SCHEIBE Eine Nation im Sexrausch?

Kolumnist Scheibe ist nicht nur Shareware-Kenner, er ist auch ein Pfadfinder in den Rotlichtbezirken des Internet. Als Cybersex-Experte bekommt er jede Menge bizarrer Anrufe...

Männer am Computer tapsen zwangsläufig in die Sexfalle. Noch nie war es so einfach, unbemerkt vom Chef und von der Freundin an virtuelle Ferkeleien zu gelangen. Im Internet ist die rote Laterne nur einen Mausklick entfernt. Und auch am Kiosk lassen sich nackte Mädchen problemlos auf CD-ROM einkaufen. Doch anscheinend sind die Jungs mit den Cybergirls völlig überfordert. Das zeigen jedenfalls die Anrufe in unserem Büro.

Intime Kenner der Computer-Erotik

Wer A sagt, muss auch alle weiteren Buchstaben in Augenschein nehmen. Als gestandene Computerjournalisten haben wir nicht nur laut B geschrieen, sondern auch noch den Buchstaben C vereinnahmt. C wie Cybersex. Wer im Business vorankommen möchte, muss sich eben spezialisieren. Wir kennen uns mit Kinder-Software, PDAs, DVDs und mit Word XP gut aus. Nebenbei schimpfen wir uns auch intime Kenner der Computer-Erotik. Im Zuge unserer Aktivitäten auf diesem Gebiet klingelt immer wieder einmal unser Telefon heiß. Was uns da aus dem Hörer entgegenschallt, soll Thema dieser Kolumne sein.

Kreditkartennummern auf Ostblock-Reisen

Nur mit Schweißtropfen auf der Wirbelsäule erinnere ich mich etwa an den Anruf meiner Kreditkartengesellschaft vor zwei, drei Jahren. Die bat ganz höflich darum, meine Karte sperren zu dürfen, um mir dann gleich darauf eine neue ausstellen zu können. Ich fragte erstaunt nach dem Warum. Und bekam zu hören, dass meine Kartendaten anscheinend auf dem Rechner eines Kölner Kleinkriminellen gefunden wurden. Zusammen mit den Daten von 35.000 anderen Kartenbesitzern. Der Kleinkriminelle hatte den Datenbestand bereits eifrig genutzt, um im Internet auf große Shopping-Tour zu gehen. Das Zahlensammelwerk sollte dann aber wohl doch in den Ostblock weiterverkauft werden. Das kommt davon, wenn man die Kreditkarte im Internet zückt, dachte ich mir. Trau schau wem. Seitdem passe ich besser auf, in welches Formular ich die Ziffernfolge eingebe. In einem Erotikformular »zur Feststellung« meines Alters wird das nicht mehr der Fall sein.

Vor einem Jahr half meine Bekannte Tini im Büro aus. Ich hatte sie im Nachbarzimmer schon fast vergessen, als sie mit zugleich kalkweißem und purpurrotem Gesicht an die Bürotür klopfte. Da sei ein Anrufer am Apparat, der frage ganz höflich an, ob wir ihm gebrauchte Damenschuhe verkaufen würden. Möglichst in Plastikfolie eingeschweißt, der Preis spielt keine Rolle. Sofort kalkulierte ich im Kopf durch, dass meine schweißgetränkten Joggingschuhe, mit etwas Frauenparfum benetzt, bestimmt für ein paar Hunnis den Besitzer wechseln könnten - und nickte kräftig. Oben im Kleiderschrank stapelten sich auch noch lauter ausgetretene Schuhe: Lauerte hier die Millioneneinnahmequelle? Tini gab sich entrüstet: »Ich hab schon aufgelegt. Dieser Perversling«. Schade: Viele findige Studentinnen verkaufen im Internet bereits gebrauchte Socken, Schlüpfer und Büstenhalter gegen ein ordentliches Entgelt. Jetzt hätte ich endlich auch einmal vom Trend profitieren können. Ich schaute auf Tinis Schuhe. Die hätten wir auch gleich noch verkaufen können.

Wie kriege ich die Nackte wieder vom Schirm?

Ein anderer Anrufer legte gleich bei seinen ersten Worten ein lautstarkes Betteln in die Stimme. Er habe nur mal so zum Angucken einen erotischen Bildschirmschoner installiert. Dummerweise habe der ihm das zuletzt gezeigte Bild als Tapete auf den Windows-Dektop geklebt. Und da der Anrufer noch nie etwas mit Hintergrundbilder zu tun gehabt hatte, wusste er nicht, wie er die langbeinige Schöne mit dem prall aufgeblasenen XXL-Busen wieder vom Schirm vertreiben könne. Ganz egal, wie unsere Lösung ausfallen würde, sie müsste verdammt schnell kommen: Seine Schnecke würde in einer Viertelstunde zu Hause sein und wenn sie dieses Bild sehen würde, au weia. Das wäre nicht gut für die Beziehung. Zum Glück ist es kein Problem, eine Tapete zu entfernen. Schnell leiteten wir den guten Mann an und erklärten ihm auch rasch noch, wie er die verräterische Datei aus dem Windows-Verzeichnis löschen kann. Wieder eine Ehe gerettet.

