Liebe stern-Leser!
Wir stehen vor einer bedeutsamen Zäsur in der Geschichte unseres Kontinents: Am 1. Mai erweitert sich die Europäische Union auf einen Schlag von 15 auf 25 Staaten. Die Gemeinschaft wächst über Nacht um 75 Millionen Menschen auf nunmehr 450 Millionen Einwohner. So groß, so mächtig und so einig war Europa noch nie.
Was in den Zeiten des Kalten Krieges und des Eisernen Vorhanges undenkbar erschien, wird nun Realität: Unsere östlichen Nachbarn kehren nach Europa zurück - in eine Union von Staaten, die sich Demokratie, Freiheit und Marktwirtschaft auf die Fahnen geschrieben haben und auch das Versprechen, nie wieder Krieg gegeneinander zu führen. Der stern startet zu diesem historischen Ereignis eine siebenteilige Serie. In dieser Ausgabe beschreibt stern-Redakteur Tilman Müller, derzeit unser Korrespondent in Paris und demnächst in Brüssel, die politischen Chancen und wirtschaftlichen Risiken der Erweiterung. Von nächster Woche an stellen wir dann die einzelnen neuen Staaten genauer vor, zeigen die Landschaften, die Städte und die Menschen, liefern Daten und Fakten und geben auch Reisetipps.
Unsere Europa-Euphorie
bekam vergangene Woche allerdings einen herben Dämpfer. Auf Anzeige von EU-Bürokraten durchsuchte die belgische Polizei am Freitag Wohnung und Büro des stern-Korrepondenten Hans-Martin Tillack in Brüssel. Sie beschlagnahmte alle seine Unterlagen und Mobiltelefone. Der Vorwurf, Tillack habe vor zwei Jahren einen Beamten bestochen, um einen geheimen Bericht über Betrug und Misswirtschaft in der EU zu bekommen, ist frei erfunden.
Tatsache ist aber: Der stern-Mann nervt viele EU-Bürokraten und Politiker seit langem mit Berichten über kriminelle Machenschaften und Vetternwirtschaft. Er soll mundtot gemacht, seine Informanten sollen eingeschüchtert werden. Genau das werden wir nicht zulassen und mit allen rechtlichen Mitteln dagegen vorgehen.
Hans-Martin Tillack sollte am 1. April nach fast fünf Jahren routinemäßig in die Zentrale nach Hamburg zurückkehren. Nun aber bleibt er vorerst in Brüssel, bis die Vorwürfe aufgeklärt sind und die Verantwortlichen für diesen massiven Anschlag auf die Pressefreiheit zur Rechenschaft gezogen werden. Journalisten, die selbstherrlichen EU-Mitarbeitern auf die Finger schauen, werden in Brüssel offensichtlich dringender gebraucht als je zuvor.
Herzlichst Ihr
Thomas Osterkorn