Editorial Fehler beim Geheimdienst-Puzzle

In dieser Ausgabe nehmen zwei Themen von historischer Bedeutung größeren Raum ein: die Versäumnisse der CIA vor dem 11. September 2001 und die Erlebnisse eines Frontsoldaten im Zweiten Weltkrieg.

Liebe stern-Leser!

In dieser Ausgabe nehmen zwei Themen von historischer Bedeutung größeren Raum ein: die Versäumnisse der CIA vor dem 11. September 2001 und die Erlebnisse eines Frontsoldaten im Zweiten Weltkrieg. Seit Jahrzehnten hütete eine alte Dame am Bodensee Tausende Seiten Papier - den Nachlass ihres 1944 in der Sowjetunion gefallenen Vetters Willy Peter Reese. Darunter ein dickes Manuskript, in dem der Obergefreite Reese wenige Monate vor seinem Tod das Leben an der Ostfront beschrieben hat.

Das erschütternde Dokument über die Verwüstung eines jungen Menschen im Krieg beschreibt, worüber viele Heimkehrer nicht sprechen konnten oder wollten: die Schuld, aber auch das eigene Leid in einem erbarmungslosen Kampf. Um zu verhindern, dass Reeses Aufzeichnungen nach ihrem Tod verloren gehen, wandte sich seine Kusine an den stern, und so hat stern-Reporter Stefan Schmitz, 38, in den vergangenen Monaten Hunderte Briefe, Gedichte, Novellen ausgewertet. In diesen Tagen erscheint das von ihm kommentierte Kriegsmanuskript unter dem Titel "Mir selber seltsam fremd" als Buch. Auszüge aus Reeses Berichten von der Front lesen Sie ab Seite 118.

Kurz vor dem zweiten Jahrestag

der Anschläge auf das World Trade Center in New York beleuchten wir in unserer Titelgeschichte, warum die Geheimdienste, allen voran die CIA, die Katastrophe nicht verhinderten. Mehr als ein Jahr recherchierten zwei Journalisten diesen Stoff: Oliver Schröm, 39, von 1996 bis 1998 stern-Redakteur, und Dirk Laabs, 30, Absolvent der Henri-Nannen-Journalistenschule, seit zwei Jahren in Diensten der "Los Angeles Times".

Schröm und Laabs haben mehr als 40 000 Seiten Unterlagen und teils geheime Dokumente gelesen. Sie recherchierten im Umfeld der Terroristen, befragten Mitarbeiter von Geheimdiensten und Polizeibehörden, studierten Ermittlungsergebnisse und Aussageprotokolle des Untersuchungsausschusses, der in Washington sechs Monate lang versuchte, die Versäumnisse der amerikanischen Geheimdienste und Polizeibehörden aufzudecken. Vor drei Wochen legte der Ausschuss den 800-seitigen Abschlussbericht vor, der auf Druck der CIA und der Bush-Administration in wesentlichen Teilen geschwärzt wurde.

Deutlich lesbar dagegen war der Rüffel an die deutschen Behörden: Wegen "rechtsstaatlicher Hürden" hätten sie islamische Fundamentalisten nur eingeschränkt beobachtet; die deutsche Regierung habe "islamistische Gruppen nicht als Bedrohung empfunden und war unwillig, relevante Ressourcen auf das Ziel anzusetzen".

Das ist weniger als die halbe Wahrheit, wie Schröm und Laabs aufzeigen: Die Verfassungsschützer waren über das Umfeld der Hamburger Terrorzelle gut informiert und überließen ihre Ermittlungsergebnisse bereitwillig der CIA. "Es gab jedoch keinen Rückfluss", bestätigten deutsche Sicherheitskreise dem stern. Die Analysten in Langley, dem CIA-Hauptquartier, waren unfähig, die Mosaiksteine, die eigene Agenten und befreundete Dienste gesammelt hatten, zu einem vollständigen Puzzle zusammenzusetzen. In ihrem Buch "Tödliche Fehler", aus dem der stern vorab in einem Zweiteiler Auszüge veröffentlicht, dokumentieren die Autoren, dass die Anschläge und somit der Tod von über 3000 Menschen hätten verhindert werden können.

PS: Auf ihre Recherchen stützt sich auch die TV-Dokumentation "Tödliche Fehler" im Ersten am Donnerstag, 14. August um 23 Uhr.

Herzlichst Ihr Andreas Petzold