Manchmal tut es gut, Freunde zu haben, die ebenfalls selbstständig sind. Ich stecke gerade in akuter Zeitnot, weil zahlreiche Projekte eigentlich längst überfällig sind. Während der Termindruck wächst und die ergrimmten Auftraggeber durch den Telefonhörer kriechen, um abwechselnd zu betteln und zu fluchen, benötige ich dringend ein paar gute Ausreden. Am besten wird es sein, ich rufe meine Freunde an.
Taten statt Worte
Dieter mahnt zur Ruhe: »Geh am besten nicht mehr ans Telefon, rufe keine Mails mehr ab. Sage alle privaten Verabredungen ab. Und dann: arbeite. Rund um die Uhr. Gewöhne dich an fünf Stunden Schlaf. Überzeuge durch Taten und nicht durch Worte. Versprechungen platzen ja doch nur, und am Ende bist du einfach nicht mehr glaubwürdig. Schicke allen Auftraggebern reihum immer ein bisschen was zu, sodass sie beschäftigt sind. Alte Faustregel: Wer am lautesten brüllt, bekommt eben am meisten Texte. Und wenn am Ende doch alles geschafft ist, schickst du Pralinen rum und bedankst dich für die Geduld.«
Peter schüttelt da nur mit dem Kopf: »So etwas lähmt mich total. Ich kann dann nicht mehr arbeiten. Meistens flüchte ich vor dem Stress in die nächste Kneipe und kippe mir erst einmal ein paar Bier hinter die Binde. In der Regel macht dann meine Sekretärin die ganze Arbeit. Hinterher schwöre ich mir immer, nicht mehr so viele Aufträge anzunehmen. Ich rate dir: Such dir jemanden, der für dich die ganze Arbeit macht, und geh lieber mit mir einen trinken.«
Sebastian ist da schon abgebrühter: »Überall sitzen doch Auftraggeber, die selbst Familie haben. Schieb eiskalt Erkrankungen sämtlicher Familienangehörigen vor. Die Ehefrau hat Eileiterschwund, die Kinder leiden an fibröser Zeckenbeulenakne, und der Hund hat sich beim Sprung von der Terrasse das linke Hinterbein gebrochen. Außerdem leidest du an rechtsseitiger Triefnase, musstest eine zweitägige homöopathische Grundeinstellung über dich ergehen lassen oder wurdest beim Ölmessen am Auto vom Marder gebissen. Auch wenn dir keiner glaubt, so halten die meisten Auftraggeber doch meistens noch einen oder zwei Tage ruhig. Das ist Zeit, die du nutzen solltest.«
Ehrlich währt am längsten
Klara ist entsetzt: »Ausreden? Bist du denn irre? Das sind doch deine Auftraggeber. Von denen lebst du doch? Also bitte sei ehrlich und ruf sie an. Dann sagst du ihnen, dass du es auf keinen Fall schaffen wirst, die Arbeiten termingerecht abzuschließen. So gibst du ihnen die Chance, einen Ersatzmann zu finden oder dir Aufschub zu gewähren. Ich sage dir: Auf Dauer fährst du mit diesem Konzept am besten. Ehrlichkeit zahlt sich aus.«
Ich lasse die Freunde laut diskutierend vor dem Kaminfeuer sitzen, wo sie sich gemütlich niedergelassen haben, um meinen Wein zu trinken und an Schaschlickstäben Kinderwürstchen aus dem Tiefkühler im Feuer zu rösten. Ich muss in den Keller. Habe dringend noch etwas zu erledigen.
Carsten Scheibe