Editorial Die Deutschen - ein Mischvolk

Liebe stern-Leser!

Gerade einmal ein paar Monate ist es her, da feierten wir Deutschen die WM im eigenen Lande. Gäste aus aller Welt, schöner Fußball und viel Schwarz, Rot und Gold. Das Ausland fragte erstaunt: Sind das die miesepetrigen Deutschen, die eigentlich nur darauf stolz sind, nicht stolz zu sein?

Es hat sich etwas gewandelt in unserem Land. Deutschland ist nicht mehr nur das Deutschland seiner zwölf dunkelsten Jahre. Kein Schlussstrich, nein, aber 60 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs ist die Nation eine Normalität geworden. Wir gehen unbefangener mit ihr um, wollen mehr wissen über unsere Identität - und unsere Geschichte. Hunderttausende strömen in historische Ausstellungen, wie sie etwa über das "Heilige Römische Reich" gerade in Berlin oder Magdeburg gezeigt werden.

So wie sich das Bild vom heutigen Deutschland wandelt, erscheint dabei auch das Gestern in neuem Licht. Eine rassereine germanische Volksgemeinschaft, oft beschworen, waren wir nie. Schon immer war Deutschland ein Land der Aus- und Einwanderer, siedelten viele Völker mit vielen Sprachen auf seinem Boden: Ein einiges "Deutschland" gab es jahrhundertelang gar nicht, sondern nur das Heilige Römische Reich, eine Art mittelalterliche EU, das aber so schlecht und schwach nicht war.

Mehrere Monate lang haben sich die stern-Redakteure Teja Fiedler und Marc Goergen, beide Historiker, auf die Spuren der Deutschen begeben. Sie haben in Archiven gestöbert und sind zu Orten unserer Vergangenheit gereist. In einer Serie von acht Teilen erzählen sie ab diesem Heft "Die Geschichte der Deutschen". Von der ersten Erwähnung von so etwas wie deutscher Sprache im 8. Jahrhundert über das mittelalterliche Reich bis hin zum modernen Nationalstaat. Es sind faszinierende Geschichten über ein Mischvolk, das sich nicht suchte, aber irgendwie fand, über eine Nation und ihr langes und oft tragisches Streben nach dem passenden Staat.

Als Friedensstifter und Botschafter demokratischer Werte sollen die fast 10 000 Bundeswehrsoldaten im Auslandseinsatz nach dem Willen der politischen Führung wirken. Einige der uniformierten Abgesandten haben nun in Afghanistan das Ansehen der Truppe nachhaltig beschädigt. Einzelfälle, sicher. Aber es gibt zu viele dieser Einzelfälle, bei denen die Sensibilität für die Kultur des Gastlandes und eigenes Geschichtsverständnis in der Wüste verwehen. Anders ist nicht zu erklären, dass sich KSK-Soldaten ausgerechnet des Emblems bedienten, das auch das Afrika-Korps des legendären Generalfeldmarschalls Rommel benutzte.

Die Politik wünscht sich aufgeklärte "Bürger in Uniform". Zumindest die Vorgesetzten Unteroffiziere und Offiziere sollten diesem Anspruch gerecht werden. An sie geht der Vorwurf! Zumindest sie hätten erkennen müssen, dass ein Weltkrieg-II-ähnliches Emblem für den Auslandseinsatz der Bundeswehr tabu sein muss. Dass die "Schädel-Fotos" im Falle der Veröffentlichung von Islamisten gierig aufgegriffen werden könnten, um die Wut gegen alle (!) westlichen Uniformierten in Afghanistan zu schüren.

Die Taliban müssen jedoch nicht auf so eine Gelegenheit warten, um Sympathisanten zu mobilisieren. Dafür sorgt schon die steigende Zahl von Zivilisten, die bei Gefechten mit Isaf-Truppen getötet werden - allein vergangene Woche waren es mehr als 50 während eines US-Bombenangriffs. Die afghanischen Gotteskrieger werden stärker, rüsten auf, verwickeln die Isaf-Soldaten in Kämpfe. Und die Bundeswehr, bislang in überwiegend friedlichen Regionen eingesetzt, könnte nicht nur wegen der Fotos bald Erfahrungen machen wie die US-Truppen im Irak.

Herzlichst Ihr

Andreas Petzold

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