Editorial PR-Futter für den Rest der Welt

Die schaurigen Schlagzeilen über die Massenvernichtungswaffen im Irak waren kein Versehen. Der Beletage im Weißen Haus war klar, dass die Schreckensherrschaft Saddam Husseins der Weltgemeinschaft nicht als Grund für einen Präventivkrieg ausgereicht hätten.

Liebe stern-Leser!

Die schaurigen Schlagzeilen über die Massenvernichtungswaffen im Irak waren kein Versehen. Der Beletage im Weißen Haus war klar, dass die Schreckensherrschaft Saddam Husseins der Weltgemeinschaft nicht als Grund für einen Präventivkrieg ausgereicht hätten. Schon gar nicht, um den UN-Sicherheitsrat zu überzeugen. Dazu brauchten Bush, sein Vize Cheney und Verteidigungsminister Rumsfeld das ganz große Gedeck: chemische, biologische und vielleicht sogar atomare Waffen. "Aus bürokratischen Gründen", enthüllte Vizeverteidigungsminister Wolfowitz im Sommer vergangenen Jahres, habe man sich auf das Thema Massenvernichtungswaffen festgelegt, "weil das der einzige Grund war, dem jeder zustimmen konnte". Durch ständiges Wiederholen der Bedrohungsszenarios wuchsen Saddams Arsenale von Mal zu Mal, die Bush-Gläubigen in aller Welt übernahmen das PR-Futter kritiklos. Am 8. Februar 2003 sekundierte auch Angela Merkel: "Die Bedrohung durch Saddam Hussein und seine Massenvernichtungswaffen ist real."

Zum Jahrestag des Kriegsbeginns am 20. März veröffentlicht der stern in dieser Ausgabe die Entstehungsgeschichte einer gigantischen Kriegslüge. Monatelang haben Michael Streck und Jan-Christoph Wiechmann, die Amerika-Korrespondenten des stern, Informationen zusammengetragen. So trafen die beiden Botschafter Joseph Wilson, der für die CIA in den Niger gereist war, um die Uranschmuggel-Vorwürfe gegen den Irak zu untersuchen. Die stellten sich als Fälschung heraus. Senator Bob Graham, ehemaliger Vorsitzender des Geheimdienstausschusses, der alle Winkelzüge aus der Nähe erlebte und heute ein Amtsenthebungsverfahren gegen Bush fordert, gehörte zu den Gesprächspartnern. Eine Geheimdienstmitarbeiterin im Verteidigungsministerium, die jetzt zurückgezogen auf einer Farm in Virginia lebt, berichtet, wie fast über Nacht das Office for Special Plans entstand. Hier wurden aus Halbwahrheiten Tatsachen, hier wurden die Fragezeichen aus den CIA-Berichten getilgt.

Ebenfalls in Virginia saßen die stern-Reporter mit Greg Thielmann zusammen, dem ehemaligen Abteilungsleiter im Geheimdienst des Außenministeriums. Seine Analysen wiesen der Regierung schon sehr früh konkret nach, dass eine nukleare Bedrohung für die USA durch Saddam Humbug ist. Die Regierung aber wollte nicht hören. Auch einige CIA-Agenten brachen gegenüber dem stern ihre Schweigepflicht.

Am Ende der Recherchen entstand ein hochspannendes Puzzle, das die Propagandamaschine der US-Administration bloßstellt. Fazit: Schon kurz nach seiner Amtseinführung nahm Bush den Marsch auf Bagdad auf seine Agenda. Es fehlte nur noch ein guter Grund. Bush war dabei vor allem ein willfähriges Instrument in der Hand von Leuten wie Cheney, Rumsfeld und Wolfowitz. Zudem passten die manipulierten Informationen in sein Weltbild. Misstrauisch war er nur gegenüber denjenigen, die das Geheimdienstmaterial infrage stellten. Wenn die Weltgemeinschaft künftig Präventivkriege vermeiden will, darf sie nie vergessen, wie dieser Krieg zustande kam.

Der Irak-Krieg war auch Thema einer stern-Reportage, die vergangene Woche bei der Verleihung der Zeitschriften-Oscars, den "Lead-Awards", ausgezeichnet wurde. In der Kategorie "Reportagebeitrag des Jahres" gewann der stern mit der Geschichte "Der Sturm auf Bagdad" (Heft 14/2003). Einen ersten Platz gab es in der Rubrik "Reportagefotografie des Jahres" für den Fotografen Frédéric Brenner. Seine Arbeit "Diaspora - Heimat im Exil" erschien im stern 47/2003 und hält das Leben jüdischer Gemeinden in 40 Ländern fest. Wir freuen uns darüber - denn Reportagen sind unsere Leidenschaft.

Herzlichst Ihr
Andreas Petzold

print