Sowjetische Soldaten befreiten auf den Tag genau vor 60 Jahren das Konzentrationslager Auschwitz. Heute, am 27. Januar, werden dort ehemalige Häftlinge, Veteranen der Roten Armee und mehr als 20 Staats- und Regierungschefs der Opfer des Holocaust gedenken. Und wieder einmal merken wir, dass der Name Auschwitz an uns haftet wie ein Brandmal. Er ist der Teil unserer Geschichte, unter den man unmöglich einen Schlussstrich ziehen kann. Auschwitz war ebenso einmalig wie ungeheuerlich. Die Juden wurden ins Gas geschickt aus keinem anderen Grund als dem, dass sie Juden waren, egal, welcher Nationalität, welchen Alters, welchen Berufes. Das einzige Motiv war der psychopathologische Rassenwahn von Hitler und Millionen Deutschen, die "den Juden" als Urfeind des "arischen Menschen" sahen. Auch Albert Einstein wäre wahrscheinlich ermordet worden, wenn die Nazis seiner habhaft geworden wären. Die Deutschen sind verantwortlich für dieses Jahrtausend-Verbrechen. Aber müssen wir uns heute noch schuldig fühlen?
Ein großer Teil der "Tätergeneration" hat seine Schuld, soweit er Schuld trug, mit ins Grab genommen. Schuld ist nicht übertragbar, weder im strafrechtlichen noch im moralischen Sinne. Theodor Heuss prägte daher den Begriff der "Kollektivscham", und diese überträgt sich sehr wohl, von Generation zu Generation. Sie kann aber zu einer drückenden Last werden, wenn der Zusammenhang mit der Ursache nicht mehr erfahrbar ist.
Darum müssen wir unsere Kinder immer wieder aufklären über das, was war, und ihnen sagen, weshalb Verantwortung nicht gleich Schuld ist. Weshalb man sich für das schämen muss, was Deutsche getan haben, aber sich nicht dafür schämen muss, Deutscher zu sein. Nur so können wir verhindern, dass eine neue Generation von Auschwitz nichts mehr wissen will und den Holocaust verdrängt oder relativiert, wie es die NPD in Sachsen jetzt auf skandalöse Weise getan hat.
Wir dürfen diese Auseinandersetzung durchaus mit einem neuen Selbstverständnis führen. Deutschland hat sich geändert. Wir haben den Chauvinismus, den Militarismus und den Imperialismus hinter uns gelassen. Wir sind eine zivile Gesellschaft geworden.
Wenn die Erinnerung an Auschwitz einen Sinn haben soll, dann kann es nur der sein, uns vor dem Rückfall in den politischen Totalitarismus zu bewahren. Gut, dass es das Mahnmal für die ermordeten Juden in Berlin gibt. Die Opfer brauchen es nicht - wir brauchen es.
Herzlichst Ihr
Thomas Osterkorn