Nehmen wir den Kunden, der sich im Handel eine Software gekauft hat. Sie funktioniert anscheinend auf seinem Rechner nicht so, wie er das gerne hätte. Prompt schickt er ein absolut unverschämtes Fax an den Verlag. Er beschimpft die Produktmanager als nichtsnutzige und inkompetente Schwachköpfe, beleidigt den Programmierer als hirnlosen Karnickelkötel und bezeichnet den Verlagschef auch noch als obersten Sippenführer einer Horde überflüssiger Idioten. Am Ende droht der Kunde mit der Mafia, mit dem Anwalt oder mit der Fingernagelattacke seiner Frau, wenn nicht binnen Stundenfrist eine für ihn positive Antwort eingeht. Ein normaler Mensch würde solch ein Schreiben zerknüllen, im Aschenbecher anzünden, das Ganze mit Orangensaft löschen und dann in den Blumenkübel gießen, damit die Pflanzen auch etwas davon haben. Doch: Der Kunde ist König. Da ist es egal, dass er das Produkt für zwei Mark auf dem Grabbeltisch gekauft hat. Da ist auch egal, dass die Software schon uralt ist und niemand im Verlag mehr die Adresse des Programmierers kennt. Und es spielt keine Rolle, dass fett auf dem Cover steht, dass zum Betrieb der Software eine bestimmte Hardware vonnöten ist, die der Kunde gar nicht besitzt, wie er selbst zugibt. Er ist der Kunde und er hat Recht. In der Regel werden die Verantwortlichen nun versuchen, ihn zu besänftigen. Hat niemand große Lust darauf, den Schwachkopf anzurufen, gibt es in der Regel ein Überraschungspaket mit kostenlosen Programmen aus dem Verlag als Präsent. Fazit: gewonnen.
Schlechtes Benehmen gibt es aber nicht nur auf Seiten der Kunden. Eine miese Nummer wird derzeit von einigen Magazinen mit beiliegender CD-ROM geschoben. Sie bieten Programme dreist als extra für den Kunden eingekaufte und lizenzierte Vollversionen an, obwohl die Programme doch bereits seit Jahren auch als kostenfreie Freeware im Internet zu haben sind. Der Kunde merkt?s vielleicht erst hinterher. Vorher kauft er aber eine Ausgabe des Magazins, weil sie vielleicht eine Vollversion mehr zu bieten hat als die Konkurrenz. Empörte Anrufe der betrogenen Leserschaft werden dann nach einem schlauen Verfahren blockiert. Regel Nummer 1: Die vom Kunden zunächst angerufene Person im Verlag hat prinzipiell keine Ahnung von der Materie. Der Anrufer kann froh sein, wenn der Mitarbeiter wenigstens den Namen der im Verlag veröffentlichten Zeitschrift schon einmal vage gehört hat: »Da klingelt irgend etwas im Kopf«. Immerhin kann der Anruf ja weitergestellt werden. Etwa zur Buchhaltung, deren Mitarbeiter auch keine Ahnung haben. Zum Layout, das sich mit Programmen an sich gar nicht beschäftigt, sondern nur bunte Aufmacherbilder malt. Zur Hardware-Redaktion, die mit Software nichts zu tun hat. Zum CD-Produzenten, der im Urlaub war, als diese spezielle Silberscheibe gemastert wurde. Oder zum Verlagschef, der sich, mein lieber Herr, um solche Kleinigkeiten nicht auch noch kümmern kann. Fakt ist doch: Nur die wenigsten enttäuschten Kunden rufen an und nerven. Und im nächsten Monat lassen sie sich mit einer tollen Schlagzeile gleich wieder zum Kauf eines neuen Heftes animieren.
Noch ein drittes Beispiel gefällig? Pöbeln hilft. Etwa auf der CeBIT oder auf der nahenden Berliner Funkausstellung. Niemand hört im Gedrängel der Messe auf den höflichen Besucher, der nett anzumerken versucht, dass ihm ein drei Zentner schwerer Programmierer auf dem kleinen Zeh steht. Oder der an der überlaufenen Würstchenbude nun bereits zum dritten Mal vorsichtig fiepst, dass er bei der Annahme der Bestellungen drei Mal übersehen wurde. Eine gewisse Arschigkeit zahlt sich hier sofort aus. In den Gängen der Messehallen heißt es einmal mehr: Wer bremst, hat Angst. Ein ausgestrecktes Knie oder ein rechtzeitig angewinkelter Ellenbogen wirken Wunder, um Schmerzen bei dem Anwender zu verursachen, der nicht schnell genug beiseite springt. Das passend dazu verzogene Gesicht mit grimmig heruntergezogenen Augenbrauen und gefletschten Zähnen animiert die Gegner umgehend, dem selbst ernannten Alphatier keine Widerworte zu leisten. Notfalls hilft es auch, die Hände wie Moses auszubreiten und zu schreien: »Weg da. Ich hab?s eilig«, um die Messefuzzis beiseite hüpfen zu lassen. Bewährt hat sich auch eine kiloschwere Umhängetasche, die sämtliche Hochglanzprospekte vom ersten Stand der Messehalle enthält. Mit diesem Rammbock lässt sich jede Warteschlange gut zusammenschieben.
Hungrig auf der Messe, aber kein Geld in der Tasche? Dreistigkeit hilft immer weiter. Jeder Stand hält für ausgewiesene VIPs Brötchen und Kaffee bereit. Wer da auch als Nobody gleich lautstark fordert »Gib? mal 'ne Schrippe und 'ne Tass' Kaff' her, sonst geh' ich wieder«, der sollte das mit dem Gehen nicht wahr machen, sondern sich lieber ungefragt und demonstrativ an einen Tisch setzen. Jede geübte Messe-Hostess wird nun schnell das Gewünschte bringen, um keinen Eklat am Stand zu provozieren. Guten Appetit.
Schlimme Sitten sind das? Und was ist dagegen zu tun? Gehen Sie mit gutem Beispiel voran. Und vor allem: Geben Sie den Pöblern nicht nach. Das ist wie mit den Rauchern am Arbeitsplatz: Ihre 5-Minuten-Pausen addieren sich den Tag über zu einem schönen Sümmchen Extrazeit, während der sie die Arbeit ruhen lassen. Nichtraucher müssen demnach für ihre dreisten Kollegen kräftig mitarbeiten. Mal darüber nachgedacht?
Carsten Scheibe