Gedankenaustausch mit Kollegen, Unterhaltung mit Kindern, ein Abendessen mit Freunden - in fast jedem Gespräch geht es irgendwann um den Irrsinn im Irak. Ein Bekannter von mir drückte es so aus: "Wenn ein Krieg angeblich unvermeidlich ist, dann muss es wenigstens ein gerechter Krieg sein. Man muss ihn erklären können." Nun, gerechte Kriege gibt es nicht. Und eine schlüssige Begründung für das Gemetzel im Irak schon gar nicht. Ich musste an das Foto denken, das Sie auf dieser Seite sehen und das wir schon in der vorigen Ausgabe gedruck haben. Es zeigt ein unbekanntes Mädchen in Basra, das von einem Helfer von einem Lastwagen heruntergereicht wird. Ich stelle mir vor, wie der Vater dieses Mädchens, dem beide Füße bei einem alliierten Bombardement weggesprengt wurden, auf einen amerikanischen Soldaten trifft und ihn fragt: "Warum habt ihr das getan?" Was sollte der Soldat antworten? Weil mein Präsident euch befreien will? Weil Saddam Hussein böse ist? Weil er vielleicht chemische Bomben besitzt, von denen man nicht weiß, ob er sie einsetzen wird?
Es wird vermutlich nie zu so einer Begegnung kommen, und es wird auch nie eine Antwort geben, die solches Leid rechtfertigt. Aber allein dieses Foto zeigt schon, wie absurd und menschenverachtend der Imperialismus der Bush-Regierung ist. Wie kann ein westlicher Staatenlenker davon sprechen, Demokratie und Menschenrechte im Irak installieren zu wollen, wenn der Preis dafür zwei abgerissene Füße eines kleinen Mädchens sind. Und Tausende weitere Krüppel, Tote, Verwundete und... und... und. Hier wird Rambokratie exportiert, aber nicht das, was wir unter Demokratie und christlichen Werten verstehen. Nämlich den unermüdlichen Versuch, Konflikte friedlich zu lösen.
Die politischen Schlachtenlenker Blair und Bush werden sagen: Das haben wir nicht gewollt. Nein, vielleicht nicht. Aber sie haben gewusst, dass Krieg so aussieht wie auf diesem Foto. Und es in Kauf genommen. Das ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Ein Verbrechen, das George W. Bush und Tony Blair gemeinsam begehen.
Dieser Krieg ist unnötig. Doch Bush beruft sich auf übergeordnete Interessen seines Landes. Deshalb trägt in erster Linie er mit seiner militanten Mission die Verantwortung für all das Leid. Mag sein, dass irgendwann die Materialschlacht zugunsten des Präsidenten ausgeht. Moralisch hat Bush den Krieg längst verloren. Und das ist schlimmer, als eine Schlacht nicht zu gewinnen. Er hat das Rechtsgefühl von Millionen Menschen auf dieser Welt verletzt. Eine Nation, die ein demokratisches Vorbild sein will, darf den dramatischen Protest der Weltöffentlichkeit nicht übergehen. Einen Verbrecher darf man nicht mit Verbrechen bekämpfen.
Herzlichst Ihr
Andreas Petzold