniversum entdeckt hat, wird ihm mitgeteilt, dass er die Tragödie aus der echten Welt rückgängig machen kann, indem er die Ereignisse in Ni no Kuni umkehrt. Natürlich ist das Leben selbst in einem Paralleluniversum nicht ganz so einfach.
Animierte Meisterleistung
Das Faszinierendste an "Ni no Kuni: Der Fluch der weißen Königin" sind die unglaublichen Grafiken. Das ist keine Überraschung, denn das Spiel ist in Zusammenarbeit von Entwickler Level-5 (welcher die tragbaren Nintendo-Konsolen mit den "Professor Layton"- und "Inazuma Eleven"-Games ständig an ihre Grenzen treibt) und dem legendären Animationskünstler Studio Ghibli, dem "Japanischen Disney" (welches für Filme wie "Mein Nachbar Totoro", "Chihiros Reise ins Zauberland" und "Prinzessin Mononoke" verantwortlich war), entstanden.
Der Stilmix produziert ein Spiel, das zwischen wundervollen, polygonalen Grafiken und 2D-Animationen im Studio-Ghibli-Stil wechselt. Letztere sind nicht nur eine halbherzige Beisteuerung von Ghibli-Animationen, sondern eine Aneinanderreihung wunderschön animierter Szenen, die sogar auf der Kinoleinwand gut aussehen würden.
Die vollständig orchestrale Filmmusik (komponiert von Joe Hisaishi und gespielt vom Philharmonieorchester Tokio) gewährleistet, dass das Spiel ebenso gut klingt wie es aussieht.
Nicht nur äußerlich gelungen
"Ni no Kuni" ist nur mit japanischer oder englischer Tonspur erhältlich, wird aber mit deutschen Untertiteln geliefert. Die englische Synchronisation ist aber bis auf die ein oder andere übertriebene Darbietung der Nebendarsteller gut gelungen. Die Stimmen von Oliver und Tröpfchen halten den Standard hoch. Genau wie Claptrap aus "Borderlands" und Wheatley aus "Portal 2", stehlen Tröpfchens witzige Bemerkungen (in Englisch mit starkem, walisischem Dialekt) den anderen die Schau.
"Ni no Kuni" fühlt sich nicht gehetzt an. Es wird deutlich, dass genauso viel Überlegung in die Spielmechaniken eingeflossen ist, wie in das Aussehen und den Soundtrack.
Es ist die reinste Freude durch die wunderschön gestalteten Umgebungen zu wandern, aber es gibt eine Menge Aufgaben und Missionen, die einen durch das Spiel führen.
Die typischen RPG-Nebenmissionen erhalten in "Ni no Kuni" eine neue Formel. Manchen Bewohnern des Ni-no-Kuni-Paralleuniversums fehlen bestimmte Persönlichkeitsmerkmale wie Selbstvertrauen, Eifer oder Freundlichkeit, die sie benötigen, damit man mit ihnen interagieren kann. Um einen Charakter mit einer bestimmten Eigenschaft ausstatten zu können, muss man diese einem anderen Charakter wegnehmen. Man kann sich das Konzept als eine Art "Der Zauberer von Oz"-Börse vorstellen.
Im Prinzip handelt es sich trotzdem um normale Quests, aber man muss dabei mit mehreren unbekannten Charakteren interagieren. Es ist kaum überraschend, dass Ghibli seine bemerkenswerten Standards aufrechterhält und den Charakteren einen ganz eigenen Charme verpasst. In der "Ni No Kuni"-Gemeinschaft kann man sich einfach treiben lassen.
Attacke
Das Kampfsystem bietet eine befriedigende Tiefe und viele Überraschungen. Die Mechaniken werden aber vorsichtig, Stück für Stück vorgestellt, um Spieler nicht zu überfordern. Die Schlachten finden auf großem Raum in Echtzeit statt und können ziemlich hektisch werden. Fans der "Tales"-Spiele werden damit vorzüglich zurechtkommen.
Die Angriffe finden in einem Zeitmessersystem statt. Sobald ein Spieler ein Manöver ausgewählt hat, kann er dieses für eine bestimmte Zeit nicht verlassen. Der Trick ist also, die Bewegungen und das Verhalten jedes Feindes genau zu studieren und den richtigen Move zur richtigen Zeit auszuführen.
Es gibt ein weiteres Strategieelement, welches das Gameplay so tiefgründig macht: die Familiars. Es handelt sich dabei im Prinzip um 300 von Studio Ghibli kreierte Pokémon-Wesen, die genauso fantastisch sind, wie sich dieses Konzept anhört. Die kleinen Kreaturen unterstützen Oliver im Kampf (der Spieler übernimmt die Kontrolle in Echtzeit), man kann sie aufrüsten und ihnen neue Moves beibringen.
Sobald man ein Familiar gefangen hat, muss man gut darauf aufpassen und es füttern. Eine ganze Mannschaft dieser kleinen Wesen kann in einem Kampf der Schlüssel zum Sieg sein. Ein sehr großer Teil des Spiels besteht in der Herausforderung, jeden Feind in einen Familiar umzuwandeln. Das ist natürlich nicht notwendig, um das Game zu gewinnen, könnte aber schnell zur Sucht werden.
Fazit
Für ein Spiel, das von zwei verschiedenen Teams mit unterschiedlichen Stilen und Standards entwickelt wurde, fühlt sich "Ni no Kuni" erstaunlich geschlossen an und weist kaum Fehler auf. Ab und zu gibt es kleinere Schwierigkeiten und gegen Ende werden die prachtvollen Ghibli-Animationen etwas seltener, aber ansonsten haben wir kaum Kritikpunkte an "Ni no Kuni: Der Fluch der weißen Königin" gefunden.
"Ni No Kuni" ist ein Wunder. Es hat Charakter und Tiefe, die erste halbe Stunde ist Ehrfurcht einflößend und das Spielerlebnis kann gut und gerne 100 Stunden überschreiten.
In letzter Zeit wurden viele Spiele mit kontroversen und verachtungsvollen Assoziationen belastet. Der weit verbreitete Eindruck ist, dass dieses interaktive Medium nichts als ein Blutfest für Jugendliche ist. "Ni no Kuni: Der Fluch der weißen Königin" ist nicht nur ein weiteres Stück in Studio Ghiblis beeindruckender Sammlung, es ist ein atemberaubendes Beispiel dafür, dass manche Spiele jedermanns Zeit wert sein können.