"Der Auschwitz-Prozess" Die Tötungsmaschinerie des Dritten Reichs

Im Dezember 1963 wurden die Rädchen wieder zu Menschen. Vor dem Frankfurter Landgericht begann der Auschwitz-Prozess. 40 Jahre später erscheint eine einzigartige Dokumentation als Band 101 der Digitalen Bibliothek auf DVD-ROM.

Dieser Prozess konfrontierte seinerzeit die junge Republik nach Jahren des juristischen Schweigens und der Lethargie eindringlich mit der eigenen dunklen Vergangenheit. Erstmals standen die Mitglieder der Tötungsmaschinerie in einem Konzentrationslager vor Gericht: 22 weit gehend unbekannte Männer im mehr oder minder vorgerückten Alter. Zwei Jahrzehnte zuvor hatten sie im KZ Auschwitz Macht über Leben und Tod gehabt. In der Todesfabrik Auschwitz starben mindestens eine Million Menschen. "Die Mörder sind wie du und ich", betitelte der stern damals seine Serie mit Portraits der Angeklagten.

Das Verfahren dauerte rund zwei Jahre, dabei wurden 357 Zeugen gehört, darunter 211 Überlebende des Konzentrationslagers. Beispielsweise der böhmische Jude Ján Weis, der in Auschwitz als Leichenträger tätig war: "Der Angeklagte Klehr hat meinen Vater vor meinen Augen ermordet. [...] (Er) sprach zu den beiden, meinem Vater und dem Mithäftling, der mit ihm gebracht wurde. 'Setzen Sie sich. Sie kriegen eine Spritze, damit Sie keinen Typhus bekommen.' Ich begann zu weinen. [...] Er gab dem Vater die Spritze, und ich trug ihn, meinen Vater, fort. Und eine Woche später sagte er mir, warum ich ihm das nicht gesagt habe, er hätte dann den Vater nicht getötet. Ich hatte damals Angst, es ihm zu sagen, weil es ja durchaus möglich war, dass er sagte: 'Setz dich daneben."

Die Angeklagten leugneten zumeist die Beteiligung an den Verbrechen und bestritten bis auf wenige Ausnahmen die Schuldvorwürfe. Der SS-Oberscharführer und Leiter der so genannten Desinfektoren und des Vergasungskommandos, wirkte an den Selektionen der Neuankömmlinge mit und tötete nach eigener Darstellung zwischen "zweihundertfünfzig und dreihundert" Häftlinge. Klehr, in Untersuchungshaft seit September 1960, wurde zu lebenslangem Zuchthaus verurteilt und 1988 im Alter von 84 Jahren entlassen.

Gedächtnisstütze für das Gericht

Der 430-stündige Tonbandmitschnitt der 183 Tage dauernden Hauptverhandlung wurde ursprünglich als Gedächtnisstütze für das Gericht angefertigt. Nun bildet er das Kernstück der Dokumentation "Der Auschwitz-Prozess - Tonbandmitschnitte, Protokolle, Dokumente" (Herausgegeben vom Fritz Bauer Institut, Frankfurt am Main, und dem Staatlichen Museum Auschwitz-Birkenau). Die gesamten Tonaufnahmen wurden transkribiert, rund ein Viertel des originalen Mitschnitts gibt es als Hördokument. Darüber hinaus wurden die mündlichen Zeugnisse mit weiterführenden Anmerkungen versehen. Die gesamten Inhalte sind, wie üblich bei Ausgaben der Digitalen Bibliothek, miteinander verknüpft und so gerade fürs wissenschaftliche Arbeiten hervorragend zu handhaben.

Der Auschwitz-Prozess

Hersteller

Digitale Bibliothek

Genre

Dokumentation

Plattform

Mac, PC (ab Windows 98)

Preis

45 Euro

Daneben enthält die DVD die Schlussworte der Angeklagten, Plädoyers von Staatsanwaltschaft, Verteidigern und Nebenklagevertretung sowie die mündliche Urteilsbegründung, ausgewähltes Quellenmaterial aus den Hauptakten, die Prozessmitschrift des protokollführenden Richters sowie Fotos, einen Filmausschnitt, Pläne und Karten des Konzentrationslagers.

Nicht nur wegen der erschütternden Berichte der ehemaligen Insassen und ihrer Peiniger ist diese Dokumentation ein zeitgeschichtliches Zeugnis ersten Ranges, sondern auch wegen der Urteile, die die Unzulänglichkeit der nachkriegsdeutschen Rechtsprechung angesichts der NS-Gräuel demonstrierten. Denn das geltende Recht sah für die Beteiligung an Massenmorden vergleichsweise milde Strafen vor: Sechs von 22 Angeklagten wurden zu lebenslanger Haft verurteilt.

Thomas Hirschbiegel

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