Porno ein Menschenrecht?

Dann war da noch der Arbeitslose aus Oldenburg, der über einen unserer Artikel über Internet-Erotik stolperte. Er war der Meinung, dass es reiner Betrug am Kunden sei, die Homepages einfach nur so vorzustellen. Er verlangte die Seiten mit allen eingebundenen Erotikbildern auf der Heft-CD des Magazins vorzufinden, da er keinen Internet-Zugang besitze. Es sei doch selbstverständlich, dass alles, was es im Internet gibt, auch auf CD verfügbar sein müsse. Er hätte bereits zu Fuß sämtliche Sexshops von Oldenburg bis Hannover abgeklappert, um die Daten zu finden – ohne Erfolg. Nun verlangte er, dass wir ihm auf unsere Kosten die Homepages auf eine CD brennen müssten. Wir lehnten ab, allein schon aus Copyright-Gründen. In der Folge rief uns der gute Mann alle fünf Minuten immer wieder von neuem an, um uns sein Anliegen erneut vorzubringen. Zum Schluss mussten wir seine Nummer im ISDN-Anrufmonitor blockieren, um weiterarbeiten zu können. Unglaublich. Ebenso schrill war der Pornokrat, der meinte, die am Kiosk angebotenen Erotik-CDs wären aufgrund der FSK-16-Zertifizierung viel zu lahm. Wir sollten unseren Einfluss geltend machen, damit auf die CDs ein verstecktes Porno-Verzeichnis käme, zu dem nur er allein mit einem speziellen Passwort Zugang hätte.

Manchmal sind die Anrufer auch nur arme Schweine. Wie etwa die – und es sind nicht wenige -, die im Sexrausch von einem Internet-Sexclub zum anderen surfen und überall brav die eigenen Kreditkartendaten abliefern, um eine »kostenlose« 3-Tage-Mitgliedschaft im Sinnes-Eldorado zu schnorren. Zu dumm, dass sich niemand im Vorfeld die allgemeinen Geschäftsbedingungen durchliest. Da steht nämlich geschrieben, dass sich eine Probemitgliedschaft automatisch in eine permanente umwandelt, wenn sie nicht rechtzeitig per Mail gekündigt wird. Mit dem Erfolg, dass die Vielsurfer auf einmal von zig Sexclubs um 30 Dollar im Monat erleichtert werden. Wer sich die Kontaktdaten der Clubs bei der Anmeldung nicht explizit aufgeschrieben hat, schaut ziemlich dumm in die Röhre. Auf den Kreditkartenabrechnungen stehen nämlich oft nur Buchstabenkürzel, die sich keiner Online-Adresse mehr zuordnen lassen. Und die aufgedruckten Telefonnummern führen nur zu teuren Bandansagen mit Telefonsex: Die totale Abzocke. Um aus dieser heißen Nummer wieder herauszukommen, hilft oft nur noch die Kündigung des Kreditkartenvertrages.

»Einmal die Liste der indizierten Websites, bitte«

Zum Glück hatten wir noch nie etwas mit virtuellen Kinderschändern oder richtigen Brutalinskis zu tun. Nur einer wollte wissen, ob wir eigentlich eine Liste aller von der deutschen Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften indizierten Sex-Seiten haben. Die besitzen wir natürlich, weil wir indizierte Seiten nicht in der Presse vorstellen dürfen. Der Leser wollte die Liste aber haben, weil sie ihm ein langes Suchen erspart und ihn gleich zu den wirklich heißen Sexseiten im Netz führen würde. Da hilft es dann nur noch, ohne einen weiteren Kommentar den Hörer aufzulegen.

Wohin mit dem Sexsklaven?

Immerhin: Es geht auch anders. Da ruft etwa jemand an, bei dem ist die Heft-CD eines Erotik-Magazins mit einem langen Kratzer versehen: Nix geht mehr. Gerne leiten wir ihn an den zuständigen Verlag weiter und beenden das Gespräch mit dem guten Gefühl, wieder einmal einem PC-Anwender geholfen zu haben. Und zerknüllen nebenbei den Brief eines Studenten, der sich uns als »1A Sexsklave« zum Nulltarif anbietet. Sollen wir den im Büro halten oder was?

Carsten Scheibe

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