Wer den Wahlsieg Barack Obamas miterlebt hat, sei es live vor Ort oder auch nur vor dem TV-Gerät, dem war rasch klar: Das ist ein historischer Moment, nicht nur für Amerika, sondern für die ganze Welt. Selten waren sich die Menschen aller Länder so einig, dass die ausgelaugte Supermacht USA einen Neuanfang braucht. Die Wirkung Obamas ist auch deswegen so gewaltig, weil er direkt auf einen Albtraum folgt. Die Welt empfand George W. Bush am Ende als Zumutung, nicht nur weil er eine verheerende Politik machte, sondern weil er den Menschen ihr Bild von Amerika nahm. Das Land hat immer auch Ideale verkörpert, Träume ermöglicht, unbegrenzte Möglichkeiten versprochen: Yes, we can. Schon jetzt hat Obama mehr für Amerikas Image getan als jede Klimakonferenz und jeder Politgipfel. Bevor er die USA vereinen kann, hat er die Welt vereint in ihrer Zuneigung. Zu seiner Amtseinführung im Januar werden Hunderttausende Menschen erwartet - Besucher aus allen Kontinenten. Er wird als erster Schwarzer in das Weiße Haus einziehen, das in Teilen noch von Sklaven gebaut wurde. An seiner Seite Michelle Obama, die bereits zur neuen Stilikone erkoren wird, und seine beiden hübschen Töchter Malia und Sasha, Amerikas neue Prinzessinnen. Eine junge "First Family" - wie einst die Kennedys.
In dem Wahlausgang und der weltweiten Euphorie spiegelt sich auch die Sehnsucht nach Heilung, nach einer Katharsis, weil ein Großteil der Welt längst zu der Erkenntnis gekommen ist, dass es so wie bisher nicht weitergehen kann. Die Herausforderungen sind gewaltig: globale Wirtschaftskrise, zwei Kriege in Irak und Afghanistan, Konflikte mit Iran und Russland. Aber wenn es jemanden gibt, dem Obama die Lösung zutraut, dann sich selbst. Er will sein Land so grundlegend verändern, wie es sein Vorbild tat, der große US-Präsident Abraham Lincoln.
Unsere USA-Korrespondenten haben den Wahlkampf von Anfang an begleitet. Sie haben Barack Obama bei seinem ersten Sieg in Iowa erlebt und bei seiner Niederlage in New Hampshire. Sie beobachteten ihn in Denver, wo er zum Kandidaten der Demokraten nominiert wurde, und in der vergangenen Woche bei seinem ersten Auftritt als gewählter Präsident in seiner Wahlheimat Chicago. Für ihre Geschichte recherchierten sie in Nevada, in Washington, in Harlem und in den Slums von Chicago. Die Reportage über den Mann, der die Hoffnung auf eine bessere Welt verkörpert, beginnt auf Seite 32.
Herzlichst Ihr
Thomas Osterkorn